Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Irische Parlamente.

Lösung Gladstone versuchen will, immer von neuem unsre Aufmerksamkeit zu¬
wenden.

Gladstone glaubt deu Gedanken des Home Rule ohne Schaden verwirk¬
lichen zu können, wenn er den Befugnissen seines irischen Parlaments Be¬
schränkungen und Bürgschaften beimischt. Die Geschichte aber zeigt, daß er
damit irrt: die Erfahrung sollte die Engländer mehr als genügend belehrt
haben, daß sich gegen gefährliche Ausschreitungen irischer Gesetzgeber keine hin-
reichenden Sicherheiten ersinnen lassen. Man darf mit Bestimmtheit behaupten,
daß von dein ersten Augenblicke an, wo ein irisches Parlament zu tagen begann,
zwischen ihm und der englischen Exekutive sich Streitigkeiten über die Ausdehnung
der beiderseitigen Rechte und Pflichten entwickelten. Gehen wir in die älteste
Zeit der Verbindung Englands mit Irland oder der Herrschaft des erstern über
das letztere zurück, so sehen wir, daß die Landtage, welche der Souverän bald
in Dublin, bald in Kiltenny, bald in Drogheda, gelegentlich auch in London
versammelte, nicht Parlamente im jetzigen Sinne des Wortes waren; denn die
ordentlichen Einnahmen Irlands kamen der Krone nach vererdenden Lehnrecht
von selbst zu, sie brauchten also nicht alljährlich oder überhaupt periodisch be¬
willigt zu werden. Diese Parlamente der Zeiten, in welchen die Eduards und
Heinriche herrschten, waren bloße Konvente von Vertretern der englischen Ein¬
wandrer und Ansiedler in Irland, unregelmäßig in ihrer Zusammensetzung, sowie
in der Zeit und dem Orte ihres Zusammentrittes und ohne die Eigenschaften
gesetzgebender oder auch nur beratender Körperschaften. Und doch machten selbst
diese wenig bedeutenden Parlamente den Engländern, als die Kriege der britischen
Rosen wüteten, wiederholt arge Not. Je nachdem die Partei Jork oder Lcmmster
obenauf kam oder sank, herrschte in Irland die eine oder die andre, die eine
widerrief nicht nur die Gesetze, welche die andre beschlossen hatte, sondern zog
auch die Güter ein, welche den Mitgliedern der andern gehörten. Einmal gab
es sogar zu einer und derselben Zeit zwei irische Parlamente, eins von der
Partei der Weißen und eins von der Partei der roten Rose. Im Jahre 1486,
also vor genau vierhundert Jahren, erklärte sich das irische Parlament für deu
politischen Betrüger Lambert Simmel und ließ ihn in der Dubliner Christus¬
kirche als Richard den Sechsten zum Könige von England und "Herrn" von
Irland krönen. Dies führte nach Unterdrückung dieser Rebellion zum Erlasse
der sogenannten Poyningsatte, welche die Selbständigkeit des irischen Parlaments
sehr einschränkte. Um nämlich den damals tiefgesunkeneu Einfluß Englands in
Irland wieder zu heben, schickte Heinrich der Siebente den Sir Eduard Pohnings
als Lordstatthaltcr mit Heeresmacht nach der Insel, und dieser gab der Ver¬
fassung derselben eine Gestalt, nach der es dem irischen Parlamente nur mit
Genehmigung des Königs von England oder dessen Stellvertreters gestattet war,
sich zu versammeln, und nach der die Landesvertretung nur solche Gesetzvorschläge
beraten durfte, welche die englische Regierung vorher geprüft und gutgeheißen


Irische Parlamente.

Lösung Gladstone versuchen will, immer von neuem unsre Aufmerksamkeit zu¬
wenden.

