Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.Zehn Prozent oder zwanzig? den verehrnngswürdigsten Vertretern seines Standes, Von Anfang an war er Wenn ich an die bekannten billigen Firmen in Berlin und Leipzig denke, Grmzlwtm II. 188". 17
Zehn Prozent oder zwanzig? den verehrnngswürdigsten Vertretern seines Standes, Von Anfang an war er Wenn ich an die bekannten billigen Firmen in Berlin und Leipzig denke, Grmzlwtm II. 188«. 17
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198203"/> <fw type="header" place="top"> Zehn Prozent oder zwanzig?</fw><lb/> <p xml:id="ID_363" prev="#ID_362"> den verehrnngswürdigsten Vertretern seines Standes, Von Anfang an war er<lb/> sich seiner großen Verantwortlichkeit bewußt gewesen. Nie kaufte er Bücher<lb/> von Knaben, die noch kein Eigentumsrecht über ihre Bibliothek hatten; wo er<lb/> von Erwachsenen antiquarische Werke erwarb, suchte er nie aus der Verlegenheit<lb/> des Käufers deu niedrigsten Preis zu erpressen, sondern bot sogleich, was die<lb/> Bücher wirklich sür ihn wert waren. Nie gewährte er einem von der Büchcr-<lb/> kanfleidenschaft befallenen Jünglinge Kredit, nie verschaffte er Bücher, von deren<lb/> Schädlichkeit er überzeugt war; er bemühte sich stets, aus vortrefflichen Werken<lb/> seinen Nutzen zu ziehen, und sagte nie sein empfehlendes Sprüchlein über Böses<lb/> und Gutes, wie so viele Geschäftsleute, Die größten Verdienste erwarb er sich<lb/> aber als Verleger, und es ist kein Zweifel, daß er für den Fortschritt der<lb/> Wissenschaft mehr geleistet hat als zehn Durchschnittsprofessoren, Er gehörte<lb/> zu jeuer hochachtbaren Reihe vou Buchhändlern, die hervorragende Werke ver¬<lb/> legen, auch wo sie pekuniären Schaden voraussehen können. Erscheinen doch<lb/> viele Werke und Fachzeitschriften von größter Bedeutung jahraus jahrein<lb/> zum Segen unsers geistigen Lebens und zum Schaden ihrer Verleger! Selten<lb/> finden diese ihren gebührenden Dank, oft werden sie verspottet, „Wollen Sie<lb/> sich denn mit Gewalt ruiniren? fragte ich meinen Freund zuweilen, denken Sie<lb/> denn, daß Ihr neuester Verlngsartikel mehr als hundert Käufer findet?" —<lb/> „O, am andern Ende kommt schon wieder heraus, was ich hier zusetze, und<lb/> alle Sachverständigen sagen ja, das Buch sei notwendig und der Verfasser müsse<lb/> unterstützt werden. Freilich, fügte er dann lächelnd hinzu, die Berliner und<lb/> Leipziger Buchhändler, an die die Herren gern ihre größern Bestellungen richten,<lb/> um ein paar Groschen zu gewinnen, die können sich das nicht erlauben, die<lb/> müssen mit Büchern handeln wie andre mit Heringen und Gurken, Sehen<lb/> Sie, ich hätte nicht ebensogut Krämer werden können, wir haben eben anch<lb/> Ideale oder Steckenpferde. Lächeln Sie nicht über meine Kollegen, die vor<lb/> ihrer eignen Firma Ehrfurcht haben. Lassen Sie einmal alle idealistisch ange¬<lb/> hauchten Buchhändler mit einem Tage verschwinden, die Hälfte aller bessern<lb/> Literatur verschwindet zugleich! Niemand überlegt sich, daß wir der Seele des<lb/> Einzelnen und der Volksseele gerade so nützen und schaden können wie die<lb/> Apotheker dem Leibe, daß die Gesellschaft an unserm Gewerbe dasselbe Interesse<lb/> nehmen sollte wie an denen, die Arznei und Gift für den Körper feilhnbeu."</p><lb/> <p xml:id="ID_364" next="#ID_365"> Wenn ich an die bekannten billigen Firmen in Berlin und Leipzig denke,<lb/> so fallen mir immer die großen Garderobengeschäfte ein, in denen man einen<lb/> Anzug für fünfzig Mark kaufen kann, der beim Schneider achtzig kostet. Ein<lb/> solches Geschäft versorgt jetzt einen Bezirk, in dem früher drei Tuchhändler und<lb/> zehn Schneider ihre Nahrung fanden. Es wird nach den Prinzipien der Neu¬<lb/> zeit geleitet: geringer Verdienst am einzelnen Stücke, riesige Ausdehnung des<lb/> Geschäftes, Akkord und möglichst weitgehende Teilung der Arbeit, rücksichtslose<lb/> Ausnutzung der Verhältnisse des Arbeitsmarktes, Anwendung der vollendetsten</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grmzlwtm II. 188«. 17</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0137]
Zehn Prozent oder zwanzig?
