Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Die ZiMgmspflicl/t der Reichstagscibgeorducten. ein neues Institut zu schaffen, dazu haben wir wahrhaftig keine Veranlassung. Sehen wir uns zum Schlüsse noch die Form an, in welcher der Abge¬ Was die Herren Windthorst und Hänel wünschen, haben sie allerdings Wir wollen keine Kabinetsjustiz, aber noch viel weniger "Parlamcntsjustiz," Die ZiMgmspflicl/t der Reichstagscibgeorducten. ein neues Institut zu schaffen, dazu haben wir wahrhaftig keine Veranlassung. Sehen wir uns zum Schlüsse noch die Form an, in welcher der Abge¬ Was die Herren Windthorst und Hänel wünschen, haben sie allerdings Wir wollen keine Kabinetsjustiz, aber noch viel weniger „Parlamcntsjustiz," <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0629" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198053"/> <fw type="header" place="top"> Die ZiMgmspflicl/t der Reichstagscibgeorducten.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1843" prev="#ID_1842"> ein neues Institut zu schaffen, dazu haben wir wahrhaftig keine Veranlassung.<lb/> Die Straffreiheit der Abgeordneten ist schon jetzt derartig, daß wir uns<lb/> damit befassen sollten, sie einzuschränken, nicht aber die letzten Schutzmaß-<lb/> regeln gegen deren böswilliges oder leichtfertiges Treiben aufzuheben. Schon<lb/> jetzt hat der außerhalb des Parlaments stehende gegen Verleumdungen und Be¬<lb/> schimpfungen Vonseiten eines Abgeordneten keinerlei Rechtsmittel, er kann (nach<lb/> vorliegenden Entscheidungen des Reichsgerichts) nicht einmal eine ihm wider¬<lb/> fahrene Beleidigung erwiedern, ohne sich strafbar zu machen, so groß auch<lb/> die vorangegangne Herausforderung gewesen sein mag. Zu welchen Zuständen<lb/> würden wir kommen, wenn jeder dritte sich eines gefälligen Volksvertreters be¬<lb/> dienen konnte, um Unwahrheiten ungestraft in die Welt gehen zu lassen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1844"> Sehen wir uns zum Schlüsse noch die Form an, in welcher der Abge¬<lb/> ordnete Windthorst seinem Antrage Geltung verschaffen will. Er will eine Er¬<lb/> klärung des Reichstages, welche den Zeugniszwang gegenüber einem Abgeord¬<lb/> neten für unzulässig erklären soll. Was soll denn eine derartige Erklärung<lb/> helfen, selbst wenn sie vom ganzen Reichstage einstimmig beschlossen würde?<lb/> Nicht der jüngste Richter oder Staatsanwalt hätte sich auch nur im mindeste!',<lb/> darum zu kümmern, denn er weiß, daß ein Gesetz der Übereinstimmung der ge¬<lb/> setzgebenden Faktoren zu seiner Giltigkeit bedarf, und daß einer einseitigen Inter¬<lb/> pretation eines solchen der gleiche Wert beizulegen ist, wie etwa einer Resolution<lb/> eiues Männergesangvereins, die sich gegen den Zeugniszwang ausspräche. Der<lb/> Richter und Staatsanwalt wird also die Zustimmung der Negierung zu der<lb/> fraglichen Erklärung abwarten und bis dahin die Verfassungsbestimmung nach<lb/> seiner Auffassung auslegen.-</p><lb/> <p xml:id="ID_1845"> Was die Herren Windthorst und Hänel wünschen, haben sie allerdings<lb/> deutlich allsgesprochen, wenn sie bedauern, daß wir leider noch keine „Parlmnents-<lb/> justiz" haben und, bis wir vollends so weit sein werden, erwarten, „daß die<lb/> Richter sich wohl veranlaßt sehen werden, in sehr ernste Erwägung zu nehmen,<lb/> ob sie sich mit einer solchen Erklärung in Widerspruch setzen wollen." Sie er¬<lb/> warten also von den Beamten, daß sie einem einseitigen Beschlusse des Reichs¬<lb/> tages Folge geben ohne Rücksicht darauf, ob dieser Beschluß im Einklange mit<lb/> dem Gesetze steht oder nicht. Was würden die Herren wohl sagen, wenn die<lb/> Regierung ein solches Ansinnen stellen wollte?</p><lb/> <p xml:id="ID_1846"> Wir wollen keine Kabinetsjustiz, aber noch viel weniger „Parlamcntsjustiz,"<lb/> und wir freuen uns der unbefangnen Haltung der konservativen Partei, welche<lb/> derartigen Anmaßungen entgegentritt. Wir tragen kein Verlangen nach einem<lb/> Nichterstande, der von dem guten Willen einer Parlamentsmehrheit abhängig<lb/> wäre, und wir hoffen, daß, solange ein Hohenzoller auf dem Throne sitzt, die<lb/> Herren, welche Konvent spielen möchten, in die gebührenden Schranken zurück¬<lb/> gewiesen werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0629]
Die ZiMgmspflicl/t der Reichstagscibgeorducten.
