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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Korps und Burschenschafter.

und erzeugen unter dem Druck einer besonders bei den Korps ausgebildeten
Disziplin jene Intimität des Zusammenlebens, welche auf junge Gemüter eine
so unwiderstehliche Anziehung ausübt.

Hat man jemals in das Getriebe dieser Mikrokosmen einen Einblick gethan
und von der Lebhaftigkeit der hier spielenden Interessen eine Vorstellung be¬
kommen, so lernt man es begreifen, wie unaufhörlich, trotz warnender Mütter
und zeternder Philister, nicht bloß junge Leute von starkem Freundschafts-
bedürfnis, sondern vor allein die Ehrgeizigen, welche den Trieb nach Geltung
und Bethätigung haben, zu ihnen hinströmen. In der Vertretung der geliebten
Farben übt sich hier das jugendliche Selbstvertrauen, und in der Leitung seiner
"Couleur" kostet der Senior zum ersten male den unnennbaren und unverge߬
lichen Reiz eines Lebens voll Verantwortung. Hierin vor allem, in dem kräf¬
tigen Sichauslebe" unter Anforderungen und Friktionen, keineswegs aber in
dem Breittreten unverdauter politischer Phrasen, wie es neuerdings wieder Mode
geworden ist, liegt mich die eigentliche Vorbildung des Studenten zu einem
öffentlichen Charakter. Man muß es den Burschenschafter zum Lobe nachsagen,
daß sie ihre politischen Velleitäten schou seit langem gelassen und ihren Beruf
begriffen haben, und muß sie, ebenso wie die Korps und nicht minder auch die
ähnlich organisirten (an Zahl geringern) Landsmannschaften, als Vorschulen
unsers öffentlichen Lebeus im eminentester Sinne betrachten.

Bedenkt man dies und bedenkt man ferner, wie starke Wurzeln die er¬
wähnten Verbindungen im Lande haben, wie tief dies Jahrhunderte alte Wesen
im Volke steckt, wieviel Krisen es überdauert hat, wieviel Tausende junger, be¬
gabter und zu hervorragenden Stellungen prüdestiuirtcr Leute hier noch ma߬
gebende Eindrücke fürs Leben empfangen werden, wieviel hier genützt, wieviel
aber auch nnter Umständen verdorben werden kauu, so sollte mau glauben, daß
die allgemeine Teilnahme der Nation voll Eifer und Sympathie auf diesen
Punkt gerichtet sein müßte.

Das Gegenteil ist der Fall.

Während die Schriftgelehrten mit großer Emsigkeit diskutiren, wie man den
Köpfen unsrer akademischen Jngend immer schneller die erforderlichen Kenntnisse
eintrichtern könnte (der Deutsche lernt bekanntlich zu wenig), während der Kvl-
legienzwang als ultium ra,rin> zur Heranbildung von "Männern" in Aussicht
genommen wird, glaubt das liebe Publikum reichlich seine Schuldigkeit zu thun,
wenn es hie und da über die Karikaturen lacht, durch welche in den "Fliegenden
Blättern" der deutsche Student dem allgemeinen Wohlwollen empfohlen wird.
Die Unwissenheit, die im großen Ganzen über die sozialen Zustände unsrer Hoch¬
schulen herrscht, ist unglaublich, und obschon seit unsrer politischen Wiedererstcirknng
nachgerade in alle dunkeln Winkel unsers nationalen Lebens hineingeleuchtet und
jede Äußerung der deutschen Volksseele mit Sorgfalt beobachtet und annlysirt
worden ist, ficht man dem Treiben unsrer Studenten bald mit Achselzucken, bald


Wrenzbvten I. 138". 8
Korps und Burschenschafter.

und erzeugen unter dem Druck einer besonders bei den Korps ausgebildeten
Disziplin jene Intimität des Zusammenlebens, welche auf junge Gemüter eine
so unwiderstehliche Anziehung ausübt.

Hat man jemals in das Getriebe dieser Mikrokosmen einen Einblick gethan
und von der Lebhaftigkeit der hier spielenden Interessen eine Vorstellung be¬
kommen, so lernt man es begreifen, wie unaufhörlich, trotz warnender Mütter
und zeternder Philister, nicht bloß junge Leute von starkem Freundschafts-
bedürfnis, sondern vor allein die Ehrgeizigen, welche den Trieb nach Geltung
und Bethätigung haben, zu ihnen hinströmen. In der Vertretung der geliebten
Farben übt sich hier das jugendliche Selbstvertrauen, und in der Leitung seiner
„Couleur" kostet der Senior zum ersten male den unnennbaren und unverge߬
lichen Reiz eines Lebens voll Verantwortung. Hierin vor allem, in dem kräf¬
tigen Sichauslebe» unter Anforderungen und Friktionen, keineswegs aber in
dem Breittreten unverdauter politischer Phrasen, wie es neuerdings wieder Mode
geworden ist, liegt mich die eigentliche Vorbildung des Studenten zu einem
öffentlichen Charakter. Man muß es den Burschenschafter zum Lobe nachsagen,
daß sie ihre politischen Velleitäten schou seit langem gelassen und ihren Beruf
begriffen haben, und muß sie, ebenso wie die Korps und nicht minder auch die
ähnlich organisirten (an Zahl geringern) Landsmannschaften, als Vorschulen
unsers öffentlichen Lebeus im eminentester Sinne betrachten.

