Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

zelnen Objekte seiner Auseinandersetzungen weder systematisch aus den verschieden
Gebieten des modernen Lebens zusammengetragen und etwa ihrer Wichtigkeit
entsprechend angeordnet, noch ist es ihm im einzelnen um jene prinzipielle
Lösung zu thun gewesen, die in Wahrheit doch nur eine Lösung unter gewissen
Prinzipien geworden wäre. Ihm deshalb Oberflächlichkeit vorwerfen, hieße aber
ganz und gar den einzig verständigen Zweck verkennen, den ein Buch so weit¬
reichenden Inhalts haben kann, sobald es äußerlich auf vielbändige Dickleibig¬
keit -- vielen Leuten noch immer die (zonclltio 8M6 arm mein für wissenschaft¬
lichen Inhalt -- verzichtet. In das Getümmel der Meinungen will es helle
Schlaglichter werfen, dem im allgemeinen nach Orientirung suchenden will
es feste Anhaltepunkte geben, dem Unklaren und Kurzsichtigen freie Perspektiven
eröffnen. Dabei muß es natürlich selbst den behandelten Gegenständen gegen¬
über nicht nur ganz bestimmte Standpunkte einnehmen, sondern zu diesen
Standpunkten auch zu bekehren suchen. Nun ist es mit Rücksicht hierauf
wirklich dankenswert, daß der Verfasser fast durchgängig seine eigenartige und
die Dinge in ganz subjektiver Beleuchtung lassende Metaphysik beiseite ge¬
setzt, sowie daß er den Grundtenor seiner Weltanschauung, den Pessimismus,
zur charakteristischen Beleuchtung moderner Verhältnisse beinahe nirgends benutzt
hat. Es läßt sich in Fragen, die ans der Praxis des sozialen Lebens herrühren
oder die doch zum Zwecke praktischer Umgestaltung konkreter nationaler Lebens¬
verhältnisse aufgeworfen werden, ohne Zweifel sehr viel mehr thun, wenn man
sie im Rahmen der augenblicklichen wirklichen Lebensumstände, als wenn man
sie, cibstrahirend und verallgemeinernd, sud spheno a,stvrui betrachtet. Uns
Deutschen fehlt es ohnehin nicht an Versuchen letzterer Art, die ohne Rücksicht
auf eine mögliche Verwirklichung des Geforderten allgemeine und spezielle Kultur¬
ordnungen auf Grund bestimmter metaphysischer Voraussetzungen konstruiren.
Eine noch so geistreich und vortrefflich geschriebene Theorie des großen Krieges
nutzt aber dem fechtenden Soldaten nichts, der lernen muß den Feind erkennen,
sich decken, das Terrain benutzen, um vorwärts zu kommen.

Dem Autor in seine einzelnen Betrachtungen hinein zu folgen, würde das
Maß einer kurzen Besprechung allzu sehr überschreiten. Nur einzelnes sei
deshalb von dem Inhalte des Buches hervorgehoben, soweit es besonders
interessant oder anfechtbar erscheint. So ist es, bei dem Gewicht, den'Hart¬
manns Name besitzt, gewiß von Interesse, ihn gleich im ersten Abschnitte des
Buches eine Lanze gegen den VegetaricmismuS brechen zu sehen. Nicht aus
metaphysischen Gründen, etwa weil wir im Tier eine uns verwandte Partial-
erscheinung des geistigen Prinzips verletzen, wie dergleichen von besonders
geistreichen Verfechtern der Pflanzenncchrnng wirklich herbeigezogen worden
ist, sondern aus gut physiologischen, die noch dazu den Vorzug leichter Ver¬
ständlichkeit haben. Soweit Pflanzennahrung leicht verdaulich ist, hat sie im
Vergleich mit dem Fleisch nur geringen Nährwert, und soweit sie, wie in den


zelnen Objekte seiner Auseinandersetzungen weder systematisch aus den verschieden
