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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Aorps und Burschenschafter.

einzig dastehender Zeit, von ernsten, ans den Freiheitskriegen heimkehrenden
Männer gegründet, den sittlichen Gehalt, den sie damals besaß, unmöglich auf
jüngere Geschlechter vererben konnte. Es haftete deshalb den Burschenschaftern
mit ihrer geschmacklosen Jdenlhuberei, mit ihrem gespreizten Tugeuddünlel, mit
ihrer paragraphisch geordneten Keuschheit, mit ihren "wissenschaftlichen Abenden,"
an denen noch weit mehr Bombast geredet als Durst gelitten wurde, von Hause
aus eine gewisse Lächerlichkeit an, und so gutes hier auch geweckt worden sein
mag, so tüchtiges ohne Zweifel von Begabteren auch gelegentlich geleistet worden
ist, diesen Fluch sind sie niemals vollständig los geworden. Während ihre mit
Verkehrtheiten und Übereilungen aller Art gewürzte Pflege patriotischer Wünsche
sie "unes oben hin" anscheinend dauernd mißliebig machte (wir erinnern hier
nur an die sinnlose Ermordung Kotzebues), gab vollends die hie und da er¬
folgte Opposition gegen das Mensurwesen den Korps ein Ngitatiousmittel in
die Hand, welches in ausgiebigster, ja in übertriebner Weise ausgebeutet wurde.

Null ist das alles aber gewesen. Mögen die Korps immerhin bei ihrer
strafferen, schon aus den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts datirenden Ge-
samtorgnnisation (Kösener Senioren-Convent, Kösener L. 0. oder "3. d" schlecht¬
weg), bei ihrer gegenseitigen Beaufsichtigung gleichmäßigere Traditionen vererben,
heute wird bei dem Gros der Burschenschafter nichts andres gewollt und nichts
andres erreicht als bei jenen. Und dennoch arbeiten beide Teile mit wahrer
Hingebung daran, ihre angeblichen Gegensätze zu verschärfen und zu verewigen
und in derselben Zeit, in welcher Deutschland deu Sozialismus in seinem Herzen
austrägt, liefern unsre Hochschulen ein schnödes Beispiel von deutscher Unduld¬
samkeit, von widernatürlicher Zwietracht. Wie viel Leichtsinn, wie viel Unwissen¬
heit, wie viel Voreingenommenheit dabei mitspielen, liegt auf der Hand, und
wenn es nicht so ungemein traurig wäre, würde es die Lachlust herausfordern,
wie Leute, die aus denselben Gesellschaftsschichten hervorgegangen sind, dieselben
Schulbänke gedrückt haben, dieselben Neigungen und Gewohnheiten zur Schau
tragen, wie diese in einer Lebenszeit, welche naturgemäß gar keine Tendenz haben
sollte, plötzlich aufhören sich zu kennen, um nach sechs Semestern "Erziehung"
die enragirtesteu Gegenfüßler zu sein.

Dem Außenstehenden möchte es nun vielleicht scheinen, als ob sich hier
nur jugendliche Beklemmungen äußerten, die vor dem Ernst des Lebens von
selber schwänden und der Bemühung reifer Männer deshalb auch nicht wert
seien. Dies wäre ein beklagenswerter Irrtum. Das Verhältnis zwischen Korps
nud Burschenschafter spielt tausendfach störend und irritirend in die Gesellschaft
hinüber, und präjudizirt in endgiltiger Weise die Stellung von Leuten zu
einander, die einander unaufhörlich, vor allem bei gemeinsamer Arbeit, berühren,
und, "nie die Sache liegt, voll Mißtrauen, geheimer Abneigung und bittrer
Vorurteile berühren.

Es geschehen hier Dinge, die geradezu unglaublich klingen, die wir mich


Aorps und Burschenschafter.

einzig dastehender Zeit, von ernsten, ans den Freiheitskriegen heimkehrenden
Männer gegründet, den sittlichen Gehalt, den sie damals besaß, unmöglich auf
jüngere Geschlechter vererben konnte. Es haftete deshalb den Burschenschaftern
mit ihrer geschmacklosen Jdenlhuberei, mit ihrem gespreizten Tugeuddünlel, mit
ihrer paragraphisch geordneten Keuschheit, mit ihren „wissenschaftlichen Abenden,"
an denen noch weit mehr Bombast geredet als Durst gelitten wurde, von Hause
aus eine gewisse Lächerlichkeit an, und so gutes hier auch geweckt worden sein
mag, so tüchtiges ohne Zweifel von Begabteren auch gelegentlich geleistet worden
ist, diesen Fluch sind sie niemals vollständig los geworden. Während ihre mit
Verkehrtheiten und Übereilungen aller Art gewürzte Pflege patriotischer Wünsche
sie „unes oben hin" anscheinend dauernd mißliebig machte (wir erinnern hier
nur an die sinnlose Ermordung Kotzebues), gab vollends die hie und da er¬
folgte Opposition gegen das Mensurwesen den Korps ein Ngitatiousmittel in
die Hand, welches in ausgiebigster, ja in übertriebner Weise ausgebeutet wurde.

