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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Zum Verständnis und zum Schutze des ersten Faustmonologs.

"nun" und dem "völlig aus gegenwärtiger Not gethanen Aufschrei," kein Hund
möchte so länger leben, finden zu können glaubt. Aber wenn auch Fausts Ver¬
zweiflung am Leben noch fortbesteht, da es ihm mit der Magie noch nicht ge¬
lungen ist, muß er deshalb den Schritt, sich der Magie zu ergeben, erst jetzt
gewagt haben? Wollte dies der Dichter, wie konnte er so unmündig sein,
nicht gerade mit dem Entschlüsse, sich der Magie zu widmen, das Stück zu er¬
öffnen? Und steht nicht das Perfekt: "ich habe mich der Magie ergeben" dem
bis dahin überall gebrauchten Präsens so bestimmt entgegen, daß man not¬
wendig an eine vergangene Handlung denkt? Aber die Mißdeutung ist Scherer
eben willkommen, weil er daran etwas weiteres knüpft, was den Monolog
sprengen soll. "Faust hat sich der Magie ergeben, aber sie offenbar noch nicht
gehandhabt," heißt es S. 246. "Die Vorteile, die er von ihr erwartet, liegen
in der Zukunft; er freut sich noch keines Besitzes. Sonst hätte ja der ganze
Monolog bis dahin keinen Sinn, worin doch gewiß nicht der Beglückte redet,
dessen Wissensdrang durch Magie gestillt ist, der alles das genießt, was Magie
gewähren kann. Darnach ist man sehr erstaunt, wenn er später nur ein Buch
aufzuschlagen braucht, um sich sofort von Geistern umgeben zu fühlen. Warum
hat er das nicht längst gethan, wenn er konnte? Warum blieb er nur eine
Minute länger in dem qualvollen Zustande des Nichtwissens?" Warum alle
diese Worte? Wir wundern uns nur, wie Scherer übersehen konnte, was
zwischen dem Erwerbe magischer Bücher und einer erfolgreichen Beschwörung der
Geister in der Mitte liegt, obgleich gerade unser Monolog darauf bestimmt genug
hinweist. Daß ein Zauberbuch allein zur wirksamen Beschwörung nicht hin¬
reiche, hätte er sich doch sagen sollen. Schon bei Pfitzer konnte er sich be¬
lehren. Was that sein Faust, um sich mit den bösen Geistern in Verbindung
zu setzen? Er raffte, heißt es, "allerhand teuffelische Bücher, abergläubische Lim-
raotörvs, Gottvergessene Beschwörungen u. s. f." zusammen, schrieb sie zum öftern
ab und übte sich darin vorsätzlich; erst als er "in seiner vorhabenden tenfflischen
Kunst so viel erlernet und gestudiret, so viel ihm nemlich zu seinen Sachen, und
das jenige zu überkommen dienstlich sehn würde, was er lange zuvor begehret
hatte," suchte er sich im Walde einen zur Beschwörung des Teufels geeigneten
Platz. Ja er hat vorher noch "seine Lomvlöxion und Natur erkundigt und
vernommen, ob ihm auch dieselbe in seinem Vorhaben widerig seyn und fehl¬
schlagen oder aber geneigt und beförderlich seyn würde." Da haben wir ja den
Zustand, in welchem wir uns den Faust, nachdem er sich der Magie ergeben,
denken müssen. Der Besitz eines Zauberbuches thut es nicht allein. Faust hat
sich von der Theologie zur Magie gewandt, wie im Puppenspiele, er hat sich
magische Bücher verschafft, sie studirt, ihre Sigillen, ihre Beschwörungen und
alle Lehren zu wirksamer Ausführung gemerkt, aber noch nicht den Mut gehabt,
eine Beschwörung zu wagen, wozu erst der rechte Geist über ihn kommen muß.
Das geheimnisvolle Buch des Nvstradamus (66) hat er sich nicht vergebens


Grcnzbotou I. 1886. 77
Zum Verständnis und zum Schutze des ersten Faustmonologs.

