Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Gladstones Aussichte" in Sachen Irlands.

Zugeständnisse zu gewähren und sie nach zehn oder zwanzig Jahren wieder für
ungiltig zu erklären, und so darf man behaupten: Wenn die Bill Glcidstones
in zweiter oder letzter Lesung im Unterhause durchgeht und die Lords sie gleich¬
falls gutheißen, so wird Westminster nach menschlichem Ermessen niemals wieder
irische Abgeordnete in seinen Räumen versammeln; denn in zehn oder zwanzig
Jahren wird Irland, sich selbst überlassen, in einer Weise umgestaltet sein, welche
das vollständig ausschließt.

Sehen wir uns Gladstones Projekt weiter an, so soll Irland, obwohl un-
vertreten im Reichsparlamente, seinen Anteil an der Verzinsung und Tilgung
der Neichsschulden und der übrigen ordentlichen Ausgaben des Reiches fort¬
zahlen. Doch soll dieser Anteil nur el" Fünfzehnte! des Ganzen, was das
jetzige Vereinigte Königreich aufzubringen hat, nach Gladstones Berechnung etwa
31/4 Millionen Pfund betragen, und dieser Beitrag soll auf keinen Fall erhöht
werden, kann sich aber, da der irische Anteil am Tilgungsfonds den irischen
Anteil an der Staatsschuld kürzt, vermindern. Irland wird also wie Kanada
abgetrennt, aber verschieden von Kanada als ein tributpflichtiger Staat. Die
Insel soll ferner als eine "gesonderte Nationalität" neben Großbritannien hin¬
gestellt werden. Der "gesetzgebende Körper Irlands" -- Gladstone sagt nicht
"das Parlament" -- soll eine einzige, aber aus zwei "Ordnungen" (Ol-üörs)
bestehende Versammlung von etwas mehr als dreihundert Mitgliedern sein.
103 von diesen werden die aristokratische oder konservative, vielleicht
dürfen wir auch sagen die protestantische Gruppe dieses neuen Parlaments
bilden. Die nchtundzwanzig irischen Peers, die jetzt lebenslänglichen Sitz im
Oberhause zu Westminster haben, können denselben mit einem Sitze in College
Green zu Dublin vertauschen, wo sie bis zu ihrem Ableben ein Kontingent zur
ersten Ordnung bilden würden. Die übrigen fiinfundsiebzig Angehörigen der
letztern sollen von besondern Wählerschaften, zusammengesetzt ans Haus- oder
Grundstücksbesitzern mit fünfundzwanzig Pfund Jahreseinnahme, gewählt werden
und müssen selbst ein jährliches Einkommen von zweihundert Pfund aus realem
oder personalen Eigentume haben. 204 Mitglieder des neuen gesetzgebenden
Körpers sollen nach der jetzt üblichen Weise gewählt werden, 103 werden die
jetzt in Westminster sitzenden und von da nach College Green abgehenden irischen
Laudbvten zählen, und jede Wählerschaft, ausgenommen die Dubliner Universität,
soll 101 Abgeordnete zu ihnen hinzusenden. So werden die Mitglieder zweiter
Ordnung oder Klasse des Dubliner Parlaments 204 Mann stark sein, wenn
jene Körperschaft nicht beschließt, der Universität zwei Vertreter zu gebe", in
welchem Falle die Zahl der Gruppe 206 betragen würde. Die erste Ordnung,
die das protestantische und das vornehmere katholische Element vertreten würde,
soll sich einer eigentümlichen Befugnis erfreuen. Sie soll bei jedem Gesetz¬
entwurfe verlangen können, daß jede Ordnung für sich über denselben abstimmt, und
wenn die Mehrheit der ersten Ordnung sich dagegen erklärt, so soll er auf drei


Gladstones Aussichte» in Sachen Irlands.

