Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Die Zeugnispflicht der Reichstagsabgeordneten. le Reichstagsabgeordneten Dr. Windthorst und Graf von Wald¬ Sehen wir zunächst von der praktischen Bedeutung einer etwaigen ent¬ Hervorgerufen wurde der Antrag bekanntlich durch die gerichtliche Vor¬ Die Zeugnispflicht der Reichstagsabgeordneten. le Reichstagsabgeordneten Dr. Windthorst und Graf von Wald¬ Sehen wir zunächst von der praktischen Bedeutung einer etwaigen ent¬ Hervorgerufen wurde der Antrag bekanntlich durch die gerichtliche Vor¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0626" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198050"/> </div> <div n="1"> <head> Die Zeugnispflicht der Reichstagsabgeordneten.</head><lb/> <p xml:id="ID_1833"> le Reichstagsabgeordneten Dr. Windthorst und Graf von Wald¬<lb/> burg-Zeil haben einen Antrag beim Reichstage eingebracht, der<lb/> am 10. März gegen die Stimmen der Deutsch-Konservativen an<lb/> die Geschäftsvrdnuugskommissivn verwiesen worden ist und wohl<lb/> demnächst den Reichstag wieder beschäftigen wird. Der Antrag<lb/> lautet: Der Reichstag wolle beschließen, eine Erklärung abzugeben, daß es un¬<lb/> zulässig sei, einen Reichstagsabgeordneten wegen Äußerungen über Thatsachen,<lb/> welche ihm in dieser seiner Eigenschaft mitgeteilt worden sind und welche er<lb/> infolgedessen im Reichstage vorgetragen hat, einem Zeugniszwangsverfahren zu<lb/> unterwerfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1834"> Sehen wir zunächst von der praktischen Bedeutung einer etwaigen ent¬<lb/> sprechenden „Erklärung" durch den Reichstag ab und fragen wir nach der Be¬<lb/> gründung dieses Ausspruches gemäß den bestehenden Gesetzen, so wird von den<lb/> Antragstellern und ihren Genossen der Antrag auf deu Artikel 30 der Ver¬<lb/> fassung des deutschen Reiches gestützt und diese Bestimmung als eine solche be¬<lb/> zeichnet, welche zweifellos das fragliche Recht der Zeugnisfrciheit in sich schließe.<lb/> Der Artikel 30 der Reichsverfassung lautet wörtlich: „Kein Mitglied des Reichs¬<lb/> tages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in<lb/> Ausübung seines Berufes gethanen Äußerungen gerichtlich oder disziplinarisch<lb/> verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen<lb/> werden." Zu weiterer Unterstützung dieses Anspruchs wird der K 11 des deut¬<lb/> scheu Reichsstrafgesetzbuches angeführt, welcher wörtlich bestimmt: „Kein Mit¬<lb/> glied eines Landtages oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staates<lb/> darf außerhalb der Versammlung, zu welcher das Mitglied gehört, wegen seiner<lb/> Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Äußerungen<lb/> zur Verantwortung gezogen werden."</p><lb/> <p xml:id="ID_1835" next="#ID_1836"> Hervorgerufen wurde der Antrag bekanntlich durch die gerichtliche Vor¬<lb/> ladung des Abgeordneten von Schalscha, der im Reichstage geäußert hatte, es<lb/> sei ihm vou gut unterrichteter Seite mitgeteilt worden, zwei Firmen in Berlin<lb/> betrieben das einträgliche Geschäft, preußische Thaler alten Gepräges in der<lb/> Schweiz und Südfrankreich anfertigen zu lassen, um sie alsdann im deutschen<lb/> Reiche als echtes Geld mit erheblichem Nutzen zu verkaufen, und der über seiue<lb/> Wissenschaft von diesem, im Strafgesetzbuche nicht unter zwei Jahren bedrohten<lb/> Verbrechen als Zeuge vernommen werden sollte. Für die Frage der Zeugnis-<lb/> Pflicht eines Abgeordneten ohne Bedeutung ist die Thatsache, daß Herr von<lb/> Schalscha — offenbar nachdem er von der Strafandrohung des Z 139 des Straf-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0626]
Die Zeugnispflicht der Reichstagsabgeordneten.
le Reichstagsabgeordneten Dr. Windthorst und Graf von Wald¬
burg-Zeil haben einen Antrag beim Reichstage eingebracht, der
am 10. März gegen die Stimmen der Deutsch-Konservativen an
die Geschäftsvrdnuugskommissivn verwiesen worden ist und wohl
demnächst den Reichstag wieder beschäftigen wird. Der Antrag
lautet: Der Reichstag wolle beschließen, eine Erklärung abzugeben, daß es un¬
zulässig sei, einen Reichstagsabgeordneten wegen Äußerungen über Thatsachen,
welche ihm in dieser seiner Eigenschaft mitgeteilt worden sind und welche er
infolgedessen im Reichstage vorgetragen hat, einem Zeugniszwangsverfahren zu
unterwerfen.
Sehen wir zunächst von der praktischen Bedeutung einer etwaigen ent¬
sprechenden „Erklärung" durch den Reichstag ab und fragen wir nach der Be¬
gründung dieses Ausspruches gemäß den bestehenden Gesetzen, so wird von den
Antragstellern und ihren Genossen der Antrag auf deu Artikel 30 der Ver¬
fassung des deutschen Reiches gestützt und diese Bestimmung als eine solche be¬
zeichnet, welche zweifellos das fragliche Recht der Zeugnisfrciheit in sich schließe.
Der Artikel 30 der Reichsverfassung lautet wörtlich: „Kein Mitglied des Reichs¬
tages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in
Ausübung seines Berufes gethanen Äußerungen gerichtlich oder disziplinarisch
verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen
werden." Zu weiterer Unterstützung dieses Anspruchs wird der K 11 des deut¬
scheu Reichsstrafgesetzbuches angeführt, welcher wörtlich bestimmt: „Kein Mit¬
glied eines Landtages oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staates
darf außerhalb der Versammlung, zu welcher das Mitglied gehört, wegen seiner
Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Äußerungen
zur Verantwortung gezogen werden."
Hervorgerufen wurde der Antrag bekanntlich durch die gerichtliche Vor¬
ladung des Abgeordneten von Schalscha, der im Reichstage geäußert hatte, es
sei ihm vou gut unterrichteter Seite mitgeteilt worden, zwei Firmen in Berlin
betrieben das einträgliche Geschäft, preußische Thaler alten Gepräges in der
Schweiz und Südfrankreich anfertigen zu lassen, um sie alsdann im deutschen
Reiche als echtes Geld mit erheblichem Nutzen zu verkaufen, und der über seiue
Wissenschaft von diesem, im Strafgesetzbuche nicht unter zwei Jahren bedrohten
Verbrechen als Zeuge vernommen werden sollte. Für die Frage der Zeugnis-
Pflicht eines Abgeordneten ohne Bedeutung ist die Thatsache, daß Herr von
Schalscha — offenbar nachdem er von der Strafandrohung des Z 139 des Straf-
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