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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Lamoens.

zwischen den Felsenthoren verschwanden, aus denen die ganze Herrlichkeit vor
einer Stunde unerwartet aufgetaucht war. Esmah legte zärtlich ihren Arm
um den Nacken der kleinen hilfreichen Freundin und schmiegte ihre Wange an
die sonnenbraune des Hirtenkindes, Jocma verstand auch ohne die wenigen ge-
brochnen Worte, daß Esmah hinweg müsse, und stammelte, während ihre Angen
sich mit Thränen füllten, schlichte Segenswünsche für die Scheidende. Diese fand
es schwer, sich aus den umschlingenden Armen der Hirtin loszuwinden, bis ihr
Barreto zu Hilfe kam und zu Jocma sagte: Laß es gut fein, Kind, es ist kein
Abschied für immer, du sollst Esmah Catarina, der du im Unglück beigestanden,
auch im Glück wiedersehen. Aber jetzt halte sie und uns nicht auf. Wir müssen
vor Mittag in Cintra und in Sicherheit sein, nicht nur wegen des Gewitters,
das sich dort über der Waldschlucht immer deutlicher zusammenballt; sie wissen
drunten in der Welt noch nicht, daß Esmah jetzt von Kirche und König zu
gleicher Zeit in Schutz genommen ist, wir dürfen, bis sie es wissen, Mulei
Muhammeds Häschern nicht begegnen. Wir haben erfahren, daß sie heute
Esmah in andrer Richtung suchen, sie sind schon früh nach der Küste hin aus¬
gezogen, also müssen wir vor ihrer Rückkunft den Palast erreichen!

Jocma nickte lind trennte sich rasch mit einer letzten Umarmung von Esmah.
Senhor Manuel reichte der Kleinen die Rechte und steckte mit der Linken ein
paar große Goldstücke mit König Sebastians Bild in ihren Gürtel. Auch
Camoens und Pater Henriques nahmen herzlich Abschied, und Jayme Leiras,
der alte Seemann, versagte sich nicht, Jocma mit einem Kusse zu beteuern,
daß sie recht gethan habe und ein tapferes Kind sei. Der kleine Zug, den
wiederum der Bursche aus Okaz' Herberge schloß, hatte sich schon in Bewegung
gesetzt, als Manuel Barreto mit plötzlichem Besinnen noch einmal zu Jocma
zurückeilte.

Noch ein Wort, Kleine, sagte er, als er wieder vor ihr stand und sie ihr
gutes Gesicht zu seinem emporrichtete. Bist du an die frommen Schwestern
von Santa Enfemia gebunden oder willst du mit mir nach meinem Gute
kommen? Es giebt auch dort Ziegen zu hüten und mancherlei sonst zu thun --
du sollst es in Almocegema so gut und besser haben als hier! Nicht daß es
nötig wäre, ich glaube, du bist hier oben so sicher als irgendwo -- doch wäre
es mir lieb, mein Auge auf dir zu behalten!

Jocma suchte umsonst nach einer Erwiederung, gleichwohl las der Edelmann
ihre Antwort auch von den stummen Lippen, die sich öffneten und wieder
schlössen, und aus den verlegen zu Boden gesenkten Augen.

Schon einen Liebsten? sagte er teilnehmend. Dem Schatz würde der Weg
nach meinem Gute zu weit sein? So behüte dich Gott und die Mutter aller
Gnaden, Jocma, und habe noch einmal Dank für alles, was du an Esmah gethan!

Er verließ sie wieder, Jocma blickte ihm feuchten Auges uach und sprang
dann leichtfüßig zu ihren Ziegen auf den höchsten der verstreuten Felsblöcke


Lamoens.

zwischen den Felsenthoren verschwanden, aus denen die ganze Herrlichkeit vor
einer Stunde unerwartet aufgetaucht war. Esmah legte zärtlich ihren Arm
um den Nacken der kleinen hilfreichen Freundin und schmiegte ihre Wange an
die sonnenbraune des Hirtenkindes, Jocma verstand auch ohne die wenigen ge-
brochnen Worte, daß Esmah hinweg müsse, und stammelte, während ihre Angen
sich mit Thränen füllten, schlichte Segenswünsche für die Scheidende. Diese fand
es schwer, sich aus den umschlingenden Armen der Hirtin loszuwinden, bis ihr
Barreto zu Hilfe kam und zu Jocma sagte: Laß es gut fein, Kind, es ist kein
Abschied für immer, du sollst Esmah Catarina, der du im Unglück beigestanden,
auch im Glück wiedersehen. Aber jetzt halte sie und uns nicht auf. Wir müssen
vor Mittag in Cintra und in Sicherheit sein, nicht nur wegen des Gewitters,
das sich dort über der Waldschlucht immer deutlicher zusammenballt; sie wissen
drunten in der Welt noch nicht, daß Esmah jetzt von Kirche und König zu
gleicher Zeit in Schutz genommen ist, wir dürfen, bis sie es wissen, Mulei
Muhammeds Häschern nicht begegnen. Wir haben erfahren, daß sie heute
Esmah in andrer Richtung suchen, sie sind schon früh nach der Küste hin aus¬
gezogen, also müssen wir vor ihrer Rückkunft den Palast erreichen!

