Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.reizten Selbstgefühl, hier voller Verbissenheit, dort voll maßlosen Dünkels, die 1. Berrufsverhältnisse ein sür alle mal unmöglich zu machen; 2. ein Zeichen gegenseitiger Achtung unter unsern Studenten aufzurichten, unter welchen es nachgerade für ein Verdienst zu gelte" anfängt, sich für satisfaktionsuufähig (d.i. unanständig) zu erklären; 3. einen größern Ernst in der Behandlung von Differenzen ans unsern Hochschulen einzuführen, wo heute bei steigender Provokationssucht und gespreizten Betragen das Gefühl von Verantwortlichkeit für angethanen Schimpf überall in bedauerlichen Rückgänge begriffen ist; 4. in den Waffenverbindungen ein korporatives Bewußtsein auszubilden, damit sie eine Quelle geläuterte" Ehrbegriffs abgeben, aus welcher ohne Unterlaß gesunde Anschauungen über Tüchtigkeit und ehrenhafte Haltung in die Studentenschaft überströmen können, wahrend alles, was ans dieser trüben Quelle heutzutage fließt, mir verwirrend und dcpravireud wirken kann. Wenn, um ein typisches Beispiel anzuführen, ein Tübinger "Ncngcl" Wende man an dieser Stelle ja nicht ein, die Studenten hätten nicht das Sollte mau sich herbeilassen, obigen Vorschlag ins Auge zu fassen, so reizten Selbstgefühl, hier voller Verbissenheit, dort voll maßlosen Dünkels, die 1. Berrufsverhältnisse ein sür alle mal unmöglich zu machen; 2. ein Zeichen gegenseitiger Achtung unter unsern Studenten aufzurichten, unter welchen es nachgerade für ein Verdienst zu gelte» anfängt, sich für satisfaktionsuufähig (d.i. unanständig) zu erklären; 3. einen größern Ernst in der Behandlung von Differenzen ans unsern Hochschulen einzuführen, wo heute bei steigender Provokationssucht und gespreizten Betragen das Gefühl von Verantwortlichkeit für angethanen Schimpf überall in bedauerlichen Rückgänge begriffen ist; 4. in den Waffenverbindungen ein korporatives Bewußtsein auszubilden, damit sie eine Quelle geläuterte» Ehrbegriffs abgeben, aus welcher ohne Unterlaß gesunde Anschauungen über Tüchtigkeit und ehrenhafte Haltung in die Studentenschaft überströmen können, wahrend alles, was ans dieser trüben Quelle heutzutage fließt, mir verwirrend und dcpravireud wirken kann. Wenn, um ein typisches Beispiel anzuführen, ein Tübinger „Ncngcl" Wende man an dieser Stelle ja nicht ein, die Studenten hätten nicht das Sollte mau sich herbeilassen, obigen Vorschlag ins Auge zu fassen, so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0071" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197495"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_200" prev="#ID_199"> reizten Selbstgefühl, hier voller Verbissenheit, dort voll maßlosen Dünkels, die<lb/> Ungerechtigkeit, die sie auf den Hochschulen lernten, im Leben zu bethätigen.<lb/> Wenn nach wie vor aus den Burschenschafter wie aus deu Korps eine Meuge<lb/> netter Leute hervorgehen, an denen man seine Freude haben kann, so ist das<lb/> lediglich ein Beweis für die unverwüstliche Anlage unsrer Jugend, und wir<lb/> dürfen nicht ermüden in unsrer Forderung, daß um jeden Preis Mittel ge¬<lb/> funden werden müssen, um für das große Ganze humanere und ersprießlichere<lb/> Existenzbedingungen zu schaffen. Der Verfasser erlaubt sich, zuvörderst Ehren¬<lb/> gerichte zwischen den Waffenvcrbindnugeu vorzuschlagen, als deren Obertribunal<lb/> in allen Fällen, wo keine Einigung erzielt wird, das Univcrsitätsgericht an-<lb/> zurufen wäre, um zu gleicher Zeit zu schlichten und die Bestrafung einzuleiten.<lb/> Der Zweck dieser Ehrengerichte würde sein:</p><lb/> <list> <item> 1. 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Was thut er denn?<lb/> Genau dasselbe, was er sich fortwährend zwischen den Korps und Burschen¬<lb/> schafter abspielen sieht: sie „rempeln" sich, sie schimpfen sich, sie prügeln sich<lb/> und — sie verweigern sich Satisfaktion!</p><lb/> <p xml:id="ID_202"> Wende man an dieser Stelle ja nicht ein, die Studenten hätten nicht das<lb/> Recht, sich als einen „Stand" zu fühlen. Staudesvorurtcile und Staudcs-<lb/> hochmnt hat man hier reichlich gedeihen und ins Kraut schießen lassen; es wäre<lb/> besser, mau bemühte sich ohne weitere Begriffsklaubcrcieu, lieber eine reinere<lb/> und vollkommnere Standesehre zu erwecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_203" next="#ID_204"> Sollte mau sich herbeilassen, obigen Vorschlag ins Auge zu fassen, so<lb/> bieten sich den Universitätsrichteru die mannichfachsten Gelegenheiten, aus ihrer<lb/> Reserve herauszutreten und die Studenten auf disziplinarischen Wege zu einer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0071]
reizten Selbstgefühl, hier voller Verbissenheit, dort voll maßlosen Dünkels, die
Ungerechtigkeit, die sie auf den Hochschulen lernten, im Leben zu bethätigen.