„nun" und dem „völlig aus gegenwärtiger Not gethanen Aufschrei," kein Hund
möchte so länger leben, finden zu können glaubt. Aber wenn auch Fausts Ver¬
zweiflung am Leben noch fortbesteht, da es ihm mit der Magie noch nicht ge¬
lungen ist, muß er deshalb den Schritt, sich der Magie zu ergeben, erst jetzt
gewagt haben? Wollte dies der Dichter, wie konnte er so unmündig sein,
nicht gerade mit dem Entschlüsse, sich der Magie zu widmen, das Stück zu er¬
öffnen? Und steht nicht das Perfekt: „ich habe mich der Magie ergeben" dem
bis dahin überall gebrauchten Präsens so bestimmt entgegen, daß man not¬
wendig an eine vergangene Handlung denkt? Aber die Mißdeutung ist Scherer
eben willkommen, weil er daran etwas weiteres knüpft, was den Monolog
sprengen soll. „Faust hat sich der Magie ergeben, aber sie offenbar noch nicht
gehandhabt," heißt es S. 246. „Die Vorteile, die er von ihr erwartet, liegen
in der Zukunft; er freut sich noch keines Besitzes. Sonst hätte ja der ganze
Monolog bis dahin keinen Sinn, worin doch gewiß nicht der Beglückte redet,
dessen Wissensdrang durch Magie gestillt ist, der alles das genießt, was Magie
gewähren kann. Darnach ist man sehr erstaunt, wenn er später nur ein Buch
aufzuschlagen braucht, um sich sofort von Geistern umgeben zu fühlen. Warum
hat er das nicht längst gethan, wenn er konnte? Warum blieb er nur eine
Minute länger in dem qualvollen Zustande des Nichtwissens?" Warum alle
diese Worte? Wir wundern uns nur, wie Scherer übersehen konnte, was
zwischen dem Erwerbe magischer Bücher und einer erfolgreichen Beschwörung der
Geister in der Mitte liegt, obgleich gerade unser Monolog darauf bestimmt genug
hinweist. Daß ein Zauberbuch allein zur wirksamen Beschwörung nicht hin¬
reiche, hätte er sich doch sagen sollen. Schon bei Pfitzer konnte er sich be¬
lehren. Was that sein Faust, um sich mit den bösen Geistern in Verbindung
zu setzen? Er raffte, heißt es, „allerhand teuffelische Bücher, abergläubische Lim-
raotörvs, Gottvergessene Beschwörungen u. s. f." zusammen, schrieb sie zum öftern
ab und übte sich darin vorsätzlich; erst als er „in seiner vorhabenden tenfflischen
Kunst so viel erlernet und gestudiret, so viel ihm nemlich zu seinen Sachen, und
das jenige zu überkommen dienstlich sehn würde, was er lange zuvor begehret
hatte," suchte er sich im Walde einen zur Beschwörung des Teufels geeigneten
Platz. Ja er hat vorher noch „seine Lomvlöxion und Natur erkundigt und
vernommen, ob ihm auch dieselbe in seinem Vorhaben widerig seyn und fehl¬
schlagen oder aber geneigt und beförderlich seyn würde." Da haben wir ja den
Zustand, in welchem wir uns den Faust, nachdem er sich der Magie ergeben,
denken müssen. Der Besitz eines Zauberbuches thut es nicht allein. Faust hat
sich von der Theologie zur Magie gewandt, wie im Puppenspiele, er hat sich
magische Bücher verschafft, sie studirt, ihre Sigillen, ihre Beschwörungen und
alle Lehren zu wirksamer Ausführung gemerkt, aber noch nicht den Mut gehabt,
eine Beschwörung zu wagen, wozu erst der rechte Geist über ihn kommen muß.