Bedenkt man dies und bedenkt man ferner, wie starke Wurzeln die er¬
wähnten Verbindungen im Lande haben, wie tief dies Jahrhunderte alte Wesen
im Volke steckt, wieviel Krisen es überdauert hat, wieviel Tausende junger, be¬
gabter und zu hervorragenden Stellungen prüdestiuirtcr Leute hier noch ma߬
gebende Eindrücke fürs Leben empfangen werden, wieviel hier genützt, wieviel
aber auch nnter Umständen verdorben werden kauu, so sollte mau glauben, daß
die allgemeine Teilnahme der Nation voll Eifer und Sympathie auf diesen
Punkt gerichtet sein müßte.

Das Gegenteil ist der Fall.

Während die Schriftgelehrten mit großer Emsigkeit diskutiren, wie man den
Köpfen unsrer akademischen Jngend immer schneller die erforderlichen Kenntnisse
eintrichtern könnte (der Deutsche lernt bekanntlich zu wenig), während der Kvl-
legienzwang als ultium ra,rin> zur Heranbildung von „Männern" in Aussicht
genommen wird, glaubt das liebe Publikum reichlich seine Schuldigkeit zu thun,
wenn es hie und da über die Karikaturen lacht, durch welche in den „Fliegenden
Blättern" der deutsche Student dem allgemeinen Wohlwollen empfohlen wird.
Die Unwissenheit, die im großen Ganzen über die sozialen Zustände unsrer Hoch¬
schulen herrscht, ist unglaublich, und obschon seit unsrer politischen Wiedererstcirknng
nachgerade in alle dunkeln Winkel unsers nationalen Lebens hineingeleuchtet und
jede Äußerung der deutschen Volksseele mit Sorgfalt beobachtet und annlysirt
worden ist, ficht man dem Treiben unsrer Studenten bald mit Achselzucken, bald


Wrenzbvten I. 138«. 8
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[0065] Korps und Burschenschafter. und erzeugen unter dem Druck einer besonders bei den Korps ausgebildeten Disziplin jene Intimität des Zusammenlebens, welche auf junge Gemüter eine so unwiderstehliche Anziehung ausübt. Hat man jemals in das Getriebe dieser Mikrokosmen einen Einblick gethan und von der Lebhaftigkeit der hier spielenden Interessen eine Vorstellung be¬ kommen, so lernt man es begreifen, wie unaufhörlich, trotz warnender Mütter und zeternder Philister, nicht bloß junge Leute von starkem Freundschafts- bedürfnis, sondern vor allein die Ehrgeizigen, welche den Trieb nach Geltung und Bethätigung haben, zu ihnen hinströmen. In der Vertretung der geliebten Farben übt sich hier das jugendliche Selbstvertrauen, und in der Leitung seiner „Couleur" kostet der Senior zum ersten male den unnennbaren und unverge߬ lichen Reiz eines Lebens voll Verantwortung. Hierin vor allem, in dem kräf¬ tigen Sichauslebe» unter Anforderungen und Friktionen, keineswegs aber in dem Breittreten unverdauter politischer Phrasen, wie es neuerdings wieder Mode geworden ist, liegt mich die eigentliche Vorbildung des Studenten zu einem öffentlichen Charakter. Man muß es den Burschenschafter zum Lobe nachsagen, daß sie ihre politischen Velleitäten schou seit langem gelassen und ihren Beruf begriffen haben, und muß sie, ebenso wie die Korps und nicht minder auch die ähnlich organisirten (an Zahl geringern) Landsmannschaften, als Vorschulen unsers öffentlichen Lebeus im eminentester Sinne betrachten. Bedenkt man dies und bedenkt man ferner, wie starke Wurzeln die er¬ wähnten Verbindungen im Lande haben, wie tief dies Jahrhunderte alte Wesen im Volke steckt, wieviel Krisen es überdauert hat, wieviel Tausende junger, be¬ gabter und zu hervorragenden Stellungen prüdestiuirtcr Leute hier noch ma߬ gebende Eindrücke fürs Leben empfangen werden, wieviel hier genützt, wieviel aber auch nnter Umständen verdorben werden kauu, so sollte mau glauben, daß die allgemeine Teilnahme der Nation voll Eifer und Sympathie auf diesen Punkt gerichtet sein müßte. Das Gegenteil ist der Fall. Während die Schriftgelehrten mit großer Emsigkeit diskutiren, wie man den Köpfen unsrer akademischen Jngend immer schneller die erforderlichen Kenntnisse eintrichtern könnte (der Deutsche lernt bekanntlich zu wenig), während der Kvl- legienzwang als ultium ra,rin> zur Heranbildung von „Männern" in Aussicht genommen wird, glaubt das liebe Publikum reichlich seine Schuldigkeit zu thun, wenn es hie und da über die Karikaturen lacht, durch welche in den „Fliegenden Blättern" der deutsche Student dem allgemeinen Wohlwollen empfohlen wird. Die Unwissenheit, die im großen Ganzen über die sozialen Zustände unsrer Hoch¬ schulen herrscht, ist unglaublich, und obschon seit unsrer politischen Wiedererstcirknng nachgerade in alle dunkeln Winkel unsers nationalen Lebens hineingeleuchtet und jede Äußerung der deutschen Volksseele mit Sorgfalt beobachtet und annlysirt worden ist, ficht man dem Treiben unsrer Studenten bald mit Achselzucken, bald Wrenzbvten I. 138«. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/65>, abgerufen am 05.02.2025.