Gladstone glaubt deu Gedanken des Home Rule ohne Schaden verwirk¬
lichen zu können, wenn er den Befugnissen seines irischen Parlaments Be¬
schränkungen und Bürgschaften beimischt. Die Geschichte aber zeigt, daß er
damit irrt: die Erfahrung sollte die Engländer mehr als genügend belehrt
haben, daß sich gegen gefährliche Ausschreitungen irischer Gesetzgeber keine hin-
reichenden Sicherheiten ersinnen lassen. Man darf mit Bestimmtheit behaupten,
daß von dein ersten Augenblicke an, wo ein irisches Parlament zu tagen begann,
zwischen ihm und der englischen Exekutive sich Streitigkeiten über die Ausdehnung
der beiderseitigen Rechte und Pflichten entwickelten. Gehen wir in die älteste
Zeit der Verbindung Englands mit Irland oder der Herrschaft des erstern über
das letztere zurück, so sehen wir, daß die Landtage, welche der Souverän bald
in Dublin, bald in Kiltenny, bald in Drogheda, gelegentlich auch in London
versammelte, nicht Parlamente im jetzigen Sinne des Wortes waren; denn die
ordentlichen Einnahmen Irlands kamen der Krone nach vererdenden Lehnrecht
von selbst zu, sie brauchten also nicht alljährlich oder überhaupt periodisch be¬
willigt zu werden. Diese Parlamente der Zeiten, in welchen die Eduards und
Heinriche herrschten, waren bloße Konvente von Vertretern der englischen Ein¬
wandrer und Ansiedler in Irland, unregelmäßig in ihrer Zusammensetzung, sowie
in der Zeit und dem Orte ihres Zusammentrittes und ohne die Eigenschaften
gesetzgebender oder auch nur beratender Körperschaften. Und doch machten selbst
diese wenig bedeutenden Parlamente den Engländern, als die Kriege der britischen
Rosen wüteten, wiederholt arge Not. Je nachdem die Partei Jork oder Lcmmster
obenauf kam oder sank, herrschte in Irland die eine oder die andre, die eine
widerrief nicht nur die Gesetze, welche die andre beschlossen hatte, sondern zog
auch die Güter ein, welche den Mitgliedern der andern gehörten. Einmal gab
es sogar zu einer und derselben Zeit zwei irische Parlamente, eins von der
Partei der Weißen und eins von der Partei der roten Rose. Im Jahre 1486,
also vor genau vierhundert Jahren, erklärte sich das irische Parlament für deu
politischen Betrüger Lambert Simmel und ließ ihn in der Dubliner Christus¬
kirche als Richard den Sechsten zum Könige von England und „Herrn" von
Irland krönen. Dies führte nach Unterdrückung dieser Rebellion zum Erlasse
der sogenannten Poyningsatte, welche die Selbständigkeit des irischen Parlaments
sehr einschränkte. Um nämlich den damals tiefgesunkeneu Einfluß Englands in
Irland wieder zu heben, schickte Heinrich der Siebente den Sir Eduard Pohnings
als Lordstatthaltcr mit Heeresmacht nach der Insel, und dieser gab der Ver¬
fassung derselben eine Gestalt, nach der es dem irischen Parlamente nur mit
Genehmigung des Königs von England oder dessen Stellvertreters gestattet war,
sich zu versammeln, und nach der die Landesvertretung nur solche Gesetzvorschläge
beraten durfte, welche die englische Regierung vorher geprüft und gutgeheißen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198206"/>
          <fw type="header" place="top"> Irische Parlamente.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_372" prev="#ID_371"> Lösung Gladstone versuchen will, immer von neuem unsre Aufmerksamkeit zu¬<lb/>
wenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_373" next="#ID_374"> Gladstone glaubt deu Gedanken des Home Rule ohne Schaden verwirk¬<lb/>
lichen zu können, wenn er den Befugnissen seines irischen Parlaments Be¬<lb/>
schränkungen und Bürgschaften beimischt. Die Geschichte aber zeigt, daß er<lb/>
damit irrt: die Erfahrung sollte die Engländer mehr als genügend belehrt<lb/>
haben, daß sich gegen gefährliche Ausschreitungen irischer Gesetzgeber keine hin-<lb/>
reichenden Sicherheiten ersinnen lassen. Man darf mit Bestimmtheit behaupten,<lb/>
daß von dein ersten Augenblicke an, wo ein irisches Parlament zu tagen begann,<lb/>
zwischen ihm und der englischen Exekutive sich Streitigkeiten über die Ausdehnung<lb/>
der beiderseitigen Rechte und Pflichten entwickelten. Gehen wir in die älteste<lb/>
Zeit der Verbindung Englands mit Irland oder der Herrschaft des erstern über<lb/>
das letztere zurück, so sehen wir, daß die Landtage, welche der Souverän bald<lb/>
in Dublin, bald in Kiltenny, bald in Drogheda, gelegentlich auch in London<lb/>
versammelte, nicht Parlamente im jetzigen Sinne des Wortes waren; denn die<lb/>
ordentlichen Einnahmen Irlands kamen der Krone nach vererdenden Lehnrecht<lb/>
von selbst zu, sie brauchten also nicht alljährlich oder überhaupt periodisch be¬<lb/>
willigt zu werden. Diese Parlamente der Zeiten, in welchen die Eduards und<lb/>
Heinriche herrschten, waren bloße Konvente von Vertretern der englischen Ein¬<lb/>
wandrer und Ansiedler in Irland, unregelmäßig in ihrer Zusammensetzung, sowie<lb/>
in der Zeit und dem Orte ihres Zusammentrittes und ohne die Eigenschaften<lb/>
