Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Das bedeutendste künstlerische Ereignis des verflossnen Jahres war die' Die Hoffnung einer großen und ehrenwerten Zahl von Patrioten, daß sich Auch der Eisenbau ist über der stetig wachsenden technischen Vervollkomm¬ Wir habe" bisher die beiden andern Zweige der bildenden Kunst, die Ma¬ Das bedeutendste künstlerische Ereignis des verflossnen Jahres war die' Die Hoffnung einer großen und ehrenwerten Zahl von Patrioten, daß sich Auch der Eisenbau ist über der stetig wachsenden technischen Vervollkomm¬ Wir habe» bisher die beiden andern Zweige der bildenden Kunst, die Ma¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197507"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_236"> Das bedeutendste künstlerische Ereignis des verflossnen Jahres war die'<lb/> Konkurrenz um das Ncichsgerichtsgebäude für Leipzig, Wir haben hier die¬<lb/> selbe Beobachtung gemacht wie auf allen übrigen Gebieten künstlerischer und<lb/> kunstgewerblicher Thätigkeit: eine glänzende technische (hier also zeichnerische)<lb/> Fertigkeit, ein großer Reichtum von Phantasie in allen Dctailbildnngen, eine<lb/> umfassende Kenntnis aller geschichtlich überlieferten Kunstformen, aber ein halt¬<lb/> loses Hin- und Herschwanken zwischen verschiednen Stilnrtcn und eine große<lb/> Unklarheit über die Bedürfnisse unsrer Zeit. Wir können uns den seltsamen<lb/> Spruch des Preisgerichts, welches sich bekanntlich für den nüchternsten und nrm-<lb/> lichsteu aller Entwürfe entschied, nur so erklären, daß die Juroren, um keinen<lb/> auffälligen Stil zu bevorzugen, dasjenige Projekt auswählten, in welchem die<lb/> Eigentümlichkeiten eines gewissen Stils oder auch nur eines bestimmt ausge¬<lb/> prägten Charakters am weitesten zurückgedrängt waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_237"> Die Hoffnung einer großen und ehrenwerten Zahl von Patrioten, daß sich<lb/> aus der deutschen Renaissance ein für unsre Ansprüche und Lebensbedingungen<lb/> brauchbarer Stil entwickeln werde, konnten wir, wie vor Jahresfrist an dieser<lb/> Stelle ausgeführt und begründet wurde, uicht teilen. Wie sehr wir mit unsrer<lb/> Behauptung, daß die deutsche Renaissance keine Zukunft habe, Recht gehabt<lb/> haben, das hat uns schon der Lauf eines kurzen Jahres gezeigt. Mit Riesen¬<lb/> schritten ist die Vorliebe für Barock und Rokoko gewachsen, und wir müssen<lb/> leider sagen, daß die deutsche Renaissance heute nur noch der Stil der Bier-<lb/> Häuser und Weinstuben ist, welche das durch die Butzenscheiben künstlich er¬<lb/> zeugte Halbdunkel und die traulichen Winkel besser vertragen können als die<lb/> der Arbeit und dem Schaffen gewidmeten Räume.</p><lb/> <p xml:id="ID_238"> Auch der Eisenbau ist über der stetig wachsenden technischen Vervollkomm¬<lb/> nung noch uicht zur Ausbildung seiner ästhetischen Seite gekommen. Für das<lb/> künstlerisch gebildete Ange sind die kühn und gewaltig emporstrebenden Pfeiler,<lb/> Bogen und Rippen immer noch eine rohe Masse, welche mehr dnrch Rechen-<lb/> exempel, dnrch statische Berechnungen als durch die bildende Phantasie in Be¬<lb/> wegung gesetzt und aufgebaut wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_239" next="#ID_240"> Wir habe» bisher die beiden andern Zweige der bildenden Kunst, die Ma¬<lb/> lerei und die Plastik, uoch nicht berührt. Geht es dem einen oder dem andern<lb/> besser als dem Kunstgewerbe und der Architektur? Hat in der Malerei und in<lb/> der Bildhauerkunst bereits der Stil die Herrschaft über die Mode davongetragen,<lb/> oder herrschen hier ebenso zerfahrene und hoffnungslose Zustände? Wir glauben<lb/> den letztern Teil dieser Frage mit Nein beantworten zu dücfen. Die Versuche<lb/> falscher Koketterie mit altdeutschem Wesen haben doch erheblich nachgelassen, und<lb/> überall macht man die erfreuliche Wahrnehmung, daß ein engerer Anschluß an<lb/> die Natur gesucht wird. Man legt die durch Altertumsstudieu gefärbte Brille<lb/> mehr und mehr beiseite und sucht aus der Quelle zu schöpfen. Wenn diese<lb/> ersten Versuche auch noch sehr oft zu einem rohen und verletzenden Natura-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