Gebieten des modernen Lebens zusammengetragen und etwa ihrer Wichtigkeit
entsprechend angeordnet, noch ist es ihm im einzelnen um jene prinzipielle
Lösung zu thun gewesen, die in Wahrheit doch nur eine Lösung unter gewissen
Prinzipien geworden wäre. Ihm deshalb Oberflächlichkeit vorwerfen, hieße aber
ganz und gar den einzig verständigen Zweck verkennen, den ein Buch so weit¬
reichenden Inhalts haben kann, sobald es äußerlich auf vielbändige Dickleibig¬
keit — vielen Leuten noch immer die (zonclltio 8M6 arm mein für wissenschaft¬
lichen Inhalt — verzichtet. In das Getümmel der Meinungen will es helle
Schlaglichter werfen, dem im allgemeinen nach Orientirung suchenden will
es feste Anhaltepunkte geben, dem Unklaren und Kurzsichtigen freie Perspektiven
eröffnen. Dabei muß es natürlich selbst den behandelten Gegenständen gegen¬
über nicht nur ganz bestimmte Standpunkte einnehmen, sondern zu diesen
Standpunkten auch zu bekehren suchen. Nun ist es mit Rücksicht hierauf
wirklich dankenswert, daß der Verfasser fast durchgängig seine eigenartige und
die Dinge in ganz subjektiver Beleuchtung lassende Metaphysik beiseite ge¬
setzt, sowie daß er den Grundtenor seiner Weltanschauung, den Pessimismus,
zur charakteristischen Beleuchtung moderner Verhältnisse beinahe nirgends benutzt
hat. Es läßt sich in Fragen, die ans der Praxis des sozialen Lebens herrühren
oder die doch zum Zwecke praktischer Umgestaltung konkreter nationaler Lebens¬
verhältnisse aufgeworfen werden, ohne Zweifel sehr viel mehr thun, wenn man
sie im Rahmen der augenblicklichen wirklichen Lebensumstände, als wenn man
sie, cibstrahirend und verallgemeinernd, sud spheno a,stvrui betrachtet. Uns
Deutschen fehlt es ohnehin nicht an Versuchen letzterer Art, die ohne Rücksicht
auf eine mögliche Verwirklichung des Geforderten allgemeine und spezielle Kultur¬
ordnungen auf Grund bestimmter metaphysischer Voraussetzungen konstruiren.
Eine noch so geistreich und vortrefflich geschriebene Theorie des großen Krieges
nutzt aber dem fechtenden Soldaten nichts, der lernen muß den Feind erkennen,
sich decken, das Terrain benutzen, um vorwärts zu kommen.

Dem Autor in seine einzelnen Betrachtungen hinein zu folgen, würde das
Maß einer kurzen Besprechung allzu sehr überschreiten. Nur einzelnes sei
deshalb von dem Inhalte des Buches hervorgehoben, soweit es besonders
interessant oder anfechtbar erscheint. So ist es, bei dem Gewicht, den'Hart¬
manns Name besitzt, gewiß von Interesse, ihn gleich im ersten Abschnitte des
Buches eine Lanze gegen den VegetaricmismuS brechen zu sehen. Nicht aus
metaphysischen Gründen, etwa weil wir im Tier eine uns verwandte Partial-
erscheinung des geistigen Prinzips verletzen, wie dergleichen von besonders
geistreichen Verfechtern der Pflanzenncchrnng wirklich herbeigezogen worden
ist, sondern aus gut physiologischen, die noch dazu den Vorzug leichter Ver¬
ständlichkeit haben. Soweit Pflanzennahrung leicht verdaulich ist, hat sie im
Vergleich mit dem Fleisch nur geringen Nährwert, und soweit sie, wie in den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197499"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_214" prev="#ID_213"> zelnen Objekte seiner Auseinandersetzungen weder systematisch aus den verschieden<lb/>
Gebieten des modernen Lebens zusammengetragen und etwa ihrer Wichtigkeit<lb/>