Wenn nach wie vor aus den Burschenschafter wie aus deu Korps eine Meuge
netter Leute hervorgehen, an denen man seine Freude haben kann, so ist das
lediglich ein Beweis für die unverwüstliche Anlage unsrer Jugend, und wir
dürfen nicht ermüden in unsrer Forderung, daß um jeden Preis Mittel ge¬
funden werden müssen, um für das große Ganze humanere und ersprießlichere
Existenzbedingungen zu schaffen. Der Verfasser erlaubt sich, zuvörderst Ehren¬
gerichte zwischen den Waffenvcrbindnugeu vorzuschlagen, als deren Obertribunal
in allen Fällen, wo keine Einigung erzielt wird, das Univcrsitätsgericht an-
zurufen wäre, um zu gleicher Zeit zu schlichten und die Bestrafung einzuleiten.
Der Zweck dieser Ehrengerichte würde sein:
1. Berrufsverhältnisse ein sür alle mal unmöglich zu machen;
2. ein Zeichen gegenseitiger Achtung unter unsern Studenten aufzurichten,
unter welchen es nachgerade für ein Verdienst zu gelte» anfängt, sich für
satisfaktionsuufähig (d.i. unanständig) zu erklären;
3. einen größern Ernst in der Behandlung von Differenzen ans unsern
Hochschulen einzuführen, wo heute bei steigender Provokationssucht und
gespreizten Betragen das Gefühl von Verantwortlichkeit für angethanen
Schimpf überall in bedauerlichen Rückgänge begriffen ist;
4. in den Waffenverbindungen ein korporatives Bewußtsein auszubilden,
damit sie eine Quelle geläuterte» Ehrbegriffs abgeben, aus welcher ohne
Unterlaß gesunde Anschauungen über Tüchtigkeit und ehrenhafte Haltung
in die Studentenschaft überströmen können, wahrend alles, was ans dieser
trüben Quelle heutzutage fließt, mir verwirrend und dcpravireud wirken kann.
Wenn, um ein typisches Beispiel anzuführen, ein Tübinger „Ncngcl"
jeden ihm begegnenden in der frechsten Weise vom Trottoir rennt und auf die
Frage: „Geben Sie Satisfaktion, mein Herr?" sich breitbeinig hinstellt und
den Fragenden anbrüllt: „Ja, aber ans Fäuscht!" — so kann man ja einen
ernsten Vorwurf gegen diesen Menschen garnicht erheben. Was thut er denn?
Genau dasselbe, was er sich fortwährend zwischen den Korps und Burschen¬
schafter abspielen sieht: sie „rempeln" sich, sie schimpfen sich, sie prügeln sich
und — sie verweigern sich Satisfaktion!
Wende man an dieser Stelle ja nicht ein, die Studenten hätten nicht das
Recht, sich als einen „Stand" zu fühlen. Staudesvorurtcile und Staudcs-
hochmnt hat man hier reichlich gedeihen und ins Kraut schießen lassen; es wäre
besser, mau bemühte sich ohne weitere Begriffsklaubcrcieu, lieber eine reinere
und vollkommnere Standesehre zu erwecken.
Sollte mau sich herbeilassen, obigen Vorschlag ins Auge zu fassen, so
bieten sich den Universitätsrichteru die mannichfachsten Gelegenheiten, aus ihrer
Reserve herauszutreten und die Studenten auf disziplinarischen Wege zu einer
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