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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

wenn die Herren einmal die Gewalt in die Hände bekomme" sollten, wurden
sie, fürchte ich, ein schlechtes Gedächtnis für unsre Freundschaftsdienste an den
Tag legen. Indessen will ich mir nicht mit Sorgen für die Zukunft Laune
und Appetit verderben. Auch darf ich mir schmeicheln, eine zu wenig bedeutende
Persönlichkeit zu sein, als daß der einstige Wohlfahrtsausschuß sich gerade mit
mir befassen würde. Und was meine "politischen Freunde" betrifft, so kann
ich mir das Schauspiel sehr erhebend denken, wie sie nach dem Greveplatz fahren
und Herr Professor Hänel anstimme:


Roni-ir ponr in. x">ti'is
L'ost 1o sort lo xlus boiui, 1v plus ckiMv ü'onviv!

Und ich werde gewiß nicht der einzige sein, der ihnen in bescheidener Ver¬
borgenheit eine Thräne nachweint und seufzt: Ihnen ist Wohl, doch mir ist
besser.

Entschuldigen Sie diesen Herzenserguß eines Mannes, der nicht nur Volks¬
vertreter, sondern auch Rentner und Familienvater ist. Man hat ja nur einmal
ein Leben zu verlieren, und auch wenn die Geschichte weniger ernst werden
sollte, so gehört schon eine Tracht Prügel, gleichviel ob von den Fünften der
Schergen der Gewalt oder der Soldaten der "Freiheit," zu den weniger an¬
genehmen Erlebnissen und wird einem von niemand wieder abgenommen.
Machen Sie jedoch keinen Gebrauch davon, ich werde den bisherigen Teil
meiner Rede im stenographischen Berichte einer gründlichen Korrektur unter¬
ziehen.

Also, meine Herren, das Gesetz, unter welchem der Weizen unsrer sozial¬
demokratischen Freunde, ihrer wiederholten Versicherung zufolge, aufs üppigste
blühen, und derselbe Weizen nach der Ansicht unsrer Gegner elendiglich ver¬
dorren wird, das Gesetz ist wieder fertig; wir aber, die Alleinklarblickenden,
sagen: es ist überflüssig, daher schädlich. Es ist überflüssig, erstens, weil es
überhaupt keine Sozialdemokratie giebt, zweitens, weil die Sozialdemokratin!
keine Anarchisten sind, und drittens, weil es auch leine Anarchisten giebt. Da
wird ein großes Wesen aus den unbedeutenden Vorgängen in Belgien gemacht.
Was ist denn dort geschehen? Es ist, wie mein Freund Bamberger treffend
hervorgehoben hat, nicht der Rede wert. Eine Fabrik und einige wenige
Schlösser wurden zerstört, das kommt ja jeden Tag vor und gehört eben zum
Handel und Wandel. Handelte es sich um ein Schloß und einige Fabriken,
so läge die Sache schon ein wenig anders, namentlich wenn die Besitzer zu den
Unsern, zu unsern Leuten zählten. Aber dort hat die Unannehmlichkeit ja
wahrscheinlich Ultramontaue getroffen, auf jeden Fall Christen -- was gehen
uns die an? Wir sind fortgeschritten, wir fragen nicht darnach, was einer
glaubt, sondern nur, ob er überhaupt so verworfen ist, einen Glauben zu haben.

Nun weiter. Sie meinen, aufgesetzte Arbeiter hätten sich die unschuldigen
Scherze erlaubt? Weit gefehlt! Zum Teil die Besitzenden selbst, zum Teil


Grenzlwten II. 188ki. 18
Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

wenn die Herren einmal die Gewalt in die Hände bekomme» sollten, wurden
sie, fürchte ich, ein schlechtes Gedächtnis für unsre Freundschaftsdienste an den
Tag legen. Indessen will ich mir nicht mit Sorgen für die Zukunft Laune
und Appetit verderben. Auch darf ich mir schmeicheln, eine zu wenig bedeutende
Persönlichkeit zu sein, als daß der einstige Wohlfahrtsausschuß sich gerade mit
mir befassen würde. Und was meine „politischen Freunde" betrifft, so kann
ich mir das Schauspiel sehr erhebend denken, wie sie nach dem Greveplatz fahren
und Herr Professor Hänel anstimme:


Roni-ir ponr in. x»>ti'is
L'ost 1o sort lo xlus boiui, 1v plus ckiMv ü'onviv!

Und ich werde gewiß nicht der einzige sein, der ihnen in bescheidener Ver¬
borgenheit eine Thräne nachweint und seufzt: Ihnen ist Wohl, doch mir ist
besser.

Entschuldigen Sie diesen Herzenserguß eines Mannes, der nicht nur Volks¬
vertreter, sondern auch Rentner und Familienvater ist. Man hat ja nur einmal
ein Leben zu verlieren, und auch wenn die Geschichte weniger ernst werden
sollte, so gehört schon eine Tracht Prügel, gleichviel ob von den Fünften der
Schergen der Gewalt oder der Soldaten der „Freiheit," zu den weniger an¬
genehmen Erlebnissen und wird einem von niemand wieder abgenommen.
Machen Sie jedoch keinen Gebrauch davon, ich werde den bisherigen Teil
meiner Rede im stenographischen Berichte einer gründlichen Korrektur unter¬
ziehen.

