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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Fortschreiten begriffen, das Reich auf dem Punkte, durch die immer weiter aus¬
einandergehenden Bestrebungen seiner Teile vollends zerrissen zu werden, "ach
außen bin, trotz des deutschen Bündnisses, an Ansehen und Einfluß gesunken,
und, als "Bund zweier Mittelstaaten," seinen Platz unter den europäischen
Großmächten nur noch einer Art von althergebrachter Pietät verdankend -- das
sind die Früchte eiuer zwanzigjährigen, Fehler an Fehler reisenden Politik.

Es fragt sich um: Lassen die gegenwärtigen Krankheitszustände Österreichs
eine Hoffnung auf Heilung zu? Läßt sich die Zerstörung, womit sie den
österreichischen Patriotismus bedrohen, abhalten, abwenden durch zeitgemäße,
wirksame Gegenmittel? Oder bliebe den Deutschen nichts andres übrig, als
mit der Ruhe der Verzweiflung die Hände in den Schoß zu legen und den
Staatswagen in seinem verderblichen Laufe gewähren zu lassen, bis er in den
Abgrund hinabrollt? Niemand, der es mit der Monarchie gut meint, wird
sich einer so traurigen Hoffnungslosigkeit hingeben und an der Möglichkeit der
Rettung verzweifeln. Doch helfen dazu keine halben Maßregeln, sondern nur
eine thatkräftige Reform; es muß mit der Vergangenheit gebrochen werden, ein
neuer Geist muß an ihre Stelle treten, und neue Männer, von denen Heil
und Rettung kommen kann. Wer immer der Nachfolger des Ministeriums
Taaffe sein wird -- die Zeit ist vielleicht nicht mehr fern --, der muß wissen,
daß er vor einer der größten Aufgaben Österreichs steht, welche nicht dnrch
schwächliche Vermittlung und "Versöhnung," sondern nur durch eine kühne That
zu lösen ist, und diese ist die Schaffung oder vielmehr gesetzliche Bestimmung
einer Staatssprache, als welche selbstverständlich nur die deutsche gelten kann.
Von der deutschen Minorität eingebracht und von dieser allein gestützt, ist
der Vorschlag eines solchen Gesetzes freilich mir ein Schlag ins Wasser (siehe
die Anträge Wurmbrands und Scharschmids); ganz anders wird sich jedoch
die Lage gestalten, wenn eine thatkräftige, echt deutsch und dabei doch wahr¬
haft österreichisch gesinnte Negierung die Sache in die Hand nimmt, zu der
ihrigen macht, und mit der von der Krone gebilligten Erklärung, daß die
endliche Lösung der Sprachenfrage eine unabweisliche Forderung, eine Lebens¬
frage für den österreichischen Staat sei, auf den in der laufenden Session
so schnöde aufgenommenen und augenblicklich aussichtslosen Scharschmidschen
(oder einen ähnlichen) Antrag, der den Nationalitäten mehr als hinreichende
Freiheit der Bewegung und Entwicklung gewährt, zurückgreift. Es wird
sich dann zeigen -- man braucht kein Prophet zu sein --, daß die Tschechen
(und allenfalls noch die Handvoll Südtiroler Jtalianissimi) nach wie vor über
"Provokation," "Impertinenz," "Dynamitbomben," "Geßlerhut" u. dergl.
schreien werden, daß aber weder Polen und Dalmatiner, da diese ja -- leider! --
längst vou der deutschen Staatssprache ansgenvmmc" sind, noch Deutsch-Klerikale
und Demokraten, denen ein Veto unzweifelhaft das Mandat kosten würde, dieses
Grundgesetz eiuer geordneten Verwaltung zu Falle zu bringen den Mut haben


Fortschreiten begriffen, das Reich auf dem Punkte, durch die immer weiter aus¬
einandergehenden Bestrebungen seiner Teile vollends zerrissen zu werden, »ach
außen bin, trotz des deutschen Bündnisses, an Ansehen und Einfluß gesunken,
und, als „Bund zweier Mittelstaaten," seinen Platz unter den europäischen
Großmächten nur noch einer Art von althergebrachter Pietät verdankend — das
sind die Früchte eiuer zwanzigjährigen, Fehler an Fehler reisenden Politik.

