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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Stil und Mode.

Die Wurzel dieses vererbten Übels liegt in der deutschen Kleinstaaterei,
mit welcher erst in unsern Tagen so aufgeräumt worden ist, daß der gegenwärtige
Zustand als ein erträglicher und gedeihlicher gelten kann. Aber unser Geschlecht
kann die Früchte dieser Aufräumungsarbeit nicht mehr ernten, und deshalb
müssen wir uns in der immerhin tröstlichen Zuversicht bescheiden, mehr gewußt
zu haben, als alle unsre Vorfahren zusammengenommen, aber auch weniger
geleistet zu haben. Diejenigen, welche die alte Kaiserherrlichkeit zum erstenmale
wieder geschaut haben, sind auf künstlerischem Gebiet ein unproduktives Geschlecht.
Wir müssen uns mit dieser bittern Wahrheit vertraut machen. Ans der andern
Seite winkt uns der Trost, daß wir in allen technischen Fähigkeiten so außer¬
ordentlich weit vorgeschritten sind, daß wir unsern Erben glatte Wege geschaffen
haben. Mögen sie sehen, wie sie ans diesen Wegen weiterkommen! Mögen sie
sich aber auch hüten, unsre Aufräumuugsarbeiten weiter fortzusetzen, als zur
Erhaltung des großen Staatsganzen unbedingt nötig ist. Wie wir aus der
geschichtlichen Entwicklung Englands und Frankreichs gelernt haben, giebt die
Zentralisation der Reichsgewalt den Anstoß zu einer Erstarkung des National¬
gefühls, welches eine sichere Grundlage für die Konstitnirung eines mächtigen
Staatswesens bildet. Aber ans der andern Seite haben wir auch eingesehen,
wie gefährlich den Machthabern das übermäßige Wachsen einer Zentralstelle
wie Paris werden kann, und wie schwierig es ist, die irische Bevölkerung einem
Stamme mit so stark entwickeltem Nationalgefühl wie dem englischen zu cunal-
gmniren. Es war daher ein äußerst weiser Akt der deutschen Neichsregiernng,
den Braunschweigern nicht ihre Selbständigkeit zu nehmen, sondern sie vielmehr
unter einem starken Regiment vor allen Fährlichkeiten und Schwankungen
zu wahren.

Diese politischen, aber eigentlich nur kulturgeschichtlichen Betrachtungen stehen
mit unserm Thema in engem Zusammenhang. Während in Frankreich die
Provinzialmuseen und die Kunst- und kunstgewerblichen Schulen der Provinz
sür die Entwicklung des allgemeinen Geschmacks so gut wie gar keine Bedeutung
haben, dieser vielmehr ausschließlich von Paris diktirt wird, stehen die gleichen
Institute in Berlin, Dresden, München, Wien (wir rechnen Deutschösterrcich
hinzu), Stuttgart, Karlsruhe u. s. w. so ziemlich auf derselben Höhe des Ein¬
flusses. Das ist ein unbestreitbarer Vorzug der deutschen Kleinstaaterei. Ein
Vorzug aber der Zusammenfassung dieses vielgestaltigen Staatenweseus in dem
Reichsgedanken besteht darin, daß jener Einfluß sich keineswegs auf das engere
Gebiet jener genannten Städte beschränkt. Wir verdanken es einerseits der dnrch
Gründung des deutschen Reiches erfolgten Beseitigung der Zoll- und anderer
Schranken, welche früher zwischen den einzelnen Staaten bestanden hatten, anderseits
den Gewerbe- und Industrieausstellungen, daß fast überall ein gleiches Niveau
technischer Fähigkeit erreicht worden ist. Wir sehen in den Knnstgewerbcmagazinen
und in den Schaufenstern der Schreiner, Dekorateure, Vronzewaarcnhändler n. s. w.


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Stil und Mode.

Die Wurzel dieses vererbten Übels liegt in der deutschen Kleinstaaterei,
mit welcher erst in unsern Tagen so aufgeräumt worden ist, daß der gegenwärtige
Zustand als ein erträglicher und gedeihlicher gelten kann. Aber unser Geschlecht
kann die Früchte dieser Aufräumungsarbeit nicht mehr ernten, und deshalb
müssen wir uns in der immerhin tröstlichen Zuversicht bescheiden, mehr gewußt
zu haben, als alle unsre Vorfahren zusammengenommen, aber auch weniger
geleistet zu haben. Diejenigen, welche die alte Kaiserherrlichkeit zum erstenmale
wieder geschaut haben, sind auf künstlerischem Gebiet ein unproduktives Geschlecht.
Wir müssen uns mit dieser bittern Wahrheit vertraut machen. Ans der andern
Seite winkt uns der Trost, daß wir in allen technischen Fähigkeiten so außer¬
ordentlich weit vorgeschritten sind, daß wir unsern Erben glatte Wege geschaffen
haben. Mögen sie sehen, wie sie ans diesen Wegen weiterkommen! Mögen sie
sich aber auch hüten, unsre Aufräumuugsarbeiten weiter fortzusetzen, als zur
Erhaltung des großen Staatsganzen unbedingt nötig ist. Wie wir aus der
geschichtlichen Entwicklung Englands und Frankreichs gelernt haben, giebt die
Zentralisation der Reichsgewalt den Anstoß zu einer Erstarkung des National¬
gefühls, welches eine sichere Grundlage für die Konstitnirung eines mächtigen
Staatswesens bildet. Aber ans der andern Seite haben wir auch eingesehen,
wie gefährlich den Machthabern das übermäßige Wachsen einer Zentralstelle
wie Paris werden kann, und wie schwierig es ist, die irische Bevölkerung einem
Stamme mit so stark entwickeltem Nationalgefühl wie dem englischen zu cunal-
gmniren. Es war daher ein äußerst weiser Akt der deutschen Neichsregiernng,
den Braunschweigern nicht ihre Selbständigkeit zu nehmen, sondern sie vielmehr
unter einem starken Regiment vor allen Fährlichkeiten und Schwankungen
zu wahren.