Also, meine Herren, das Gesetz, unter welchem der Weizen unsrer sozial¬
demokratischen Freunde, ihrer wiederholten Versicherung zufolge, aufs üppigste
blühen, und derselbe Weizen nach der Ansicht unsrer Gegner elendiglich ver¬
dorren wird, das Gesetz ist wieder fertig; wir aber, die Alleinklarblickenden,
sagen: es ist überflüssig, daher schädlich. Es ist überflüssig, erstens, weil es
überhaupt keine Sozialdemokratie giebt, zweitens, weil die Sozialdemokratin!
keine Anarchisten sind, und drittens, weil es auch leine Anarchisten giebt. Da
wird ein großes Wesen aus den unbedeutenden Vorgängen in Belgien gemacht.
Was ist denn dort geschehen? Es ist, wie mein Freund Bamberger treffend
hervorgehoben hat, nicht der Rede wert. Eine Fabrik und einige wenige
Schlösser wurden zerstört, das kommt ja jeden Tag vor und gehört eben zum
Handel und Wandel. Handelte es sich um ein Schloß und einige Fabriken,
so läge die Sache schon ein wenig anders, namentlich wenn die Besitzer zu den
Unsern, zu unsern Leuten zählten. Aber dort hat die Unannehmlichkeit ja
wahrscheinlich Ultramontaue getroffen, auf jeden Fall Christen — was gehen
uns die an? Wir sind fortgeschritten, wir fragen nicht darnach, was einer
glaubt, sondern nur, ob er überhaupt so verworfen ist, einen Glauben zu haben.

Nun weiter. Sie meinen, aufgesetzte Arbeiter hätten sich die unschuldigen
Scherze erlaubt? Weit gefehlt! Zum Teil die Besitzenden selbst, zum Teil


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[0145] Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten. wenn die Herren einmal die Gewalt in die Hände bekomme» sollten, wurden sie, fürchte ich, ein schlechtes Gedächtnis für unsre Freundschaftsdienste an den Tag legen. Indessen will ich mir nicht mit Sorgen für die Zukunft Laune und Appetit verderben. Auch darf ich mir schmeicheln, eine zu wenig bedeutende Persönlichkeit zu sein, als daß der einstige Wohlfahrtsausschuß sich gerade mit mir befassen würde. Und was meine „politischen Freunde" betrifft, so kann ich mir das Schauspiel sehr erhebend denken, wie sie nach dem Greveplatz fahren und Herr Professor Hänel anstimme: Roni-ir ponr in. x»>ti'is L'ost 1o sort lo xlus boiui, 1v plus ckiMv ü'onviv! Und ich werde gewiß nicht der einzige sein, der ihnen in bescheidener Ver¬ borgenheit eine Thräne nachweint und seufzt: Ihnen ist Wohl, doch mir ist besser. Entschuldigen Sie diesen Herzenserguß eines Mannes, der nicht nur Volks¬ vertreter, sondern auch Rentner und Familienvater ist. Man hat ja nur einmal ein Leben zu verlieren, und auch wenn die Geschichte weniger ernst werden sollte, so gehört schon eine Tracht Prügel, gleichviel ob von den Fünften der Schergen der Gewalt oder der Soldaten der „Freiheit," zu den weniger an¬ genehmen Erlebnissen und wird einem von niemand wieder abgenommen. Machen Sie jedoch keinen Gebrauch davon, ich werde den bisherigen Teil meiner Rede im stenographischen Berichte einer gründlichen Korrektur unter¬ ziehen. Also, meine Herren, das Gesetz, unter welchem der Weizen unsrer sozial¬ demokratischen Freunde, ihrer wiederholten Versicherung zufolge, aufs üppigste blühen, und derselbe Weizen nach der Ansicht unsrer Gegner elendiglich ver¬ dorren wird, das Gesetz ist wieder fertig; wir aber, die Alleinklarblickenden, sagen: es ist überflüssig, daher schädlich. Es ist überflüssig, erstens, weil es überhaupt keine Sozialdemokratie giebt, zweitens, weil die Sozialdemokratin! keine Anarchisten sind, und drittens, weil es auch leine Anarchisten giebt. Da wird ein großes Wesen aus den unbedeutenden Vorgängen in Belgien gemacht. Was ist denn dort geschehen? Es ist, wie mein Freund Bamberger treffend hervorgehoben hat, nicht der Rede wert. Eine Fabrik und einige wenige Schlösser wurden zerstört, das kommt ja jeden Tag vor und gehört eben zum Handel und Wandel. Handelte es sich um ein Schloß und einige Fabriken, so läge die Sache schon ein wenig anders, namentlich wenn die Besitzer zu den Unsern, zu unsern Leuten zählten. Aber dort hat die Unannehmlichkeit ja wahrscheinlich Ultramontaue getroffen, auf jeden Fall Christen — was gehen uns die an? Wir sind fortgeschritten, wir fragen nicht darnach, was einer glaubt, sondern nur, ob er überhaupt so verworfen ist, einen Glauben zu haben. Nun weiter. Sie meinen, aufgesetzte Arbeiter hätten sich die unschuldigen Scherze erlaubt? Weit gefehlt! Zum Teil die Besitzenden selbst, zum Teil Grenzlwten II. 188ki. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/145>, abgerufen am 28.12.2024.