Null ist das alles aber gewesen. Mögen die Korps immerhin bei ihrer
strafferen, schon aus den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts datirenden Ge-
samtorgnnisation (Kösener Senioren-Convent, Kösener L. 0. oder „3. d" schlecht¬
weg), bei ihrer gegenseitigen Beaufsichtigung gleichmäßigere Traditionen vererben,
heute wird bei dem Gros der Burschenschafter nichts andres gewollt und nichts
andres erreicht als bei jenen. Und dennoch arbeiten beide Teile mit wahrer
Hingebung daran, ihre angeblichen Gegensätze zu verschärfen und zu verewigen
und in derselben Zeit, in welcher Deutschland deu Sozialismus in seinem Herzen
austrägt, liefern unsre Hochschulen ein schnödes Beispiel von deutscher Unduld¬
samkeit, von widernatürlicher Zwietracht. Wie viel Leichtsinn, wie viel Unwissen¬
heit, wie viel Voreingenommenheit dabei mitspielen, liegt auf der Hand, und
wenn es nicht so ungemein traurig wäre, würde es die Lachlust herausfordern,
wie Leute, die aus denselben Gesellschaftsschichten hervorgegangen sind, dieselben
Schulbänke gedrückt haben, dieselben Neigungen und Gewohnheiten zur Schau
tragen, wie diese in einer Lebenszeit, welche naturgemäß gar keine Tendenz haben
sollte, plötzlich aufhören sich zu kennen, um nach sechs Semestern „Erziehung"
die enragirtesteu Gegenfüßler zu sein.

Dem Außenstehenden möchte es nun vielleicht scheinen, als ob sich hier
nur jugendliche Beklemmungen äußerten, die vor dem Ernst des Lebens von
selber schwänden und der Bemühung reifer Männer deshalb auch nicht wert
seien. Dies wäre ein beklagenswerter Irrtum. Das Verhältnis zwischen Korps
nud Burschenschafter spielt tausendfach störend und irritirend in die Gesellschaft
hinüber, und präjudizirt in endgiltiger Weise die Stellung von Leuten zu
einander, die einander unaufhörlich, vor allem bei gemeinsamer Arbeit, berühren,
und, »nie die Sache liegt, voll Mißtrauen, geheimer Abneigung und bittrer
Vorurteile berühren.

Es geschehen hier Dinge, die geradezu unglaublich klingen, die wir mich


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[0067] Aorps und Burschenschafter. einzig dastehender Zeit, von ernsten, ans den Freiheitskriegen heimkehrenden Männer gegründet, den sittlichen Gehalt, den sie damals besaß, unmöglich auf jüngere Geschlechter vererben konnte. Es haftete deshalb den Burschenschaftern mit ihrer geschmacklosen Jdenlhuberei, mit ihrem gespreizten Tugeuddünlel, mit ihrer paragraphisch geordneten Keuschheit, mit ihren „wissenschaftlichen Abenden," an denen noch weit mehr Bombast geredet als Durst gelitten wurde, von Hause aus eine gewisse Lächerlichkeit an, und so gutes hier auch geweckt worden sein mag, so tüchtiges ohne Zweifel von Begabteren auch gelegentlich geleistet worden ist, diesen Fluch sind sie niemals vollständig los geworden. Während ihre mit Verkehrtheiten und Übereilungen aller Art gewürzte Pflege patriotischer Wünsche sie „unes oben hin" anscheinend dauernd mißliebig machte (wir erinnern hier nur an die sinnlose Ermordung Kotzebues), gab vollends die hie und da er¬ folgte Opposition gegen das Mensurwesen den Korps ein Ngitatiousmittel in die Hand, welches in ausgiebigster, ja in übertriebner Weise ausgebeutet wurde. Null ist das alles aber gewesen. Mögen die Korps immerhin bei ihrer strafferen, schon aus den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts datirenden Ge- samtorgnnisation (Kösener Senioren-Convent, Kösener L. 0. oder „3. d" schlecht¬ weg), bei ihrer gegenseitigen Beaufsichtigung gleichmäßigere Traditionen vererben, heute wird bei dem Gros der Burschenschafter nichts andres gewollt und nichts andres erreicht als bei jenen. Und dennoch arbeiten beide Teile mit wahrer Hingebung daran, ihre angeblichen Gegensätze zu verschärfen und zu verewigen und in derselben Zeit, in welcher Deutschland deu Sozialismus in seinem Herzen austrägt, liefern unsre Hochschulen ein schnödes Beispiel von deutscher Unduld¬ samkeit, von widernatürlicher Zwietracht. Wie viel Leichtsinn, wie viel Unwissen¬ heit, wie viel Voreingenommenheit dabei mitspielen, liegt auf der Hand, und wenn es nicht so ungemein traurig wäre, würde es die Lachlust herausfordern, wie Leute, die aus denselben Gesellschaftsschichten hervorgegangen sind, dieselben Schulbänke gedrückt haben, dieselben Neigungen und Gewohnheiten zur Schau tragen, wie diese in einer Lebenszeit, welche naturgemäß gar keine Tendenz haben sollte, plötzlich aufhören sich zu kennen, um nach sechs Semestern „Erziehung" die enragirtesteu Gegenfüßler zu sein. Dem Außenstehenden möchte es nun vielleicht scheinen, als ob sich hier nur jugendliche Beklemmungen äußerten, die vor dem Ernst des Lebens von selber schwänden und der Bemühung reifer Männer deshalb auch nicht wert seien. Dies wäre ein beklagenswerter Irrtum. Das Verhältnis zwischen Korps nud Burschenschafter spielt tausendfach störend und irritirend in die Gesellschaft hinüber, und präjudizirt in endgiltiger Weise die Stellung von Leuten zu einander, die einander unaufhörlich, vor allem bei gemeinsamer Arbeit, berühren, und, »nie die Sache liegt, voll Mißtrauen, geheimer Abneigung und bittrer Vorurteile berühren. Es geschehen hier Dinge, die geradezu unglaublich klingen, die wir mich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/67>, abgerufen am 05.02.2025.