Zugeständnisse zu gewähren und sie nach zehn oder zwanzig Jahren wieder für
ungiltig zu erklären, und so darf man behaupten: Wenn die Bill Glcidstones
in zweiter oder letzter Lesung im Unterhause durchgeht und die Lords sie gleich¬
falls gutheißen, so wird Westminster nach menschlichem Ermessen niemals wieder
irische Abgeordnete in seinen Räumen versammeln; denn in zehn oder zwanzig
Jahren wird Irland, sich selbst überlassen, in einer Weise umgestaltet sein, welche
das vollständig ausschließt.

Sehen wir uns Gladstones Projekt weiter an, so soll Irland, obwohl un-
vertreten im Reichsparlamente, seinen Anteil an der Verzinsung und Tilgung
der Neichsschulden und der übrigen ordentlichen Ausgaben des Reiches fort¬
zahlen. Doch soll dieser Anteil nur el» Fünfzehnte! des Ganzen, was das
jetzige Vereinigte Königreich aufzubringen hat, nach Gladstones Berechnung etwa
31/4 Millionen Pfund betragen, und dieser Beitrag soll auf keinen Fall erhöht
werden, kann sich aber, da der irische Anteil am Tilgungsfonds den irischen
Anteil an der Staatsschuld kürzt, vermindern. Irland wird also wie Kanada
abgetrennt, aber verschieden von Kanada als ein tributpflichtiger Staat. Die
Insel soll ferner als eine „gesonderte Nationalität" neben Großbritannien hin¬
gestellt werden. Der „gesetzgebende Körper Irlands" — Gladstone sagt nicht
„das Parlament" — soll eine einzige, aber aus zwei „Ordnungen" (Ol-üörs)
bestehende Versammlung von etwas mehr als dreihundert Mitgliedern sein.
103 von diesen werden die aristokratische oder konservative, vielleicht
dürfen wir auch sagen die protestantische Gruppe dieses neuen Parlaments
bilden. Die nchtundzwanzig irischen Peers, die jetzt lebenslänglichen Sitz im
Oberhause zu Westminster haben, können denselben mit einem Sitze in College
Green zu Dublin vertauschen, wo sie bis zu ihrem Ableben ein Kontingent zur
ersten Ordnung bilden würden. Die übrigen fiinfundsiebzig Angehörigen der
letztern sollen von besondern Wählerschaften, zusammengesetzt ans Haus- oder
Grundstücksbesitzern mit fünfundzwanzig Pfund Jahreseinnahme, gewählt werden
und müssen selbst ein jährliches Einkommen von zweihundert Pfund aus realem
oder personalen Eigentume haben. 204 Mitglieder des neuen gesetzgebenden
Körpers sollen nach der jetzt üblichen Weise gewählt werden, 103 werden die
jetzt in Westminster sitzenden und von da nach College Green abgehenden irischen
Laudbvten zählen, und jede Wählerschaft, ausgenommen die Dubliner Universität,
soll 101 Abgeordnete zu ihnen hinzusenden. So werden die Mitglieder zweiter
Ordnung oder Klasse des Dubliner Parlaments 204 Mann stark sein, wenn
jene Körperschaft nicht beschließt, der Universität zwei Vertreter zu gebe», in
welchem Falle die Zahl der Gruppe 206 betragen würde. Die erste Ordnung,
die das protestantische und das vornehmere katholische Element vertreten würde,
soll sich einer eigentümlichen Befugnis erfreuen. Sie soll bei jedem Gesetz¬
entwurfe verlangen können, daß jede Ordnung für sich über denselben abstimmt, und
wenn die Mehrheit der ersten Ordnung sich dagegen erklärt, so soll er auf drei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198220"/>
          <fw type="header" place="top"> Gladstones Aussichte» in Sachen Irlands.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_419" prev="#ID_418"> Zugeständnisse zu gewähren und sie nach zehn oder zwanzig Jahren wieder für<lb/>
