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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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solle; 2. daß man niemand, der dieser Sprache nicht kundig ist, das Bürger¬
recht erteile, und 3. alle diejenigen, welche böhmisch können und nicht reden,
aus dem Lande schaffen solle(!). Dieser Eifer aber für die tschechische Sprache
nahm bald ab, besonders unter Ferdinand II., da die deutsche Sprache bei
allen öffentlichen Gerichten erlaubt und eingeführt worden ist. Von dieser Zeit
an drang diese von Sachsen, Baiern und Österreich mit großen Schritten alle¬
zeit tiefer ins Land ein, und man trifft jetzt ganze Kreise deutsch an, wo ehedem
die tschechische Sprache allein üblich war."

Wenn also später unter den Nachfolgern Ferdinands II. die tschechische
Sprache in den höhern und mittlern standet? weniger gepflegt wurde als
früher, so ist dies einerseits der lateinischen Sprache, die damals Schul- und
Lehrsprache war, anderseits der beginnenden Kultur und der Verbreitung der
deutscheu und andrer Sprachen, keineswegs aber volksfeindlichen Bestrebungen
der Negierung zuzuschreiben. Josef II. z. B-, dem man speziell die Be¬
günstigung der deutschen Nationalität auf Kosten der tschechischen andichtet,
hat vielmehr letztere eher begünstigt und belebt. Er war es, der die Ver¬
öffentlichung aller Gesetze in beiden Landessprachen, die Verpflichtung aller
öffentlichen Beamten zur Kenntnis der deutschen und tschechischen Sprache, die
Aufnahme aller Verhöre in der Sprache der Vernommenen, die Verpflichtung
aller Behörden zur Annahme aller Eingaben in der von dem Eiubriuger ge¬
wählten Sprache, endlich die Verpflichtung des Klerus zum Gebrauche der in
der Gegend am meisten üblichen Landessprache vorschrieb und nachdrücklich em¬
pfahl. Kaiser Josef II. war also ein Freund und Wohlthäter der Tschechen,
und wenn er anstatt der lateinischen die deutsche Sprache zur Schul- und Unter¬
richtssprache erhob, so that er dies eben nur in der Absicht, die geistige und
wissenschaftliche Bildung des Volkes zu fördern, nicht aus Vorliebe, sondern
nnr in gerechter, väterlicher Fürsorge für die Deutschböhmen und in weiser Be¬
achtung der Forderungen der Zeit und des Staates.

Also nicht erst in der Neuzeit, durch gewaltsame Germanisirung, sondern
durch die Macht und den Drang der Verhältnisse hat die deutsche Sprache
allmählich Verbreitung im Lande gefunden und das Recht erworben, von ihr
als Staatssprache ganz abgesehen, gleich der tschechischen geachtet und gepflegt
zu werden. Ja die Tschechen selbst müßten, wenn sie statt nach allerhand
Utopien nach dem schönern Ruhme strebten, geistige Vermittler zu werden zwischen
dem hente schroff einander gegenüberstehenden Deutschtum und Slawentum,
wozu Böhmen durch seine geographische Lage und durch den Dualismus seiner
Bewohner bestimmt scheint, der deutschen Sprache dieselbe Pflege angedeihen
lassen wie der tschechischen.

Aus der andern Seite können wir leider aber auch den Deutschen in ihrem
Verhalten zur zweiten Landessprache den Vorwurf eines allzu schroffen, ein¬
seitigen Standpunktes nicht ersparen; möge uns dieses freimütige Bekenntnis


solle; 2. daß man niemand, der dieser Sprache nicht kundig ist, das Bürger¬
recht erteile, und 3. alle diejenigen, welche böhmisch können und nicht reden,
aus dem Lande schaffen solle(!). Dieser Eifer aber für die tschechische Sprache
nahm bald ab, besonders unter Ferdinand II., da die deutsche Sprache bei
allen öffentlichen Gerichten erlaubt und eingeführt worden ist. Von dieser Zeit
an drang diese von Sachsen, Baiern und Österreich mit großen Schritten alle¬
zeit tiefer ins Land ein, und man trifft jetzt ganze Kreise deutsch an, wo ehedem
die tschechische Sprache allein üblich war."

Wenn also später unter den Nachfolgern Ferdinands II. die tschechische
Sprache in den höhern und mittlern standet? weniger gepflegt wurde als
früher, so ist dies einerseits der lateinischen Sprache, die damals Schul- und
Lehrsprache war, anderseits der beginnenden Kultur und der Verbreitung der
deutscheu und andrer Sprachen, keineswegs aber volksfeindlichen Bestrebungen
der Negierung zuzuschreiben. Josef II. z. B-, dem man speziell die Be¬
günstigung der deutschen Nationalität auf Kosten der tschechischen andichtet,
hat vielmehr letztere eher begünstigt und belebt. Er war es, der die Ver¬
öffentlichung aller Gesetze in beiden Landessprachen, die Verpflichtung aller
öffentlichen Beamten zur Kenntnis der deutschen und tschechischen Sprache, die
Aufnahme aller Verhöre in der Sprache der Vernommenen, die Verpflichtung
aller Behörden zur Annahme aller Eingaben in der von dem Eiubriuger ge¬
wählten Sprache, endlich die Verpflichtung des Klerus zum Gebrauche der in
der Gegend am meisten üblichen Landessprache vorschrieb und nachdrücklich em¬
pfahl. Kaiser Josef II. war also ein Freund und Wohlthäter der Tschechen,
und wenn er anstatt der lateinischen die deutsche Sprache zur Schul- und Unter¬
richtssprache erhob, so that er dies eben nur in der Absicht, die geistige und
wissenschaftliche Bildung des Volkes zu fördern, nicht aus Vorliebe, sondern
nnr in gerechter, väterlicher Fürsorge für die Deutschböhmen und in weiser Be¬
achtung der Forderungen der Zeit und des Staates.

Also nicht erst in der Neuzeit, durch gewaltsame Germanisirung, sondern
durch die Macht und den Drang der Verhältnisse hat die deutsche Sprache
allmählich Verbreitung im Lande gefunden und das Recht erworben, von ihr
als Staatssprache ganz abgesehen, gleich der tschechischen geachtet und gepflegt
zu werden. Ja die Tschechen selbst müßten, wenn sie statt nach allerhand
Utopien nach dem schönern Ruhme strebten, geistige Vermittler zu werden zwischen
dem hente schroff einander gegenüberstehenden Deutschtum und Slawentum,
wozu Böhmen durch seine geographische Lage und durch den Dualismus seiner
Bewohner bestimmt scheint, der deutschen Sprache dieselbe Pflege angedeihen
lassen wie der tschechischen.

Aus der andern Seite können wir leider aber auch den Deutschen in ihrem
Verhalten zur zweiten Landessprache den Vorwurf eines allzu schroffen, ein¬
seitigen Standpunktes nicht ersparen; möge uns dieses freimütige Bekenntnis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/111>, abgerufen am 25.07.2024.