Diese politischen, aber eigentlich nur kulturgeschichtlichen Betrachtungen stehen
mit unserm Thema in engem Zusammenhang. Während in Frankreich die
Provinzialmuseen und die Kunst- und kunstgewerblichen Schulen der Provinz
sür die Entwicklung des allgemeinen Geschmacks so gut wie gar keine Bedeutung
haben, dieser vielmehr ausschließlich von Paris diktirt wird, stehen die gleichen
Institute in Berlin, Dresden, München, Wien (wir rechnen Deutschösterrcich
hinzu), Stuttgart, Karlsruhe u. s. w. so ziemlich auf derselben Höhe des Ein¬
flusses. Das ist ein unbestreitbarer Vorzug der deutschen Kleinstaaterei. Ein
Vorzug aber der Zusammenfassung dieses vielgestaltigen Staatenweseus in dem
Reichsgedanken besteht darin, daß jener Einfluß sich keineswegs auf das engere
Gebiet jener genannten Städte beschränkt. Wir verdanken es einerseits der dnrch
Gründung des deutschen Reiches erfolgten Beseitigung der Zoll- und anderer
Schranken, welche früher zwischen den einzelnen Staaten bestanden hatten, anderseits
den Gewerbe- und Industrieausstellungen, daß fast überall ein gleiches Niveau
technischer Fähigkeit erreicht worden ist. Wir sehen in den Knnstgewerbcmagazinen
und in den Schaufenstern der Schreiner, Dekorateure, Vronzewaarcnhändler n. s. w.


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[0081] Stil und Mode. Die Wurzel dieses vererbten Übels liegt in der deutschen Kleinstaaterei, mit welcher erst in unsern Tagen so aufgeräumt worden ist, daß der gegenwärtige Zustand als ein erträglicher und gedeihlicher gelten kann. Aber unser Geschlecht kann die Früchte dieser Aufräumungsarbeit nicht mehr ernten, und deshalb müssen wir uns in der immerhin tröstlichen Zuversicht bescheiden, mehr gewußt zu haben, als alle unsre Vorfahren zusammengenommen, aber auch weniger geleistet zu haben. Diejenigen, welche die alte Kaiserherrlichkeit zum erstenmale wieder geschaut haben, sind auf künstlerischem Gebiet ein unproduktives Geschlecht. Wir müssen uns mit dieser bittern Wahrheit vertraut machen. Ans der andern Seite winkt uns der Trost, daß wir in allen technischen Fähigkeiten so außer¬ ordentlich weit vorgeschritten sind, daß wir unsern Erben glatte Wege geschaffen haben. Mögen sie sehen, wie sie ans diesen Wegen weiterkommen! Mögen sie sich aber auch hüten, unsre Aufräumuugsarbeiten weiter fortzusetzen, als zur Erhaltung des großen Staatsganzen unbedingt nötig ist. Wie wir aus der geschichtlichen Entwicklung Englands und Frankreichs gelernt haben, giebt die Zentralisation der Reichsgewalt den Anstoß zu einer Erstarkung des National¬ gefühls, welches eine sichere Grundlage für die Konstitnirung eines mächtigen Staatswesens bildet. Aber ans der andern Seite haben wir auch eingesehen, wie gefährlich den Machthabern das übermäßige Wachsen einer Zentralstelle wie Paris werden kann, und wie schwierig es ist, die irische Bevölkerung einem Stamme mit so stark entwickeltem Nationalgefühl wie dem englischen zu cunal- gmniren. Es war daher ein äußerst weiser Akt der deutschen Neichsregiernng, den Braunschweigern nicht ihre Selbständigkeit zu nehmen, sondern sie vielmehr unter einem starken Regiment vor allen Fährlichkeiten und Schwankungen zu wahren. Diese politischen, aber eigentlich nur kulturgeschichtlichen Betrachtungen stehen mit unserm Thema in engem Zusammenhang. Während in Frankreich die Provinzialmuseen und die Kunst- und kunstgewerblichen Schulen der Provinz sür die Entwicklung des allgemeinen Geschmacks so gut wie gar keine Bedeutung haben, dieser vielmehr ausschließlich von Paris diktirt wird, stehen die gleichen Institute in Berlin, Dresden, München, Wien (wir rechnen Deutschösterrcich hinzu), Stuttgart, Karlsruhe u. s. w. so ziemlich auf derselben Höhe des Ein¬ flusses. Das ist ein unbestreitbarer Vorzug der deutschen Kleinstaaterei. Ein Vorzug aber der Zusammenfassung dieses vielgestaltigen Staatenweseus in dem Reichsgedanken besteht darin, daß jener Einfluß sich keineswegs auf das engere Gebiet jener genannten Städte beschränkt. Wir verdanken es einerseits der dnrch Gründung des deutschen Reiches erfolgten Beseitigung der Zoll- und anderer Schranken, welche früher zwischen den einzelnen Staaten bestanden hatten, anderseits den Gewerbe- und Industrieausstellungen, daß fast überall ein gleiches Niveau technischer Fähigkeit erreicht worden ist. Wir sehen in den Knnstgewerbcmagazinen und in den Schaufenstern der Schreiner, Dekorateure, Vronzewaarcnhändler n. s. w. G>ni>zbvten 1. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/81>, abgerufen am 05.02.2025.