Das bedeutendste künstlerische Ereignis des verflossnen Jahres war die'
Konkurrenz um das Ncichsgerichtsgebäude für Leipzig, Wir haben hier die¬
selbe Beobachtung gemacht wie auf allen übrigen Gebieten künstlerischer und
kunstgewerblicher Thätigkeit: eine glänzende technische (hier also zeichnerische)
Fertigkeit, ein großer Reichtum von Phantasie in allen Dctailbildnngen, eine
umfassende Kenntnis aller geschichtlich überlieferten Kunstformen, aber ein halt¬
loses Hin- und Herschwanken zwischen verschiednen Stilnrtcn und eine große
Unklarheit über die Bedürfnisse unsrer Zeit. Wir können uns den seltsamen
Spruch des Preisgerichts, welches sich bekanntlich für den nüchternsten und nrm-
lichsteu aller Entwürfe entschied, nur so erklären, daß die Juroren, um keinen
auffälligen Stil zu bevorzugen, dasjenige Projekt auswählten, in welchem die
Eigentümlichkeiten eines gewissen Stils oder auch nur eines bestimmt ausge¬
prägten Charakters am weitesten zurückgedrängt waren.
Die Hoffnung einer großen und ehrenwerten Zahl von Patrioten, daß sich
aus der deutschen Renaissance ein für unsre Ansprüche und Lebensbedingungen
brauchbarer Stil entwickeln werde, konnten wir, wie vor Jahresfrist an dieser
Stelle ausgeführt und begründet wurde, uicht teilen. Wie sehr wir mit unsrer
Behauptung, daß die deutsche Renaissance keine Zukunft habe, Recht gehabt
haben, das hat uns schon der Lauf eines kurzen Jahres gezeigt. Mit Riesen¬
schritten ist die Vorliebe für Barock und Rokoko gewachsen, und wir müssen
leider sagen, daß die deutsche Renaissance heute nur noch der Stil der Bier-
Häuser und Weinstuben ist, welche das durch die Butzenscheiben künstlich er¬
zeugte Halbdunkel und die traulichen Winkel besser vertragen können als die
der Arbeit und dem Schaffen gewidmeten Räume.
Auch der Eisenbau ist über der stetig wachsenden technischen Vervollkomm¬
nung noch uicht zur Ausbildung seiner ästhetischen Seite gekommen. Für das
künstlerisch gebildete Ange sind die kühn und gewaltig emporstrebenden Pfeiler,
Bogen und Rippen immer noch eine rohe Masse, welche mehr dnrch Rechen-
exempel, dnrch statische Berechnungen als durch die bildende Phantasie in Be¬
wegung gesetzt und aufgebaut wird.
Wir habe» bisher die beiden andern Zweige der bildenden Kunst, die Ma¬
lerei und die Plastik, uoch nicht berührt. Geht es dem einen oder dem andern
besser als dem Kunstgewerbe und der Architektur? Hat in der Malerei und in
der Bildhauerkunst bereits der Stil die Herrschaft über die Mode davongetragen,
oder herrschen hier ebenso zerfahrene und hoffnungslose Zustände? Wir glauben
den letztern Teil dieser Frage mit Nein beantworten zu dücfen. Die Versuche
falscher Koketterie mit altdeutschem Wesen haben doch erheblich nachgelassen, und
überall macht man die erfreuliche Wahrnehmung, daß ein engerer Anschluß an
die Natur gesucht wird. Man legt die durch Altertumsstudieu gefärbte Brille
mehr und mehr beiseite und sucht aus der Quelle zu schöpfen. Wenn diese
ersten Versuche auch noch sehr oft zu einem rohen und verletzenden Natura-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |