Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Zum Verständnis und MM Schutze des ersten Faustmonologs, Schmerzes im klaren gewesen sei, komme hier erst über die Ursachen des auf ihm Wir sind leider mit Scherers Mißverständnissen und seiner willkürlichen Zum Verständnis und MM Schutze des ersten Faustmonologs, Schmerzes im klaren gewesen sei, komme hier erst über die Ursachen des auf ihm Wir sind leider mit Scherers Mißverständnissen und seiner willkürlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0621" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198045"/> <fw type="header" place="top"> Zum Verständnis und MM Schutze des ersten Faustmonologs,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1822" prev="#ID_1821"> Schmerzes im klaren gewesen sei, komme hier erst über die Ursachen des auf ihm<lb/> lastenden Druckes zur Klarheit. Wo steckt denu hier der Widerspruch? Der<lb/> sehnsüchtige Blick in die freie Natur läßt ihn jetzt erkennen, weshalb ihm die<lb/> heitere Lust der Seele gefehlt habe, er nur ein halber Mensch gewesen sei, den<lb/> bloß das Wissen angezogen habe, Und da kann er natürlich dem Triebe nicht<lb/> widerstehen, in die freie Natur zu eilen, wo er noch immer den lockenden<lb/> Mondschein bemerkt. Auch hierin liegt für Scherer ein Widerspruch. Während<lb/> im Eingange die Magie schlechthin (doch nur der Erkenntnis) helfen solle und<lb/> an neue Lehrthätigkeit mit vermehrter Einsicht (nichts weniger als dieses!) gedacht<lb/> werde, soll jetzt die Flucht nötig sein (doch um der Verdumpfung des Herzens<lb/> zu entgehen). Das „Flieh, auf! hinaus ins weite Land!" ist durch den Eindruck<lb/> des Mondes höchst glücklich eingeleitet. Aber nicht weniger vortrefflich wird<lb/> gleich darauf der Drang nach magischer Beschwörung damit verknüpft. Ehe er<lb/> wegeilt, sieht er das Zauberbuch des Nostradamus auf dem Pulte liegen, und<lb/> so nimmt er es auf seinen Ausflug mit, um endlich, wenn er sich dazu mächtig<lb/> fühlen wird, in der dazu geeignetem freien Natur die Beschwörung zu ver¬<lb/> suchen. Aber in diesem Augenblicke, wo er klagt, daß er hier, an diesem ihm<lb/> jetzt so verhaßten Orte, durch trockenes Sinnen es zu nichts bringe, glaubt er<lb/> die draußen gesuchten Geister in seiner Nähe zu fühlen, und so wagt er es mit<lb/> der Beschwörung. Scherers Bemerkung, das Buch scheine erst nur uuter An¬<lb/> weisung der Natur selbst seine Macht zu erweisen, und es falle deshalb auf, daß<lb/> die Beschwörung dennoch im Zimmer geschehe, übersieht gerade das, worauf es<lb/> ankommt, daß die Geister von seinem magischen Drange angezogen werden, wie<lb/> sie auch bei Pfitzer sich dem Faust in seiner Wohnung zeigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1823" next="#ID_1824"> Wir sind leider mit Scherers Mißverständnissen und seiner willkürlichen<lb/> Zerschlagung des Monologs noch nicht zu Ende. Daß seine dritte und vierte<lb/> Partie 77—114 und 115—164 nicht unmittelbar aneinandergeschlossen seien, be¬<lb/> weist ihm Fausts Rede an den Erdgeist (122): „Ich steht's, du schwebst um mich, er¬<lb/> flehter Geist!" Im Ernste werden wir belehrt: „Aber der Geist ist noch garnicht er¬<lb/> fleht. Faust hat ihn noch mit keinem Wort um sein Erscheinen gebeten. Er hat<lb/> nur sein Zeichen aus sich einwirken lassen. Er hat auch nicht »lang« an der Sphäre<lb/> des Geistes gesogen, wie dieser in Z. 131 behauptet." Aber muß denn das<lb/> Erflehen mit dürren Worten ausgesprochen werden? Bedarf die schmachtende<lb/> Sehnsucht, die Fausts Seele bewegt, die sich so ergreifend in seinen Worten<lb/> kundgiebt, einer ausdrücklichen Bitte, empfindet der Erdgeist nicht in Fausts<lb/> Drängen nach ihm hin sein „Scelenflchen" (135)? Das eigentliche Anrufen<lb/> des Geistes erfolgt erst mit dem geheimnisvollen Aussprechen des Zeichens. Und<lb/> um auf den andern Punkt zu kommen, warum sollte Fausts leidenschaftliches<lb/> Verlangen nach dem Erdgeiste, wie es 109—128 schildern, nicht als ein „langes<lb/> Saugen an seiner Sphäre" bezeichnet werden können? Es hat andauernder,<lb/> fieberhaft anspannender, ihn bald mit Grauen, bald mit glühendsten Seelen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0621]