ein neues Institut zu schaffen, dazu haben wir wahrhaftig keine Veranlassung.
Die Straffreiheit der Abgeordneten ist schon jetzt derartig, daß wir uns
damit befassen sollten, sie einzuschränken, nicht aber die letzten Schutzmaß-
regeln gegen deren böswilliges oder leichtfertiges Treiben aufzuheben. Schon
jetzt hat der außerhalb des Parlaments stehende gegen Verleumdungen und Be¬
schimpfungen Vonseiten eines Abgeordneten keinerlei Rechtsmittel, er kann (nach
vorliegenden Entscheidungen des Reichsgerichts) nicht einmal eine ihm wider¬
fahrene Beleidigung erwiedern, ohne sich strafbar zu machen, so groß auch
die vorangegangne Herausforderung gewesen sein mag. Zu welchen Zuständen
würden wir kommen, wenn jeder dritte sich eines gefälligen Volksvertreters be¬
dienen konnte, um Unwahrheiten ungestraft in die Welt gehen zu lassen?
Sehen wir uns zum Schlüsse noch die Form an, in welcher der Abge¬
ordnete Windthorst seinem Antrage Geltung verschaffen will. Er will eine Er¬
klärung des Reichstages, welche den Zeugniszwang gegenüber einem Abgeord¬
neten für unzulässig erklären soll. Was soll denn eine derartige Erklärung
helfen, selbst wenn sie vom ganzen Reichstage einstimmig beschlossen würde?
Nicht der jüngste Richter oder Staatsanwalt hätte sich auch nur im mindeste!',
darum zu kümmern, denn er weiß, daß ein Gesetz der Übereinstimmung der ge¬
setzgebenden Faktoren zu seiner Giltigkeit bedarf, und daß einer einseitigen Inter¬
pretation eines solchen der gleiche Wert beizulegen ist, wie etwa einer Resolution
eiues Männergesangvereins, die sich gegen den Zeugniszwang ausspräche. Der
Richter und Staatsanwalt wird also die Zustimmung der Negierung zu der
fraglichen Erklärung abwarten und bis dahin die Verfassungsbestimmung nach
seiner Auffassung auslegen.-
Was die Herren Windthorst und Hänel wünschen, haben sie allerdings
deutlich allsgesprochen, wenn sie bedauern, daß wir leider noch keine „Parlmnents-
justiz" haben und, bis wir vollends so weit sein werden, erwarten, „daß die
Richter sich wohl veranlaßt sehen werden, in sehr ernste Erwägung zu nehmen,
ob sie sich mit einer solchen Erklärung in Widerspruch setzen wollen." Sie er¬
warten also von den Beamten, daß sie einem einseitigen Beschlusse des Reichs¬
tages Folge geben ohne Rücksicht darauf, ob dieser Beschluß im Einklange mit
dem Gesetze steht oder nicht. Was würden die Herren wohl sagen, wenn die
Regierung ein solches Ansinnen stellen wollte?
Wir wollen keine Kabinetsjustiz, aber noch viel weniger „Parlamcntsjustiz,"
und wir freuen uns der unbefangnen Haltung der konservativen Partei, welche
derartigen Anmaßungen entgegentritt. Wir tragen kein Verlangen nach einem
Nichterstande, der von dem guten Willen einer Parlamentsmehrheit abhängig
wäre, und wir hoffen, daß, solange ein Hohenzoller auf dem Throne sitzt, die
Herren, welche Konvent spielen möchten, in die gebührenden Schranken zurück¬
gewiesen werden.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |