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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Scmntagsarbeit,

dergestalt zu fasse", daß sie zu einem solchen Mißbräuche keinen Anlaß geben,
Doch stehen wir durchaus nicht an, zu behaupten, daß es vielen jungen Leuten
beiderlei Geschlechts heilsamer wäre, den Sonntag-Nachmittag oder -Abend in
einem christlichen (evangelischen oder katholischen) Vereine zuzubringen, als auf
dem Tanzboden oder in der Schenke,

Andre erklären um, zum Schutze der Sonntagsheiligung oder der Sonn¬
tagsruhe seien keine neuen Vorschriften notwendig, weil die Bestimmungen
des Strafgesetzbuches und der Neichsgewerbevrdnung, sowie die Berechtigung
der Polizeibehörden zum Erlaß entsprechender Vorschriften bereits vollständig
genügten. Dabei wird aber übersehen, daß die entsprechende Strafbestimmung
des Strafgesetzbuches (Z 366 Satz 1) nur die Übertretung der gegen die Störung
der Feier der Sonn- und Festtage erlassenen Anordnungen mit Strafe bedroht,
solche Anordnungen also vor allen Dingen vorhanden sein müssen, ehe diese
gesetzliche Bestimmung in Kraft treten kann. Man übersieht ferner, daß nicht
nur in jedem deutschen Vnndesstaate, sondern in den Staaten von einigem
Umfange auch noch in deren einzelnen Teilen verschiedne Sonntagsvrdnungeu
bestehen, und daß viele Gegenden unsers deutschen Vaterlandes noch so zer¬
stückelt sind, daß man bequem in einem Tage die verschiedensten Staatsgebiete
durchwandern kann. Mit Rücksicht hierauf ist es unbedingt notwendig, daß für
das ganze deutsche Reichsgebiet einheitliche Bestimmungen erlassen werden, soweit,
wie auf dem Gebiete der Gewcrbegesetzgebnng, das Reich zuständig ist, auf dem
Wege der Reichsgesetzgebung, soweit es zur Zuständigkeit der einzelnen Bundes^
Staaten gehört, durch diese, aber nach vorgängiger Vereinbarung über den Inhalt
der zu erlassenden Vorschriften, damit überall in Deutschland gleiches Recht herrsche.
Es bedarf nicht der Bemerkung, daß alle solche Vorschriften den Lokalbehörden
einen gewissen Spielraum lasse" müssen, um nach den örtlichen oder zeitlichen
Bedürfnisse!, weitergehende Vorschriften zu erlassen oder Befreiungen zu be¬
willigen; allein mit Rücksicht ans die Lokalpolizeibehörden müssen die allgemeinen
Vorschriften so gefaßt werden, daß wirklich nur Ausnahmefälle zur Entscheidung
dieser Behörden gelangen, daß nicht allsonntäglich regelmäßig wiederkehrende,
an und für sich unschuldige Dinge, z, B. Bestellung vou Garten- und Bect-
land in deu frühen Morgenstunde" u, dergl., der polizeilichen Genehmigung
unterbreitet werden müssen. Auch die Bestimmungen der Neichsgewerbevrdnung
genügen nicht: gehen sie (Paragraph 103, 120 und 136) auch von dem ganz
richtigen Gesichtspunkte aus, daß niemandem für seine Person die Sonntagsfeier
aufgedrängt, wohl aber alles beseitigt werden soll, was ihn (abgesehen von Aus-
nahmefällen) daran hindern könnte, so ist doch die Verwirklichung dieses Gedankens
ungenügend, indem mir allgemein gesagt wird, daß die Arbeiter zur Sonntagsarbeit
nicht gezwungen werden können, daß den Lehrlingen Zeit zum Besuche des Gottes¬
dienstes gelassen werden muß und daß jugendliche Arbeiter nicht an Sonntagen be¬
schäftigt werden dürfen, und auf die Übertretung dieser Bestimmungen'zwar Strafen