Zum Verständnis und MM Schutze des ersten Faustmonologs,
Schmerzes im klaren gewesen sei, komme hier erst über die Ursachen des auf ihm
lastenden Druckes zur Klarheit. Wo steckt denu hier der Widerspruch? Der
sehnsüchtige Blick in die freie Natur läßt ihn jetzt erkennen, weshalb ihm die
heitere Lust der Seele gefehlt habe, er nur ein halber Mensch gewesen sei, den
bloß das Wissen angezogen habe, Und da kann er natürlich dem Triebe nicht
widerstehen, in die freie Natur zu eilen, wo er noch immer den lockenden
Mondschein bemerkt. Auch hierin liegt für Scherer ein Widerspruch. Während
im Eingange die Magie schlechthin (doch nur der Erkenntnis) helfen solle und
an neue Lehrthätigkeit mit vermehrter Einsicht (nichts weniger als dieses!) gedacht
werde, soll jetzt die Flucht nötig sein (doch um der Verdumpfung des Herzens
zu entgehen). Das „Flieh, auf! hinaus ins weite Land!" ist durch den Eindruck
des Mondes höchst glücklich eingeleitet. Aber nicht weniger vortrefflich wird
gleich darauf der Drang nach magischer Beschwörung damit verknüpft. Ehe er
wegeilt, sieht er das Zauberbuch des Nostradamus auf dem Pulte liegen, und
so nimmt er es auf seinen Ausflug mit, um endlich, wenn er sich dazu mächtig
fühlen wird, in der dazu geeignetem freien Natur die Beschwörung zu ver¬
suchen. Aber in diesem Augenblicke, wo er klagt, daß er hier, an diesem ihm
jetzt so verhaßten Orte, durch trockenes Sinnen es zu nichts bringe, glaubt er
die draußen gesuchten Geister in seiner Nähe zu fühlen, und so wagt er es mit
der Beschwörung. Scherers Bemerkung, das Buch scheine erst nur uuter An¬
weisung der Natur selbst seine Macht zu erweisen, und es falle deshalb auf, daß
die Beschwörung dennoch im Zimmer geschehe, übersieht gerade das, worauf es
ankommt, daß die Geister von seinem magischen Drange angezogen werden, wie
sie auch bei Pfitzer sich dem Faust in seiner Wohnung zeigen.
Wir sind leider mit Scherers Mißverständnissen und seiner willkürlichen
Zerschlagung des Monologs noch nicht zu Ende. Daß seine dritte und vierte
Partie 77—114 und 115—164 nicht unmittelbar aneinandergeschlossen seien, be¬
weist ihm Fausts Rede an den Erdgeist (122): „Ich steht's, du schwebst um mich, er¬
flehter Geist!" Im Ernste werden wir belehrt: „Aber der Geist ist noch garnicht er¬
fleht. Faust hat ihn noch mit keinem Wort um sein Erscheinen gebeten. Er hat
nur sein Zeichen aus sich einwirken lassen. Er hat auch nicht »lang« an der Sphäre
des Geistes gesogen, wie dieser in Z. 131 behauptet." Aber muß denn das
Erflehen mit dürren Worten ausgesprochen werden? Bedarf die schmachtende
Sehnsucht, die Fausts Seele bewegt, die sich so ergreifend in seinen Worten
kundgiebt, einer ausdrücklichen Bitte, empfindet der Erdgeist nicht in Fausts
Drängen nach ihm hin sein „Scelenflchen" (135)? Das eigentliche Anrufen
des Geistes erfolgt erst mit dem geheimnisvollen Aussprechen des Zeichens. Und
um auf den andern Punkt zu kommen, warum sollte Fausts leidenschaftliches
Verlangen nach dem Erdgeiste, wie es 109—128 schildern, nicht als ein „langes
Saugen an seiner Sphäre" bezeichnet werden können? Es hat andauernder,
fieberhaft anspannender, ihn bald mit Grauen, bald mit glühendsten Seelen-
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