Jocma nickte lind trennte sich rasch mit einer letzten Umarmung von Esmah.
Senhor Manuel reichte der Kleinen die Rechte und steckte mit der Linken ein
paar große Goldstücke mit König Sebastians Bild in ihren Gürtel. Auch
Camoens und Pater Henriques nahmen herzlich Abschied, und Jayme Leiras,
der alte Seemann, versagte sich nicht, Jocma mit einem Kusse zu beteuern,
daß sie recht gethan habe und ein tapferes Kind sei. Der kleine Zug, den
wiederum der Bursche aus Okaz' Herberge schloß, hatte sich schon in Bewegung
gesetzt, als Manuel Barreto mit plötzlichem Besinnen noch einmal zu Jocma
zurückeilte.

Noch ein Wort, Kleine, sagte er, als er wieder vor ihr stand und sie ihr
gutes Gesicht zu seinem emporrichtete. Bist du an die frommen Schwestern
von Santa Enfemia gebunden oder willst du mit mir nach meinem Gute
kommen? Es giebt auch dort Ziegen zu hüten und mancherlei sonst zu thun —
du sollst es in Almocegema so gut und besser haben als hier! Nicht daß es
nötig wäre, ich glaube, du bist hier oben so sicher als irgendwo — doch wäre
es mir lieb, mein Auge auf dir zu behalten!

Jocma suchte umsonst nach einer Erwiederung, gleichwohl las der Edelmann
ihre Antwort auch von den stummen Lippen, die sich öffneten und wieder
schlössen, und aus den verlegen zu Boden gesenkten Augen.

Schon einen Liebsten? sagte er teilnehmend. Dem Schatz würde der Weg
nach meinem Gute zu weit sein? So behüte dich Gott und die Mutter aller
Gnaden, Jocma, und habe noch einmal Dank für alles, was du an Esmah gethan!

Er verließ sie wieder, Jocma blickte ihm feuchten Auges uach und sprang
dann leichtfüßig zu ihren Ziegen auf den höchsten der verstreuten Felsblöcke


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[0634] Lamoens. zwischen den Felsenthoren verschwanden, aus denen die ganze Herrlichkeit vor einer Stunde unerwartet aufgetaucht war. Esmah legte zärtlich ihren Arm um den Nacken der kleinen hilfreichen Freundin und schmiegte ihre Wange an die sonnenbraune des Hirtenkindes, Jocma verstand auch ohne die wenigen ge- brochnen Worte, daß Esmah hinweg müsse, und stammelte, während ihre Angen sich mit Thränen füllten, schlichte Segenswünsche für die Scheidende. Diese fand es schwer, sich aus den umschlingenden Armen der Hirtin loszuwinden, bis ihr Barreto zu Hilfe kam und zu Jocma sagte: Laß es gut fein, Kind, es ist kein Abschied für immer, du sollst Esmah Catarina, der du im Unglück beigestanden, auch im Glück wiedersehen. Aber jetzt halte sie und uns nicht auf. Wir müssen vor Mittag in Cintra und in Sicherheit sein, nicht nur wegen des Gewitters, das sich dort über der Waldschlucht immer deutlicher zusammenballt; sie wissen drunten in der Welt noch nicht, daß Esmah jetzt von Kirche und König zu gleicher Zeit in Schutz genommen ist, wir dürfen, bis sie es wissen, Mulei Muhammeds Häschern nicht begegnen. Wir haben erfahren, daß sie heute Esmah in andrer Richtung suchen, sie sind schon früh nach der Küste hin aus¬ gezogen, also müssen wir vor ihrer Rückkunft den Palast erreichen! Jocma nickte lind trennte sich rasch mit einer letzten Umarmung von Esmah. Senhor Manuel reichte der Kleinen die Rechte und steckte mit der Linken ein paar große Goldstücke mit König Sebastians Bild in ihren Gürtel. Auch Camoens und Pater Henriques nahmen herzlich Abschied, und Jayme Leiras, der alte Seemann, versagte sich nicht, Jocma mit einem Kusse zu beteuern, daß sie recht gethan habe und ein tapferes Kind sei. Der kleine Zug, den wiederum der Bursche aus Okaz' Herberge schloß, hatte sich schon in Bewegung gesetzt, als Manuel Barreto mit plötzlichem Besinnen noch einmal zu Jocma zurückeilte. Noch ein Wort, Kleine, sagte er, als er wieder vor ihr stand und sie ihr gutes Gesicht zu seinem emporrichtete. Bist du an die frommen Schwestern von Santa Enfemia gebunden oder willst du mit mir nach meinem Gute kommen? Es giebt auch dort Ziegen zu hüten und mancherlei sonst zu thun — du sollst es in Almocegema so gut und besser haben als hier! Nicht daß es nötig wäre, ich glaube, du bist hier oben so sicher als irgendwo — doch wäre es mir lieb, mein Auge auf dir zu behalten! Jocma suchte umsonst nach einer Erwiederung, gleichwohl las der Edelmann ihre Antwort auch von den stummen Lippen, die sich öffneten und wieder schlössen, und aus den verlegen zu Boden gesenkten Augen. Schon einen Liebsten? sagte er teilnehmend. Dem Schatz würde der Weg nach meinem Gute zu weit sein? So behüte dich Gott und die Mutter aller Gnaden, Jocma, und habe noch einmal Dank für alles, was du an Esmah gethan! Er verließ sie wieder, Jocma blickte ihm feuchten Auges uach und sprang dann leichtfüßig zu ihren Ziegen auf den höchsten der verstreuten Felsblöcke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/634>, abgerufen am 05.02.2025.