ungiltig zu erklären, und so darf man behaupten: Wenn die Bill Glcidstones<lb/>
in zweiter oder letzter Lesung im Unterhause durchgeht und die Lords sie gleich¬<lb/>
falls gutheißen, so wird Westminster nach menschlichem Ermessen niemals wieder<lb/>
irische Abgeordnete in seinen Räumen versammeln; denn in zehn oder zwanzig<lb/>
Jahren wird Irland, sich selbst überlassen, in einer Weise umgestaltet sein, welche<lb/>
das vollständig ausschließt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_420" next="#ID_421"> Sehen wir uns Gladstones Projekt weiter an, so soll Irland, obwohl un-<lb/>
vertreten im Reichsparlamente, seinen Anteil an der Verzinsung und Tilgung<lb/>
der Neichsschulden und der übrigen ordentlichen Ausgaben des Reiches fort¬<lb/>
zahlen. Doch soll dieser Anteil nur el» Fünfzehnte! des Ganzen, was das<lb/>
jetzige Vereinigte Königreich aufzubringen hat, nach Gladstones Berechnung etwa<lb/>
31/4 Millionen Pfund betragen, und dieser Beitrag soll auf keinen Fall erhöht<lb/>
werden, kann sich aber, da der irische Anteil am Tilgungsfonds den irischen<lb/>
Anteil an der Staatsschuld kürzt, vermindern. Irland wird also wie Kanada<lb/>
abgetrennt, aber verschieden von Kanada als ein tributpflichtiger Staat. Die<lb/>
Insel soll ferner als eine &#x201E;gesonderte Nationalität" neben Großbritannien hin¬<lb/>
gestellt werden. Der &#x201E;gesetzgebende Körper Irlands" &#x2014; Gladstone sagt nicht<lb/>
&#x201E;das Parlament" &#x2014; soll eine einzige, aber aus zwei &#x201E;Ordnungen" (Ol-üörs)<lb/>
bestehende Versammlung von etwas mehr als dreihundert Mitgliedern sein.<lb/>
103 von diesen werden die aristokratische oder konservative, vielleicht<lb/>
dürfen wir auch sagen die protestantische Gruppe dieses neuen Parlaments<lb/>
bilden. Die nchtundzwanzig irischen Peers, die jetzt lebenslänglichen Sitz im<lb/>
Oberhause zu Westminster haben, können denselben mit einem Sitze in College<lb/>
Green zu Dublin vertauschen, wo sie bis zu ihrem Ableben ein Kontingent zur<lb/>
ersten Ordnung bilden würden. Die übrigen fiinfundsiebzig Angehörigen der<lb/>
letztern sollen von besondern Wählerschaften, zusammengesetzt ans Haus- oder<lb/>
Grundstücksbesitzern mit fünfundzwanzig Pfund Jahreseinnahme, gewählt werden<lb/>
und müssen selbst ein jährliches Einkommen von zweihundert Pfund aus realem<lb/>
oder personalen Eigentume haben. 204 Mitglieder des neuen gesetzgebenden<lb/>
Körpers sollen nach der jetzt üblichen Weise gewählt werden, 103 werden die<lb/>
jetzt in Westminster sitzenden und von da nach College Green abgehenden irischen<lb/>
Laudbvten zählen, und jede Wählerschaft, ausgenommen die Dubliner Universität,<lb/>
soll 101 Abgeordnete zu ihnen hinzusenden. So werden die Mitglieder zweiter<lb/>
Ordnung oder Klasse des Dubliner Parlaments 204 Mann stark sein, wenn<lb/>
jene Körperschaft nicht beschließt, der Universität zwei Vertreter zu gebe», in<lb/>
welchem Falle die Zahl der Gruppe 206 betragen würde. Die erste Ordnung,<lb/>
die das protestantische und das vornehmere katholische Element vertreten würde,<lb/>
soll sich einer eigentümlichen Befugnis erfreuen. Sie soll bei jedem Gesetz¬<lb/>
entwurfe verlangen können, daß jede Ordnung für sich über denselben abstimmt, und<lb/>