Die Scmntagsarbeit,

dergestalt zu fasse», daß sie zu einem solchen Mißbräuche keinen Anlaß geben,
Doch stehen wir durchaus nicht an, zu behaupten, daß es vielen jungen Leuten
beiderlei Geschlechts heilsamer wäre, den Sonntag-Nachmittag oder -Abend in
einem christlichen (evangelischen oder katholischen) Vereine zuzubringen, als auf
dem Tanzboden oder in der Schenke,

Andre erklären um, zum Schutze der Sonntagsheiligung oder der Sonn¬
tagsruhe seien keine neuen Vorschriften notwendig, weil die Bestimmungen
des Strafgesetzbuches und der Neichsgewerbevrdnung, sowie die Berechtigung
der Polizeibehörden zum Erlaß entsprechender Vorschriften bereits vollständig
genügten. Dabei wird aber übersehen, daß die entsprechende Strafbestimmung
des Strafgesetzbuches (Z 366 Satz 1) nur die Übertretung der gegen die Störung
der Feier der Sonn- und Festtage erlassenen Anordnungen mit Strafe bedroht,
solche Anordnungen also vor allen Dingen vorhanden sein müssen, ehe diese
gesetzliche Bestimmung in Kraft treten kann. Man übersieht ferner, daß nicht
nur in jedem deutschen Vnndesstaate, sondern in den Staaten von einigem
Umfange auch noch in deren einzelnen Teilen verschiedne Sonntagsvrdnungeu
bestehen, und daß viele Gegenden unsers deutschen Vaterlandes noch so zer¬
stückelt sind, daß man bequem in einem Tage die verschiedensten Staatsgebiete
durchwandern kann. Mit Rücksicht hierauf ist es unbedingt notwendig, daß für
das ganze deutsche Reichsgebiet einheitliche Bestimmungen erlassen werden, soweit,
wie auf dem Gebiete der Gewcrbegesetzgebnng, das Reich zuständig ist, auf dem
Wege der Reichsgesetzgebung, soweit es zur Zuständigkeit der einzelnen Bundes^
Staaten gehört, durch diese, aber nach vorgängiger Vereinbarung über den Inhalt
der zu erlassenden Vorschriften, damit überall in Deutschland gleiches Recht herrsche.
Es bedarf nicht der Bemerkung, daß alle solche Vorschriften den Lokalbehörden
einen gewissen Spielraum lasse» müssen, um nach den örtlichen oder zeitlichen
Bedürfnisse!, weitergehende Vorschriften zu erlassen oder Befreiungen zu be¬
willigen; allein mit Rücksicht ans die Lokalpolizeibehörden müssen die allgemeinen
Vorschriften so gefaßt werden, daß wirklich nur Ausnahmefälle zur Entscheidung
dieser Behörden gelangen, daß nicht allsonntäglich regelmäßig wiederkehrende,
an und für sich unschuldige Dinge, z, B. Bestellung vou Garten- und Bect-
land in deu frühen Morgenstunde» u, dergl., der polizeilichen Genehmigung
unterbreitet werden müssen. Auch die Bestimmungen der Neichsgewerbevrdnung
genügen nicht: gehen sie (Paragraph 103, 120 und 136) auch von dem ganz
richtigen Gesichtspunkte aus, daß niemandem für seine Person die Sonntagsfeier
aufgedrängt, wohl aber alles beseitigt werden soll, was ihn (abgesehen von Aus-
nahmefällen) daran hindern könnte, so ist doch die Verwirklichung dieses Gedankens
ungenügend, indem mir allgemein gesagt wird, daß die Arbeiter zur Sonntagsarbeit
nicht gezwungen werden können, daß den Lehrlingen Zeit zum Besuche des Gottes¬
dienstes gelassen werden muß und daß jugendliche Arbeiter nicht an Sonntagen be¬
schäftigt werden dürfen, und auf die Übertretung dieser Bestimmungen'zwar Strafen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/115>, abgerufen am 04.07.2024.