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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Zum Sprachenkampfe in Österreich.

gemäß möglichst eifrig, wenigstens viel eifriger und gründlicher als bisher, wo
sie freier Gegenstand war, betrieben. Anderseits möge, da die Tschechen auf
dieser Forderung als eonclitio sine pus, non nun einmal bestehen, auch die
tschechische Sprache an den deutschen Mittelschulen für obligat erklärt werden,
jedoch wohlverstanden nur in einem solchen Maße, als dies ohne wesentliche
Beeinträchtigung der andern Unterrichtsgegenstände geschehen kann, der Schüler
nicht überbürdet wird und sich nur ein gewisses Verständnis dieser Sprache er¬
werben soll, ihm also nicht etwa zugemutet wird, sich eine gründliche Kenntnis
derselben anzueignen. Man hätte sich also -- so denken wir uns die Sache -- im
Untergymnasium (Unterrealschule) auf die Übersetzung einfacher Aufgaben aus
dem Böhmischen ins Deutsche, in den vier obern Klassen auf die Übertragung
nicht zu verwickelter Übersetzungsstücke aus dem Deutschen ius Böhmische zu be¬
schränken. Dagegen müßten größere selbständige Stilübungen, welche ein selbst¬
thätiges Denken in der betreffenden Sprache voraussetze", durchaus ausgeschlossen
sein. Denn mit der gründlichen Aneignung des Tschechischen hat es für den
Deutschen eine eigne Bewandtnis: die Muttersprache leidet ganz entschieden
darunter, das Sprachorgan wird verdorben, ein Nachteil, der sich dem Ohr
recht unangenehm bemerkbar zu machen weiß, wie wir dies täglich in Orten
mit gemischter deutsch-tschechischer Bevölkerung wahrnehmen können. Auf die
angedeutete Weise wäre ein wichtiges Streitobjekt beseitigt, dem Selbst¬
bewußtsein und Nationalstolz der Tschechen ohne allzugroße Opfer der Deutschen
Rechnung getragen, und eine Verständigung in den weitern Punkten dürfte dann
nicht allzulange auf sich warten lassen.

Die endliche Beilegung der eisleithanischen, also hauptsächlich deutsch¬
tschechischen Sprachenkämpfe wäre von unabsehbaren, segensreichen Folgen nicht
bloß für "Österreich," sondern für die ganze Monarchie. Ja wir sind sanguinisch
genug, zu glauben, daß ein in sich gefestigtes Cisleithcmien der erste Schritt
wäre zur Brechung der immer übermütiger und toller sich geberdenden magya¬
rischen Großmannssucht, und daß im Laufe der Zeit, sollte es auch nicht mehr
möglich sein, die erste Forderung und Eigenschaft eines konstitutionellen Groß-
staatcs: ein Zentralparlament für die innern Angelegenheiten von Cis und
Trans, wieder ins Leben zu rufen, der Einheitsgcdanke des Gesamtreiches we¬
nigstens nach außen hin in einer Art Zentraldelegation (für die gemeinsamen
und äußern Angelegenheiten), deren herrschende Verhandlungssprache die deutsche
sein müßte, zum Ausdruck gebracht werden könne. Eine derartige, gewiß höchst
bescheidene Reform, mit der vielleicht anch die Wiedereinsetzung des alten Namens
"Österreich" schlechtweg (statt österreichisch-ungarische oder richtiger ungarisch¬
österreichische Monarchie) Hand in Hand gehen könnte, würde selbst in Trans-
leithanien (von den Magyaren natürlich abgesehen) kaum auf ernsten Widerstand
stoßen, weder bei den Deutsch-Ungarn noch bei den die grünweißrote Fahne
verabscheuenden, viel eher dem schwarzgelb zuneigenden Kroaten und Slowaken.




Grenzboten II. 1886.
14
Zum Sprachenkampfe in Österreich.

gemäß möglichst eifrig, wenigstens viel eifriger und gründlicher als bisher, wo
sie freier Gegenstand war, betrieben. Anderseits möge, da die Tschechen auf
dieser Forderung als eonclitio sine pus, non nun einmal bestehen, auch die
tschechische Sprache an den deutschen Mittelschulen für obligat erklärt werden,
jedoch wohlverstanden nur in einem solchen Maße, als dies ohne wesentliche
Beeinträchtigung der andern Unterrichtsgegenstände geschehen kann, der Schüler
nicht überbürdet wird und sich nur ein gewisses Verständnis dieser Sprache er¬
werben soll, ihm also nicht etwa zugemutet wird, sich eine gründliche Kenntnis
derselben anzueignen. Man hätte sich also — so denken wir uns die Sache — im
Untergymnasium (Unterrealschule) auf die Übersetzung einfacher Aufgaben aus
dem Böhmischen ins Deutsche, in den vier obern Klassen auf die Übertragung
nicht zu verwickelter Übersetzungsstücke aus dem Deutschen ius Böhmische zu be¬
schränken. Dagegen müßten größere selbständige Stilübungen, welche ein selbst¬
thätiges Denken in der betreffenden Sprache voraussetze», durchaus ausgeschlossen
sein. Denn mit der gründlichen Aneignung des Tschechischen hat es für den
Deutschen eine eigne Bewandtnis: die Muttersprache leidet ganz entschieden
darunter, das Sprachorgan wird verdorben, ein Nachteil, der sich dem Ohr
recht unangenehm bemerkbar zu machen weiß, wie wir dies täglich in Orten
mit gemischter deutsch-tschechischer Bevölkerung wahrnehmen können. Auf die
angedeutete Weise wäre ein wichtiges Streitobjekt beseitigt, dem Selbst¬
bewußtsein und Nationalstolz der Tschechen ohne allzugroße Opfer der Deutschen
Rechnung getragen, und eine Verständigung in den weitern Punkten dürfte dann
nicht allzulange auf sich warten lassen.

Die endliche Beilegung der eisleithanischen, also hauptsächlich deutsch¬
tschechischen Sprachenkämpfe wäre von unabsehbaren, segensreichen Folgen nicht
bloß für „Österreich," sondern für die ganze Monarchie. Ja wir sind sanguinisch
genug, zu glauben, daß ein in sich gefestigtes Cisleithcmien der erste Schritt
wäre zur Brechung der immer übermütiger und toller sich geberdenden magya¬
rischen Großmannssucht, und daß im Laufe der Zeit, sollte es auch nicht mehr
möglich sein, die erste Forderung und Eigenschaft eines konstitutionellen Groß-
staatcs: ein Zentralparlament für die innern Angelegenheiten von Cis und
Trans, wieder ins Leben zu rufen, der Einheitsgcdanke des Gesamtreiches we¬
nigstens nach außen hin in einer Art Zentraldelegation (für die gemeinsamen
und äußern Angelegenheiten), deren herrschende Verhandlungssprache die deutsche
sein müßte, zum Ausdruck gebracht werden könne. Eine derartige, gewiß höchst
bescheidene Reform, mit der vielleicht anch die Wiedereinsetzung des alten Namens
„Österreich" schlechtweg (statt österreichisch-ungarische oder richtiger ungarisch¬
österreichische Monarchie) Hand in Hand gehen könnte, würde selbst in Trans-
leithanien (von den Magyaren natürlich abgesehen) kaum auf ernsten Widerstand
stoßen, weder bei den Deutsch-Ungarn noch bei den die grünweißrote Fahne
verabscheuenden, viel eher dem schwarzgelb zuneigenden Kroaten und Slowaken.




Grenzboten II. 1886.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/113>, abgerufen am 24.07.2024.