wenn die Mehrheit der ersten Ordnung sich dagegen erklärt, so soll er auf drei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0154] Gladstones Aussichte» in Sachen Irlands. Zugeständnisse zu gewähren und sie nach zehn oder zwanzig Jahren wieder für ungiltig zu erklären, und so darf man behaupten: Wenn die Bill Glcidstones in zweiter oder letzter Lesung im Unterhause durchgeht und die Lords sie gleich¬ falls gutheißen, so wird Westminster nach menschlichem Ermessen niemals wieder irische Abgeordnete in seinen Räumen versammeln; denn in zehn oder zwanzig Jahren wird Irland, sich selbst überlassen, in einer Weise umgestaltet sein, welche das vollständig ausschließt. Sehen wir uns Gladstones Projekt weiter an, so soll Irland, obwohl un- vertreten im Reichsparlamente, seinen Anteil an der Verzinsung und Tilgung der Neichsschulden und der übrigen ordentlichen Ausgaben des Reiches fort¬ zahlen. Doch soll dieser Anteil nur el» Fünfzehnte! des Ganzen, was das jetzige Vereinigte Königreich aufzubringen hat, nach Gladstones Berechnung etwa 31/4 Millionen Pfund betragen, und dieser Beitrag soll auf keinen Fall erhöht werden, kann sich aber, da der irische Anteil am Tilgungsfonds den irischen Anteil an der Staatsschuld kürzt, vermindern. Irland wird also wie Kanada abgetrennt, aber verschieden von Kanada als ein tributpflichtiger Staat. Die Insel soll ferner als eine „gesonderte Nationalität" neben Großbritannien hin¬ gestellt werden. Der „gesetzgebende Körper Irlands" — Gladstone sagt nicht „das Parlament" — soll eine einzige, aber aus zwei „Ordnungen" (Ol-üörs) bestehende Versammlung von etwas mehr als dreihundert Mitgliedern sein. 103 von diesen werden die aristokratische oder konservative, vielleicht dürfen wir auch sagen die protestantische Gruppe dieses neuen Parlaments bilden. Die nchtundzwanzig irischen Peers, die jetzt lebenslänglichen Sitz im Oberhause zu Westminster haben, können denselben mit einem Sitze in College Green zu Dublin vertauschen, wo sie bis zu ihrem Ableben ein Kontingent zur ersten Ordnung bilden würden. Die übrigen fiinfundsiebzig Angehörigen der letztern sollen von besondern Wählerschaften, zusammengesetzt ans Haus- oder Grundstücksbesitzern mit fünfundzwanzig Pfund Jahreseinnahme, gewählt werden und müssen selbst ein jährliches Einkommen von zweihundert Pfund aus realem oder personalen Eigentume haben. 204 Mitglieder des neuen gesetzgebenden Körpers sollen nach der jetzt üblichen Weise gewählt werden, 103 werden die jetzt in Westminster sitzenden und von da nach College Green abgehenden irischen Laudbvten zählen, und jede Wählerschaft, ausgenommen die Dubliner Universität, soll 101 Abgeordnete zu ihnen hinzusenden. So werden die Mitglieder zweiter Ordnung oder Klasse des Dubliner Parlaments 204 Mann stark sein, wenn jene Körperschaft nicht beschließt, der Universität zwei Vertreter zu gebe», in welchem Falle die Zahl der Gruppe 206 betragen würde. Die erste Ordnung, die das protestantische und das vornehmere katholische Element vertreten würde, soll sich einer eigentümlichen Befugnis erfreuen. Sie soll bei jedem Gesetz¬ entwurfe verlangen können, daß jede Ordnung für sich über denselben abstimmt, und wenn die Mehrheit der ersten Ordnung sich dagegen erklärt, so soll er auf drei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/154
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/154>, abgerufen am 22.07.2024.