entsprechend angeordnet, noch ist es ihm im einzelnen um jene prinzipielle<lb/>
Lösung zu thun gewesen, die in Wahrheit doch nur eine Lösung unter gewissen<lb/>
Prinzipien geworden wäre. Ihm deshalb Oberflächlichkeit vorwerfen, hieße aber<lb/>
ganz und gar den einzig verständigen Zweck verkennen, den ein Buch so weit¬<lb/>
reichenden Inhalts haben kann, sobald es äußerlich auf vielbändige Dickleibig¬<lb/>
keit &#x2014; vielen Leuten noch immer die (zonclltio 8M6 arm mein für wissenschaft¬<lb/>
lichen Inhalt &#x2014; verzichtet. In das Getümmel der Meinungen will es helle<lb/>
Schlaglichter werfen, dem im allgemeinen nach Orientirung suchenden will<lb/>
es feste Anhaltepunkte geben, dem Unklaren und Kurzsichtigen freie Perspektiven<lb/>
eröffnen. Dabei muß es natürlich selbst den behandelten Gegenständen gegen¬<lb/>
über nicht nur ganz bestimmte Standpunkte einnehmen, sondern zu diesen<lb/>
Standpunkten auch zu bekehren suchen. Nun ist es mit Rücksicht hierauf<lb/>
wirklich dankenswert, daß der Verfasser fast durchgängig seine eigenartige und<lb/>
die Dinge in ganz subjektiver Beleuchtung lassende Metaphysik beiseite ge¬<lb/>
setzt, sowie daß er den Grundtenor seiner Weltanschauung, den Pessimismus,<lb/>
zur charakteristischen Beleuchtung moderner Verhältnisse beinahe nirgends benutzt<lb/>
hat. Es läßt sich in Fragen, die ans der Praxis des sozialen Lebens herrühren<lb/>
oder die doch zum Zwecke praktischer Umgestaltung konkreter nationaler Lebens¬<lb/>
verhältnisse aufgeworfen werden, ohne Zweifel sehr viel mehr thun, wenn man<lb/>
sie im Rahmen der augenblicklichen wirklichen Lebensumstände, als wenn man<lb/>
sie, cibstrahirend und verallgemeinernd, sud spheno a,stvrui betrachtet. Uns<lb/>
Deutschen fehlt es ohnehin nicht an Versuchen letzterer Art, die ohne Rücksicht<lb/>
auf eine mögliche Verwirklichung des Geforderten allgemeine und spezielle Kultur¬<lb/>
ordnungen auf Grund bestimmter metaphysischer Voraussetzungen konstruiren.<lb/>
Eine noch so geistreich und vortrefflich geschriebene Theorie des großen Krieges<lb/>
nutzt aber dem fechtenden Soldaten nichts, der lernen muß den Feind erkennen,<lb/>
sich decken, das Terrain benutzen, um vorwärts zu kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215" next="#ID_216"> Dem Autor in seine einzelnen Betrachtungen hinein zu folgen, würde das<lb/>
Maß einer kurzen Besprechung allzu sehr überschreiten. Nur einzelnes sei<lb/>
deshalb von dem Inhalte des Buches hervorgehoben, soweit es besonders<lb/>
interessant oder anfechtbar erscheint. So ist es, bei dem Gewicht, den'Hart¬<lb/>
manns Name besitzt, gewiß von Interesse, ihn gleich im ersten Abschnitte des<lb/>
Buches eine Lanze gegen den VegetaricmismuS brechen zu sehen. Nicht aus<lb/>
metaphysischen Gründen, etwa weil wir im Tier eine uns verwandte Partial-<lb/>
erscheinung des geistigen Prinzips verletzen, wie dergleichen von besonders<lb/>
geistreichen Verfechtern der Pflanzenncchrnng wirklich herbeigezogen worden<lb/>
ist, sondern aus gut physiologischen, die noch dazu den Vorzug leichter Ver¬<lb/>
ständlichkeit haben. Soweit Pflanzennahrung leicht verdaulich ist, hat sie im<lb/>
