Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Zum Verständnis und zum Schutze des ersten ^Faustmonologs. verschafft, die sigilla desselben oft beschaut, aber die Seelenkraft (71) ist ihm
nicht verstand und zu der unbegreiflichen Behauptung kam, hier habe mit 75 eine Wir haben hiermit den Nerv von Scherers Mißverständnis und seiner Zum Verständnis und zum Schutze des ersten ^Faustmonologs. verschafft, die sigilla desselben oft beschaut, aber die Seelenkraft (71) ist ihm
nicht verstand und zu der unbegreiflichen Behauptung kam, hier habe mit 75 eine Wir haben hiermit den Nerv von Scherers Mißverständnis und seiner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198042"/> <fw type="header" place="top"> Zum Verständnis und zum Schutze des ersten ^Faustmonologs.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1816" prev="#ID_1815"> verschafft, die sigilla desselben oft beschaut, aber die Seelenkraft (71) ist ihm<lb/> dabei nicht aufgegangen, das trockene Sinnen (73) hat ihm nichts geholfen,<lb/> sein Sinn ist zu, sein Herz tot geblieben (91): erst in dieser Nacht, als er<lb/> mit dem Buche des Nostradamus in die freie Natur eilen will, erfaßt ihn<lb/> dieser echt magische Geist, und so fühlt er sich zur Beschwörung getrieben. Wie<lb/> hätte Scherer dies alles übersehen können, wenn er der Spur des Dichters gefolgt<lb/> wäre! Noch deutlicher spricht das folgende. Faust wagt nicht den Makrokosmus<lb/> zu beschwören, weil er sich dessen nicht mächtig fühlt (101 ff.). Erst dem Erdgeist<lb/> sühlt er sich wirklich nahe, dieser begeistert seine Seele, er giebt ihm alle seine<lb/> Sinne, sein ganzes Herz hin, und sein mächtiger Drang, sein Scelenflchcn zieht<lb/> ihn heran, daß er sich ihm enthüllen muß. Vortrefflich ist es vom Dichter<lb/> erfunden, daß Faust die Beschwörung des Geistes des Makrokosmus nicht wagt.<lb/> Dies hat Scherer so wenig gefühlt, daß er sich als möglich denkt (S. 258),<lb/> Faust sei nach dem ersten EntWurfe in der Beschwörung des Erdgeistes unter¬<lb/> brochen worden und darauf der Vorhang gefallen. Also schon beim ersten<lb/> EntWurfe habe Goethe an eine Teilung in Akte gedacht, und gar an eine so<lb/> widersinnige! Gerade das ist der Zweck des Monologs, daß Faust sich endlich<lb/> zur magischen Beschwörung getrieben fühlt, die ihm gelingt, aber ohne damit<lb/> seinen Zweck zu erreichen. Dafür fehlt Scherer jedes Verständnis, oder vielmehr<lb/> sein kritisches Nachspähen verblendet ihn völlig gegen die dichterische Auffassung.<lb/> Nur dadurch war es möglich, daß er die Verse (73—76):</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_7" type="poem"> <l> Umsonst dost trocknes Sinnen hier<lb/> Die heil'gar Zeichen dir erklärt.<lb/> Ihr schwebt, ihr Geister, neben nur,<lb/> Antwortet mir, wenn ihr mich hört!</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1817"> nicht verstand und zu der unbegreiflichen Behauptung kam, hier habe mit 75 eine<lb/> Zusammcnschweißung ursprünglich nicht für einander berechneter Stücke statt¬<lb/> gefunden. Als Faust eben vom gewaltigen Drange sich ergriffen fühlt, in der<lb/> freien Natur die Stimme der Geister zu vernehmen, erfüllt ihn der magische<lb/> Geist, statt des bisherigen trocknen Sinnens ahnt er die Nähe der Geister, und<lb/> so drängt es ihn, gleich an Ort und Stelle die Veschwörnng zu versuchen.<lb/> Er will sagen, dort würde ihn die Nähe der Geister beleben; in dem Augenblicke<lb/> aber fühlt er sie wirklich um sich. Die Rede ist nach „erklärt" eigentlich unter¬<lb/> brochen, was ein Gedankenstrich andeuten sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1818" next="#ID_1819"> Wir haben hiermit den Nerv von Scherers Mißverständnis und seiner<lb/> darauf gegründeten Vivisektion erkannt. Er verbindet aber damit eine andre,<lb/> ebenso haltlose Ausdeutung. Faust schildere auch seine Unbefriedigung als<lb/> Professor, weil er, der nichts wissende, trotzdem lehren soll (S. 245 f.), jn<lb/> das Motiv Faust als Lehrer, das in den ersten 32 Versen dreimal anklinge<lb/> (8 f., 19 f., 27 f.), stehe vollkomne» gleichberechtigt ueben dem unbefriedigten<lb/> Erkenntnistricbe (S. 249), was doch eine der stärksten Übertreibungen wäre,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0618]
Zum Verständnis und zum Schutze des ersten ^Faustmonologs.