gesetzgebender oder auch nur beratender Körperschaften. Und doch machten selbst<lb/>
diese wenig bedeutenden Parlamente den Engländern, als die Kriege der britischen<lb/>
Rosen wüteten, wiederholt arge Not. Je nachdem die Partei Jork oder Lcmmster<lb/>
obenauf kam oder sank, herrschte in Irland die eine oder die andre, die eine<lb/>
widerrief nicht nur die Gesetze, welche die andre beschlossen hatte, sondern zog<lb/>
auch die Güter ein, welche den Mitgliedern der andern gehörten. Einmal gab<lb/>
es sogar zu einer und derselben Zeit zwei irische Parlamente, eins von der<lb/>
Partei der Weißen und eins von der Partei der roten Rose. Im Jahre 1486,<lb/>
also vor genau vierhundert Jahren, erklärte sich das irische Parlament für deu<lb/>
politischen Betrüger Lambert Simmel und ließ ihn in der Dubliner Christus¬<lb/>
kirche als Richard den Sechsten zum Könige von England und &#x201E;Herrn" von<lb/>
Irland krönen. Dies führte nach Unterdrückung dieser Rebellion zum Erlasse<lb/>
der sogenannten Poyningsatte, welche die Selbständigkeit des irischen Parlaments<lb/>
sehr einschränkte. Um nämlich den damals tiefgesunkeneu Einfluß Englands in<lb/>
Irland wieder zu heben, schickte Heinrich der Siebente den Sir Eduard Pohnings<lb/>
als Lordstatthaltcr mit Heeresmacht nach der Insel, und dieser gab der Ver¬<lb/>
fassung derselben eine Gestalt, nach der es dem irischen Parlamente nur mit<lb/>
Genehmigung des Königs von England oder dessen Stellvertreters gestattet war,<lb/>
sich zu versammeln, und nach der die Landesvertretung nur solche Gesetzvorschläge<lb/>
beraten durfte, welche die englische Regierung vorher geprüft und gutgeheißen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] Irische Parlamente. Lösung Gladstone versuchen will, immer von neuem unsre Aufmerksamkeit zu¬ wenden. Gladstone glaubt deu Gedanken des Home Rule ohne Schaden verwirk¬ lichen zu können, wenn er den Befugnissen seines irischen Parlaments Be¬ schränkungen und Bürgschaften beimischt. Die Geschichte aber zeigt, daß er damit irrt: die Erfahrung sollte die Engländer mehr als genügend belehrt haben, daß sich gegen gefährliche Ausschreitungen irischer Gesetzgeber keine hin- reichenden Sicherheiten ersinnen lassen. Man darf mit Bestimmtheit behaupten, daß von dein ersten Augenblicke an, wo ein irisches Parlament zu tagen begann, zwischen ihm und der englischen Exekutive sich Streitigkeiten über die Ausdehnung der beiderseitigen Rechte und Pflichten entwickelten. Gehen wir in die älteste Zeit der Verbindung Englands mit Irland oder der Herrschaft des erstern über das letztere zurück, so sehen wir, daß die Landtage, welche der Souverän bald in Dublin, bald in Kiltenny, bald in Drogheda, gelegentlich auch in London versammelte, nicht Parlamente im jetzigen Sinne des Wortes waren; denn die ordentlichen Einnahmen Irlands kamen der Krone nach vererdenden Lehnrecht von selbst zu, sie brauchten also nicht alljährlich oder überhaupt periodisch be¬ willigt zu werden. Diese Parlamente der Zeiten, in welchen die Eduards und Heinriche herrschten, waren bloße Konvente von Vertretern der englischen Ein¬ wandrer und Ansiedler in Irland, unregelmäßig in ihrer Zusammensetzung, sowie in der Zeit und dem Orte ihres Zusammentrittes und ohne die Eigenschaften gesetzgebender oder auch nur beratender Körperschaften. Und doch machten selbst diese wenig bedeutenden Parlamente den Engländern, als die Kriege der britischen Rosen wüteten, wiederholt arge Not. Je nachdem die Partei Jork oder Lcmmster obenauf kam oder sank, herrschte in Irland die eine oder die andre, die eine widerrief nicht nur die Gesetze, welche die andre beschlossen hatte, sondern zog auch die Güter ein, welche den Mitgliedern der andern gehörten. Einmal gab es sogar zu einer und derselben Zeit zwei irische Parlamente, eins von der Partei der Weißen und eins von der Partei der roten Rose. Im Jahre 1486, also vor genau vierhundert Jahren, erklärte sich das irische Parlament für deu politischen Betrüger Lambert Simmel und ließ ihn in der Dubliner Christus¬ kirche als Richard den Sechsten zum Könige von England und „Herrn" von Irland krönen. Dies führte nach Unterdrückung dieser Rebellion zum Erlasse der sogenannten Poyningsatte, welche die Selbständigkeit des irischen Parlaments sehr einschränkte. Um nämlich den damals tiefgesunkeneu Einfluß Englands in Irland wieder zu heben, schickte Heinrich der Siebente den Sir Eduard Pohnings als Lordstatthaltcr mit Heeresmacht nach der Insel, und dieser gab der Ver¬ fassung derselben eine Gestalt, nach der es dem irischen Parlamente nur mit Genehmigung des Königs von England oder dessen Stellvertreters gestattet war, sich zu versammeln, und nach der die Landesvertretung nur solche Gesetzvorschläge beraten durfte, welche die englische Regierung vorher geprüft und gutgeheißen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/140
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/140>, abgerufen am 28.12.2024.