den verehrnngswürdigsten Vertretern seines Standes, Von Anfang an war er
sich seiner großen Verantwortlichkeit bewußt gewesen. Nie kaufte er Bücher
von Knaben, die noch kein Eigentumsrecht über ihre Bibliothek hatten; wo er
von Erwachsenen antiquarische Werke erwarb, suchte er nie aus der Verlegenheit
des Käufers deu niedrigsten Preis zu erpressen, sondern bot sogleich, was die
Bücher wirklich sür ihn wert waren. Nie gewährte er einem von der Büchcr-
kanfleidenschaft befallenen Jünglinge Kredit, nie verschaffte er Bücher, von deren
Schädlichkeit er überzeugt war; er bemühte sich stets, aus vortrefflichen Werken
seinen Nutzen zu ziehen, und sagte nie sein empfehlendes Sprüchlein über Böses
und Gutes, wie so viele Geschäftsleute, Die größten Verdienste erwarb er sich
aber als Verleger, und es ist kein Zweifel, daß er für den Fortschritt der
Wissenschaft mehr geleistet hat als zehn Durchschnittsprofessoren, Er gehörte
zu jeuer hochachtbaren Reihe vou Buchhändlern, die hervorragende Werke ver¬
legen, auch wo sie pekuniären Schaden voraussehen können. Erscheinen doch
viele Werke und Fachzeitschriften von größter Bedeutung jahraus jahrein
zum Segen unsers geistigen Lebens und zum Schaden ihrer Verleger! Selten
finden diese ihren gebührenden Dank, oft werden sie verspottet, „Wollen Sie
sich denn mit Gewalt ruiniren? fragte ich meinen Freund zuweilen, denken Sie
denn, daß Ihr neuester Verlngsartikel mehr als hundert Käufer findet?" —
„O, am andern Ende kommt schon wieder heraus, was ich hier zusetze, und
alle Sachverständigen sagen ja, das Buch sei notwendig und der Verfasser müsse
unterstützt werden. Freilich, fügte er dann lächelnd hinzu, die Berliner und
Leipziger Buchhändler, an die die Herren gern ihre größern Bestellungen richten,
um ein paar Groschen zu gewinnen, die können sich das nicht erlauben, die
müssen mit Büchern handeln wie andre mit Heringen und Gurken, Sehen
Sie, ich hätte nicht ebensogut Krämer werden können, wir haben eben anch
Ideale oder Steckenpferde. Lächeln Sie nicht über meine Kollegen, die vor
ihrer eignen Firma Ehrfurcht haben. Lassen Sie einmal alle idealistisch ange¬
hauchten Buchhändler mit einem Tage verschwinden, die Hälfte aller bessern
Literatur verschwindet zugleich! Niemand überlegt sich, daß wir der Seele des
Einzelnen und der Volksseele gerade so nützen und schaden können wie die
Apotheker dem Leibe, daß die Gesellschaft an unserm Gewerbe dasselbe Interesse
nehmen sollte wie an denen, die Arznei und Gift für den Körper feilhnbeu."
Wenn ich an die bekannten billigen Firmen in Berlin und Leipzig denke,
so fallen mir immer die großen Garderobengeschäfte ein, in denen man einen
Anzug für fünfzig Mark kaufen kann, der beim Schneider achtzig kostet. Ein
solches Geschäft versorgt jetzt einen Bezirk, in dem früher drei Tuchhändler und
zehn Schneider ihre Nahrung fanden. Es wird nach den Prinzipien der Neu¬
zeit geleitet: geringer Verdienst am einzelnen Stücke, riesige Ausdehnung des
Geschäftes, Akkord und möglichst weitgehende Teilung der Arbeit, rücksichtslose
Ausnutzung der Verhältnisse des Arbeitsmarktes, Anwendung der vollendetsten
Grmzlwtm II. 188«. 17
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