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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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fischen Politikern nicht gewöhnlich, ja fast unerhört ist, vermindert und seine
Befugnisse in beinahe unmerklicher Weise ausgeübt hat. Er war klug und loyal
im Sinne des Katechismus seiner Partei, peinlich gewissenhaft gegenüber dem
ihm erteilten Auftrage und sonnt in jeder Beziehung vertrauenswürdig, soweit
dies durch Unthätigkeit erreicht werden kann. Die republikanischen Parteien
Frankreichs konnten während seiner Amtsführung thun und lassen, was ihnen
beliebte, dieselbe war eine durchaus mustergiltige Parlamentsregierung.

Hierin vor allem lag Grevhs Empfehlung, als man zur Wahl des Prä¬
sidenten der Republik schritt. Daneben mochte seine Kandidatur bei ehrgeizige"
Politikern von Einfluß noch den Umstand für sich haben, daß er als hoch¬
betagter Herr (er ist im Jahre 1807 geboren) wahrscheinlich bald Platz für
andre machen wird. Diese Leute hatten jetzt wenig oder gar keine Hoffnung, ihm
den Rang abzulaufen, aber den Trost: IntLrim not ÄlieMel, in zwei oder drei Jahren
konnte es für sie besser stehen. Das zweite Septcnnat Grevhs wird vermutlich nicht
so glatt verlaufen wie sein erstes. Die Krisis, welche die Republik durchmacht,
ist noch keineswegs zu Ende, vielmehr erst in ihren Anfängen. Die politische
Lage in Paris ist verwickelt und voll Verlegenheiten und Gefahren für die
Parteien, die bisher herrschten. Man muß aus gewaltige Zusammenstöße und
auf noch mehr rasch aufeinander folgende Kabinetswechsel, als sie die letzten
Jahre in Frankreich sahen, gefaßt sein. Im Abgeordnetenhause scheint keine
sichere Majorität vorhanden zu sein, auf die ein Ministerium sich, sei es von
welcher Farbe es wolle, stützen könnte. Die letzte" Wahlen erzeugten drei,
wenn nicht vier Parteien, und die Abstimmung in der Toukingfrage zeigte, daß
ein Zusammengehen, eine vereinte Anstrengung von zweien derselben, der Rechten
und der Linken, jedes Kabinet, das der Präsident wühlen mag, zu Falle bringen
oder mindestens schwer gefährden, erschüttern, um seine nächste Zukunft besorgt
machen und in ohnmächtige Unsicherheit versetzen kann. Die Republikaner sind
unter sich selbst durch verschiedne tiefgehende Meinungsverschiedenheiten, wie es
scheint, unversöhnlich gespalten, und die Monarchisten zerfallen zwar ebenfalls in
mehrere Schattirnngen, sind aber einig in der Opposition gegen die Republik. Die
Benutzung ihrer Majorität zu einem Beschlusse, welcher eine große Anzahl von
Wahlresnltaten für ungiltig erklärte und mehr als 300 000 monarchisch gesinnte
Wähler behandelte, als ob sie nicht votirt Hütten, hat die trotzdem noch sehr
stark gebliebene Gruppe der Monarchisten mit tiefem Ingrimm erfüllt. Ihre
von der Liste gestrichenen Kollegen waren dadurch nicht bloß verhindert, bei
der Toukingfrage mit gegen das opportunistische Ministerium Sturm zu laufen,
sondern auch ihre Stimme im Kongresse gegen den Kandidaten der Opportu¬
nisten zur Präsidentschaft ins Gewicht fallen zu lassen. Ob diese Monarchisten
mit Recht ausgeschlossen wurden oder nicht, die Wirkung auf sie blieb dieselbe.
Sie, die Mandatare von vier Departements, durften nicht dabei sein und an-
stimmen, zunächst als es galt, im Sinne dieser Departements die Kredite für


fischen Politikern nicht gewöhnlich, ja fast unerhört ist, vermindert und seine
Befugnisse in beinahe unmerklicher Weise ausgeübt hat. Er war klug und loyal
im Sinne des Katechismus seiner Partei, peinlich gewissenhaft gegenüber dem
ihm erteilten Auftrage und sonnt in jeder Beziehung vertrauenswürdig, soweit
dies durch Unthätigkeit erreicht werden kann. Die republikanischen Parteien
Frankreichs konnten während seiner Amtsführung thun und lassen, was ihnen
beliebte, dieselbe war eine durchaus mustergiltige Parlamentsregierung.

Hierin vor allem lag Grevhs Empfehlung, als man zur Wahl des Prä¬
sidenten der Republik schritt. Daneben mochte seine Kandidatur bei ehrgeizige»
Politikern von Einfluß noch den Umstand für sich haben, daß er als hoch¬
betagter Herr (er ist im Jahre 1807 geboren) wahrscheinlich bald Platz für
andre machen wird. Diese Leute hatten jetzt wenig oder gar keine Hoffnung, ihm
den Rang abzulaufen, aber den Trost: IntLrim not ÄlieMel, in zwei oder drei Jahren
konnte es für sie besser stehen. Das zweite Septcnnat Grevhs wird vermutlich nicht
so glatt verlaufen wie sein erstes. Die Krisis, welche die Republik durchmacht,
ist noch keineswegs zu Ende, vielmehr erst in ihren Anfängen. Die politische
Lage in Paris ist verwickelt und voll Verlegenheiten und Gefahren für die
Parteien, die bisher herrschten. Man muß aus gewaltige Zusammenstöße und
auf noch mehr rasch aufeinander folgende Kabinetswechsel, als sie die letzten
Jahre in Frankreich sahen, gefaßt sein. Im Abgeordnetenhause scheint keine
sichere Majorität vorhanden zu sein, auf die ein Ministerium sich, sei es von
welcher Farbe es wolle, stützen könnte. Die letzte» Wahlen erzeugten drei,
wenn nicht vier Parteien, und die Abstimmung in der Toukingfrage zeigte, daß
ein Zusammengehen, eine vereinte Anstrengung von zweien derselben, der Rechten
und der Linken, jedes Kabinet, das der Präsident wühlen mag, zu Falle bringen
oder mindestens schwer gefährden, erschüttern, um seine nächste Zukunft besorgt
machen und in ohnmächtige Unsicherheit versetzen kann. Die Republikaner sind
unter sich selbst durch verschiedne tiefgehende Meinungsverschiedenheiten, wie es
scheint, unversöhnlich gespalten, und die Monarchisten zerfallen zwar ebenfalls in
mehrere Schattirnngen, sind aber einig in der Opposition gegen die Republik. Die
Benutzung ihrer Majorität zu einem Beschlusse, welcher eine große Anzahl von
Wahlresnltaten für ungiltig erklärte und mehr als 300 000 monarchisch gesinnte
Wähler behandelte, als ob sie nicht votirt Hütten, hat die trotzdem noch sehr
stark gebliebene Gruppe der Monarchisten mit tiefem Ingrimm erfüllt. Ihre
von der Liste gestrichenen Kollegen waren dadurch nicht bloß verhindert, bei
der Toukingfrage mit gegen das opportunistische Ministerium Sturm zu laufen,
sondern auch ihre Stimme im Kongresse gegen den Kandidaten der Opportu¬
nisten zur Präsidentschaft ins Gewicht fallen zu lassen. Ob diese Monarchisten
mit Recht ausgeschlossen wurden oder nicht, die Wirkung auf sie blieb dieselbe.
Sie, die Mandatare von vier Departements, durften nicht dabei sein und an-
stimmen, zunächst als es galt, im Sinne dieser Departements die Kredite für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/61>, abgerufen am 05.02.2025.