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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Zum Sprachcnkmnpfe in Österreich.

werden, und so werden die Tschechen allein stehen. Sie drohen zwar mit einer
abermaligen "Sezession," falls der Scharschmidsche Entwurf je Gesetz werden
sollte, allein diese Drohung kann nur politische Kiuder schrecken. Die Verhältnisse
liegen eben heute ganz anders als zur Zeit und während der Dauer jenes ersten
Exodus. Sollte" sie selbst jene Drohung im ersten Augenblicke der Erbitterung
und der verletzten Nationaleitelkeit ausführen und dem Neichsrate auf kurze Zeit
den Rücken kehren, auf die Dauer ist heute bei deu stürmisch wogenden poli¬
tischen Verhältnissen an die Abstinenz einer politisch so regsamen, lebenskräftigen,
nichts weniger als auf Selbstmord ausgehenden Nation wie der tschechischen,
nicht entfernt zu denken. Die "Führer" vielleicht, keinesfalls aber die Wähler¬
schaft, würden sich ein zweitesmal in die Rolle des schmollenden Achilles finden.

Es gab eine Zeit, wo das Tschechische gewissermaßen Staatssprache in
Böhmen war, allein diese Periode liegt in so weiter Ferne, war übrigens von
so kurzer Dauer und die politische Lage hat sich seitdem insbesondre durch die
Begründung der deutschen, Böhmen wie eine Zange umklammernden Weltmacht
so gründlich verändert, daß tschechische Phantasterei von der Wiederherstellung
eines Nationalstaates und dessen Attributes, der tschechischen Staatssprache, wohl
träumen, der vernünftige Politiker aber an eine Verwirklichung derselben kaum
ernstlich denken kann. Diese Wandlung geschah übrigens auf ganz naturgemäßen
Wege, keineswegs durch künstliche Germanisirung, wie die Tschechen behaupten.
Wie es gekommen ist, daß im Laufe der Zeit die tschechische Sprache, aus ihrer
ehemals bevorzugten Stellung verdrängt, aufgehört hat, die alleinige Landes¬
sprache zu sein, darüber giebt uns der slawische Gelehrte Pater I. Schalter
in seiner 1770 erschienenen Topographie Böhmens Aufschluß. Dort heißt es
in der Einleitung: "Obschon die slawische Sprache, welche unsre ersten Vor¬
fahren aus ihren alten Wohnsitzen nach Böhmen gebracht haben, sowohl im
ganzen Lande, als auch bei Hofe selbst, so lange einheimische Herzoge und Könige
das Land regierten, herrschend gewesen war, so weiß man doch zuverlässig aus
deu allerciltcsten Urkunden des zehnten und elften Jahrhunderts, daß alle Neichs-
sachen, wie auch die Inschriften der Münzen in lateinischer Sprache verfaßt
worden sind. Diese Hof- und Landessprache blieb unverändert bis auf die
Zeit des Königs Johann. Hier pflogen die Böhmen einen genauen Umgang
mit auswärtigen Völkern und fingen zugleich an, sich der deutschen, italienischen
und französischen Sprache zu bedienen. Dessen ungeachtet räumten die Böhmen
zu allen Zeiten ihrer Muttersprache den Vorzug ein, ja man bemühte sich um
desto fleißiger, besonders zu Rudolfs II. Zeiten, dieselbe auszubilden und
allezeit mehr und mehr in Aufnahme zu bringen. Zu diesem Ende wurde
wurde 1615 ans dem Landtage zu Prag beschlossen: 1. daß in allen Pfarr¬
kirchen und Schulen, wo die böhmische Sprache zu solcher Zeit üblich war, sie
auch ferner gepredigt, gelehrt und beibehalten, in den übrigen aber dieselbe als¬
bald nach dem Ableben des Pfarrers oder Schulmeisters hergestellt werden


Zum Sprachcnkmnpfe in Österreich.

werden, und so werden die Tschechen allein stehen. Sie drohen zwar mit einer
abermaligen „Sezession," falls der Scharschmidsche Entwurf je Gesetz werden
sollte, allein diese Drohung kann nur politische Kiuder schrecken. Die Verhältnisse
liegen eben heute ganz anders als zur Zeit und während der Dauer jenes ersten
Exodus. Sollte» sie selbst jene Drohung im ersten Augenblicke der Erbitterung
und der verletzten Nationaleitelkeit ausführen und dem Neichsrate auf kurze Zeit
den Rücken kehren, auf die Dauer ist heute bei deu stürmisch wogenden poli¬
tischen Verhältnissen an die Abstinenz einer politisch so regsamen, lebenskräftigen,
nichts weniger als auf Selbstmord ausgehenden Nation wie der tschechischen,
nicht entfernt zu denken. Die „Führer" vielleicht, keinesfalls aber die Wähler¬
schaft, würden sich ein zweitesmal in die Rolle des schmollenden Achilles finden.

Es gab eine Zeit, wo das Tschechische gewissermaßen Staatssprache in
Böhmen war, allein diese Periode liegt in so weiter Ferne, war übrigens von
so kurzer Dauer und die politische Lage hat sich seitdem insbesondre durch die
Begründung der deutschen, Böhmen wie eine Zange umklammernden Weltmacht
so gründlich verändert, daß tschechische Phantasterei von der Wiederherstellung
eines Nationalstaates und dessen Attributes, der tschechischen Staatssprache, wohl
träumen, der vernünftige Politiker aber an eine Verwirklichung derselben kaum
ernstlich denken kann. Diese Wandlung geschah übrigens auf ganz naturgemäßen
Wege, keineswegs durch künstliche Germanisirung, wie die Tschechen behaupten.
Wie es gekommen ist, daß im Laufe der Zeit die tschechische Sprache, aus ihrer
ehemals bevorzugten Stellung verdrängt, aufgehört hat, die alleinige Landes¬
sprache zu sein, darüber giebt uns der slawische Gelehrte Pater I. Schalter
in seiner 1770 erschienenen Topographie Böhmens Aufschluß. Dort heißt es
in der Einleitung: „Obschon die slawische Sprache, welche unsre ersten Vor¬
fahren aus ihren alten Wohnsitzen nach Böhmen gebracht haben, sowohl im
ganzen Lande, als auch bei Hofe selbst, so lange einheimische Herzoge und Könige
das Land regierten, herrschend gewesen war, so weiß man doch zuverlässig aus
deu allerciltcsten Urkunden des zehnten und elften Jahrhunderts, daß alle Neichs-
sachen, wie auch die Inschriften der Münzen in lateinischer Sprache verfaßt
worden sind. Diese Hof- und Landessprache blieb unverändert bis auf die
Zeit des Königs Johann. Hier pflogen die Böhmen einen genauen Umgang
mit auswärtigen Völkern und fingen zugleich an, sich der deutschen, italienischen
und französischen Sprache zu bedienen. Dessen ungeachtet räumten die Böhmen
zu allen Zeiten ihrer Muttersprache den Vorzug ein, ja man bemühte sich um
desto fleißiger, besonders zu Rudolfs II. Zeiten, dieselbe auszubilden und
allezeit mehr und mehr in Aufnahme zu bringen. Zu diesem Ende wurde
wurde 1615 ans dem Landtage zu Prag beschlossen: 1. daß in allen Pfarr¬
kirchen und Schulen, wo die böhmische Sprache zu solcher Zeit üblich war, sie
auch ferner gepredigt, gelehrt und beibehalten, in den übrigen aber dieselbe als¬
bald nach dem Ableben des Pfarrers oder Schulmeisters hergestellt werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/110>, abgerufen am 25.07.2024.