Es fragt sich um: Lassen die gegenwärtigen Krankheitszustände Österreichs
eine Hoffnung auf Heilung zu? Läßt sich die Zerstörung, womit sie den
österreichischen Patriotismus bedrohen, abhalten, abwenden durch zeitgemäße,
wirksame Gegenmittel? Oder bliebe den Deutschen nichts andres übrig, als
mit der Ruhe der Verzweiflung die Hände in den Schoß zu legen und den
Staatswagen in seinem verderblichen Laufe gewähren zu lassen, bis er in den
Abgrund hinabrollt? Niemand, der es mit der Monarchie gut meint, wird
sich einer so traurigen Hoffnungslosigkeit hingeben und an der Möglichkeit der
Rettung verzweifeln. Doch helfen dazu keine halben Maßregeln, sondern nur
eine thatkräftige Reform; es muß mit der Vergangenheit gebrochen werden, ein
neuer Geist muß an ihre Stelle treten, und neue Männer, von denen Heil
und Rettung kommen kann. Wer immer der Nachfolger des Ministeriums
Taaffe sein wird — die Zeit ist vielleicht nicht mehr fern —, der muß wissen,
daß er vor einer der größten Aufgaben Österreichs steht, welche nicht dnrch
schwächliche Vermittlung und „Versöhnung," sondern nur durch eine kühne That
zu lösen ist, und diese ist die Schaffung oder vielmehr gesetzliche Bestimmung
einer Staatssprache, als welche selbstverständlich nur die deutsche gelten kann.
Von der deutschen Minorität eingebracht und von dieser allein gestützt, ist
der Vorschlag eines solchen Gesetzes freilich mir ein Schlag ins Wasser (siehe
die Anträge Wurmbrands und Scharschmids); ganz anders wird sich jedoch
die Lage gestalten, wenn eine thatkräftige, echt deutsch und dabei doch wahr¬
haft österreichisch gesinnte Negierung die Sache in die Hand nimmt, zu der
ihrigen macht, und mit der von der Krone gebilligten Erklärung, daß die
endliche Lösung der Sprachenfrage eine unabweisliche Forderung, eine Lebens¬
frage für den österreichischen Staat sei, auf den in der laufenden Session
so schnöde aufgenommenen und augenblicklich aussichtslosen Scharschmidschen
(oder einen ähnlichen) Antrag, der den Nationalitäten mehr als hinreichende
Freiheit der Bewegung und Entwicklung gewährt, zurückgreift. Es wird
sich dann zeigen — man braucht kein Prophet zu sein —, daß die Tschechen
(und allenfalls noch die Handvoll Südtiroler Jtalianissimi) nach wie vor über
„Provokation," „Impertinenz," „Dynamitbomben," „Geßlerhut" u. dergl.
schreien werden, daß aber weder Polen und Dalmatiner, da diese ja — leider! —
längst vou der deutschen Staatssprache ansgenvmmc» sind, noch Deutsch-Klerikale
und Demokraten, denen ein Veto unzweifelhaft das Mandat kosten würde, dieses
Grundgesetz eiuer geordneten Verwaltung zu Falle zu bringen den Mut haben


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[0109] Fortschreiten begriffen, das Reich auf dem Punkte, durch die immer weiter aus¬ einandergehenden Bestrebungen seiner Teile vollends zerrissen zu werden, »ach außen bin, trotz des deutschen Bündnisses, an Ansehen und Einfluß gesunken, und, als „Bund zweier Mittelstaaten," seinen Platz unter den europäischen Großmächten nur noch einer Art von althergebrachter Pietät verdankend — das sind die Früchte eiuer zwanzigjährigen, Fehler an Fehler reisenden Politik. Es fragt sich um: Lassen die gegenwärtigen Krankheitszustände Österreichs eine Hoffnung auf Heilung zu? Läßt sich die Zerstörung, womit sie den österreichischen Patriotismus bedrohen, abhalten, abwenden durch zeitgemäße, wirksame Gegenmittel? Oder bliebe den Deutschen nichts andres übrig, als mit der Ruhe der Verzweiflung die Hände in den Schoß zu legen und den Staatswagen in seinem verderblichen Laufe gewähren zu lassen, bis er in den Abgrund hinabrollt? Niemand, der es mit der Monarchie gut meint, wird sich einer so traurigen Hoffnungslosigkeit hingeben und an der Möglichkeit der Rettung verzweifeln. Doch helfen dazu keine halben Maßregeln, sondern nur eine thatkräftige Reform; es muß mit der Vergangenheit gebrochen werden, ein neuer Geist muß an ihre Stelle treten, und neue Männer, von denen Heil und Rettung kommen kann. Wer immer der Nachfolger des Ministeriums Taaffe sein wird — die Zeit ist vielleicht nicht mehr fern —, der muß wissen, daß er vor einer der größten Aufgaben Österreichs steht, welche nicht dnrch schwächliche Vermittlung und „Versöhnung," sondern nur durch eine kühne That zu lösen ist, und diese ist die Schaffung oder vielmehr gesetzliche Bestimmung einer Staatssprache, als welche selbstverständlich nur die deutsche gelten kann. Von der deutschen Minorität eingebracht und von dieser allein gestützt, ist der Vorschlag eines solchen Gesetzes freilich mir ein Schlag ins Wasser (siehe die Anträge Wurmbrands und Scharschmids); ganz anders wird sich jedoch die Lage gestalten, wenn eine thatkräftige, echt deutsch und dabei doch wahr¬ haft österreichisch gesinnte Negierung die Sache in die Hand nimmt, zu der ihrigen macht, und mit der von der Krone gebilligten Erklärung, daß die endliche Lösung der Sprachenfrage eine unabweisliche Forderung, eine Lebens¬ frage für den österreichischen Staat sei, auf den in der laufenden Session so schnöde aufgenommenen und augenblicklich aussichtslosen Scharschmidschen (oder einen ähnlichen) Antrag, der den Nationalitäten mehr als hinreichende Freiheit der Bewegung und Entwicklung gewährt, zurückgreift. Es wird sich dann zeigen — man braucht kein Prophet zu sein —, daß die Tschechen (und allenfalls noch die Handvoll Südtiroler Jtalianissimi) nach wie vor über „Provokation," „Impertinenz," „Dynamitbomben," „Geßlerhut" u. dergl. schreien werden, daß aber weder Polen und Dalmatiner, da diese ja — leider! — längst vou der deutschen Staatssprache ansgenvmmc» sind, noch Deutsch-Klerikale und Demokraten, denen ein Veto unzweifelhaft das Mandat kosten würde, dieses Grundgesetz eiuer geordneten Verwaltung zu Falle zu bringen den Mut haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/109>, abgerufen am 25.07.2024.