Vergleich mit dem Fleisch nur geringen Nährwert, und soweit sie, wie in den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0075] zelnen Objekte seiner Auseinandersetzungen weder systematisch aus den verschieden Gebieten des modernen Lebens zusammengetragen und etwa ihrer Wichtigkeit entsprechend angeordnet, noch ist es ihm im einzelnen um jene prinzipielle Lösung zu thun gewesen, die in Wahrheit doch nur eine Lösung unter gewissen Prinzipien geworden wäre. Ihm deshalb Oberflächlichkeit vorwerfen, hieße aber ganz und gar den einzig verständigen Zweck verkennen, den ein Buch so weit¬ reichenden Inhalts haben kann, sobald es äußerlich auf vielbändige Dickleibig¬ keit — vielen Leuten noch immer die (zonclltio 8M6 arm mein für wissenschaft¬ lichen Inhalt — verzichtet. In das Getümmel der Meinungen will es helle Schlaglichter werfen, dem im allgemeinen nach Orientirung suchenden will es feste Anhaltepunkte geben, dem Unklaren und Kurzsichtigen freie Perspektiven eröffnen. Dabei muß es natürlich selbst den behandelten Gegenständen gegen¬ über nicht nur ganz bestimmte Standpunkte einnehmen, sondern zu diesen Standpunkten auch zu bekehren suchen. Nun ist es mit Rücksicht hierauf wirklich dankenswert, daß der Verfasser fast durchgängig seine eigenartige und die Dinge in ganz subjektiver Beleuchtung lassende Metaphysik beiseite ge¬ setzt, sowie daß er den Grundtenor seiner Weltanschauung, den Pessimismus, zur charakteristischen Beleuchtung moderner Verhältnisse beinahe nirgends benutzt hat. Es läßt sich in Fragen, die ans der Praxis des sozialen Lebens herrühren oder die doch zum Zwecke praktischer Umgestaltung konkreter nationaler Lebens¬ verhältnisse aufgeworfen werden, ohne Zweifel sehr viel mehr thun, wenn man sie im Rahmen der augenblicklichen wirklichen Lebensumstände, als wenn man sie, cibstrahirend und verallgemeinernd, sud spheno a,stvrui betrachtet. Uns Deutschen fehlt es ohnehin nicht an Versuchen letzterer Art, die ohne Rücksicht auf eine mögliche Verwirklichung des Geforderten allgemeine und spezielle Kultur¬ ordnungen auf Grund bestimmter metaphysischer Voraussetzungen konstruiren. Eine noch so geistreich und vortrefflich geschriebene Theorie des großen Krieges nutzt aber dem fechtenden Soldaten nichts, der lernen muß den Feind erkennen, sich decken, das Terrain benutzen, um vorwärts zu kommen. Dem Autor in seine einzelnen Betrachtungen hinein zu folgen, würde das Maß einer kurzen Besprechung allzu sehr überschreiten. Nur einzelnes sei deshalb von dem Inhalte des Buches hervorgehoben, soweit es besonders interessant oder anfechtbar erscheint. So ist es, bei dem Gewicht, den'Hart¬ manns Name besitzt, gewiß von Interesse, ihn gleich im ersten Abschnitte des Buches eine Lanze gegen den VegetaricmismuS brechen zu sehen. Nicht aus metaphysischen Gründen, etwa weil wir im Tier eine uns verwandte Partial- erscheinung des geistigen Prinzips verletzen, wie dergleichen von besonders geistreichen Verfechtern der Pflanzenncchrnng wirklich herbeigezogen worden ist, sondern aus gut physiologischen, die noch dazu den Vorzug leichter Ver¬ ständlichkeit haben. Soweit Pflanzennahrung leicht verdaulich ist, hat sie im Vergleich mit dem Fleisch nur geringen Nährwert, und soweit sie, wie in den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/75
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/75>, abgerufen am 05.02.2025.