verschafft, die sigilla desselben oft beschaut, aber die Seelenkraft (71) ist ihm
dabei nicht aufgegangen, das trockene Sinnen (73) hat ihm nichts geholfen,
sein Sinn ist zu, sein Herz tot geblieben (91): erst in dieser Nacht, als er
mit dem Buche des Nostradamus in die freie Natur eilen will, erfaßt ihn
dieser echt magische Geist, und so fühlt er sich zur Beschwörung getrieben. Wie
hätte Scherer dies alles übersehen können, wenn er der Spur des Dichters gefolgt
wäre! Noch deutlicher spricht das folgende. Faust wagt nicht den Makrokosmus
zu beschwören, weil er sich dessen nicht mächtig fühlt (101 ff.). Erst dem Erdgeist
sühlt er sich wirklich nahe, dieser begeistert seine Seele, er giebt ihm alle seine
Sinne, sein ganzes Herz hin, und sein mächtiger Drang, sein Scelenflchcn zieht
ihn heran, daß er sich ihm enthüllen muß. Vortrefflich ist es vom Dichter
erfunden, daß Faust die Beschwörung des Geistes des Makrokosmus nicht wagt.
Dies hat Scherer so wenig gefühlt, daß er sich als möglich denkt (S. 258),
Faust sei nach dem ersten EntWurfe in der Beschwörung des Erdgeistes unter¬
brochen worden und darauf der Vorhang gefallen. Also schon beim ersten
EntWurfe habe Goethe an eine Teilung in Akte gedacht, und gar an eine so
widersinnige! Gerade das ist der Zweck des Monologs, daß Faust sich endlich
zur magischen Beschwörung getrieben fühlt, die ihm gelingt, aber ohne damit
seinen Zweck zu erreichen. Dafür fehlt Scherer jedes Verständnis, oder vielmehr
sein kritisches Nachspähen verblendet ihn völlig gegen die dichterische Auffassung.
Nur dadurch war es möglich, daß er die Verse (73—76):
Umsonst dost trocknes Sinnen hier
Die heil'gar Zeichen dir erklärt.
Ihr schwebt, ihr Geister, neben nur,
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
nicht verstand und zu der unbegreiflichen Behauptung kam, hier habe mit 75 eine
Zusammcnschweißung ursprünglich nicht für einander berechneter Stücke statt¬
gefunden. Als Faust eben vom gewaltigen Drange sich ergriffen fühlt, in der
freien Natur die Stimme der Geister zu vernehmen, erfüllt ihn der magische
Geist, statt des bisherigen trocknen Sinnens ahnt er die Nähe der Geister, und
so drängt es ihn, gleich an Ort und Stelle die Veschwörnng zu versuchen.
Er will sagen, dort würde ihn die Nähe der Geister beleben; in dem Augenblicke
aber fühlt er sie wirklich um sich. Die Rede ist nach „erklärt" eigentlich unter¬
brochen, was ein Gedankenstrich andeuten sollte.
Wir haben hiermit den Nerv von Scherers Mißverständnis und seiner
darauf gegründeten Vivisektion erkannt. Er verbindet aber damit eine andre,
ebenso haltlose Ausdeutung. Faust schildere auch seine Unbefriedigung als
Professor, weil er, der nichts wissende, trotzdem lehren soll (S. 245 f.), jn
das Motiv Faust als Lehrer, das in den ersten 32 Versen dreimal anklinge
(8 f., 19 f., 27 f.), stehe vollkomne» gleichberechtigt ueben dem unbefriedigten
Erkenntnistricbe (S. 249), was doch eine der stärksten Übertreibungen wäre,
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