Das geheimnisvolle Buch des Nvstradamus (66) hat er sich nicht vergebens


Grcnzbotou I. 1886. 77
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[0617] Zum Verständnis und zum Schutze des ersten Faustmonologs. „nun" und dem „völlig aus gegenwärtiger Not gethanen Aufschrei," kein Hund möchte so länger leben, finden zu können glaubt. Aber wenn auch Fausts Ver¬ zweiflung am Leben noch fortbesteht, da es ihm mit der Magie noch nicht ge¬ lungen ist, muß er deshalb den Schritt, sich der Magie zu ergeben, erst jetzt gewagt haben? Wollte dies der Dichter, wie konnte er so unmündig sein, nicht gerade mit dem Entschlüsse, sich der Magie zu widmen, das Stück zu er¬ öffnen? Und steht nicht das Perfekt: „ich habe mich der Magie ergeben" dem bis dahin überall gebrauchten Präsens so bestimmt entgegen, daß man not¬ wendig an eine vergangene Handlung denkt? Aber die Mißdeutung ist Scherer eben willkommen, weil er daran etwas weiteres knüpft, was den Monolog sprengen soll. „Faust hat sich der Magie ergeben, aber sie offenbar noch nicht gehandhabt," heißt es S. 246. „Die Vorteile, die er von ihr erwartet, liegen in der Zukunft; er freut sich noch keines Besitzes. Sonst hätte ja der ganze Monolog bis dahin keinen Sinn, worin doch gewiß nicht der Beglückte redet, dessen Wissensdrang durch Magie gestillt ist, der alles das genießt, was Magie gewähren kann. Darnach ist man sehr erstaunt, wenn er später nur ein Buch aufzuschlagen braucht, um sich sofort von Geistern umgeben zu fühlen. Warum hat er das nicht längst gethan, wenn er konnte? Warum blieb er nur eine Minute länger in dem qualvollen Zustande des Nichtwissens?" Warum alle diese Worte? Wir wundern uns nur, wie Scherer übersehen konnte, was zwischen dem Erwerbe magischer Bücher und einer erfolgreichen Beschwörung der Geister in der Mitte liegt, obgleich gerade unser Monolog darauf bestimmt genug hinweist. Daß ein Zauberbuch allein zur wirksamen Beschwörung nicht hin¬ reiche, hätte er sich doch sagen sollen. Schon bei Pfitzer konnte er sich be¬ lehren. Was that sein Faust, um sich mit den bösen Geistern in Verbindung zu setzen? Er raffte, heißt es, „allerhand teuffelische Bücher, abergläubische Lim- raotörvs, Gottvergessene Beschwörungen u. s. f." zusammen, schrieb sie zum öftern ab und übte sich darin vorsätzlich; erst als er „in seiner vorhabenden tenfflischen Kunst so viel erlernet und gestudiret, so viel ihm nemlich zu seinen Sachen, und das jenige zu überkommen dienstlich sehn würde, was er lange zuvor begehret hatte," suchte er sich im Walde einen zur Beschwörung des Teufels geeigneten Platz. Ja er hat vorher noch „seine Lomvlöxion und Natur erkundigt und vernommen, ob ihm auch dieselbe in seinem Vorhaben widerig seyn und fehl¬ schlagen oder aber geneigt und beförderlich seyn würde." Da haben wir ja den Zustand, in welchem wir uns den Faust, nachdem er sich der Magie ergeben, denken müssen. Der Besitz eines Zauberbuches thut es nicht allein. Faust hat sich von der Theologie zur Magie gewandt, wie im Puppenspiele, er hat sich magische Bücher verschafft, sie studirt, ihre Sigillen, ihre Beschwörungen und alle Lehren zu wirksamer Ausführung gemerkt, aber noch nicht den Mut gehabt, eine Beschwörung zu wagen, wozu erst der rechte Geist über ihn kommen muß. Das geheimnisvolle Buch des Nvstradamus (66) hat er sich nicht vergebens Grcnzbotou I. 1886. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/617>, abgerufen am 05.02.2025.