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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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wenn er nicht Villard zu spielen hatte, und war fast immer bereit, jedes Schrift¬
stück zu unterzeichnen, das ihm vorgelegt wurde; höchstens machte er dabei zu¬
weilen eine Ausnahme mit solchen, welche die Todesstrafe über Verbrecher aus-
sprachen, die von einem unverständigen Geschwornengerichte seiner Gnade
empfohlen wurden. Was auch von strengen Kritikern oder bittern Feinden über
die siebenjährige Thätigkeit oder vielmehr Unthätigkeit des Präsidenten Grcvy
vorgebracht wurde, niemand konnte ihm vorwerfen, daß er bei irgendeiner Ge¬
legenheit auch mir den leisesten Versuch gemacht hätte, seinem Amte durch Her¬
vortreten mit seiner Meinung und seinem Wunsche und Willen, durch Beein¬
flussung der Minister oder der beiden Vertrctuugskörper oder durch lcisetretende
Beschränkung der Wirksamkeit derselben mehr Bedeutung zu verschaffen. Er
that dies so wenig, wie es eine Statue von Porzellan oder Alabaster gethan
haben wurde, die man statt seiner auf den Präsidcntenstnhl gesetzt hätte. Es
war in seiner Haltung etwas von der Tugend der Asketen und Säulenheiligen,
die alle andre Gedanken und Bestrebungen als die religiösen in sich ertötet
haben, nur war seine Religion der Parlamentarismus. Wenn die auswärtigen
wie die innern Angelegenheiten Frankreichs sich unter seinem Regimente -- falls
man es so bezeichnen darf --- nicht immer besonders erfreulich verlaufen sind, so
trifft ihn keine Schuld. Wenn er seine Tugenden im Schatten und in der
Stille fromm parlamentarischer Gesinnungstüchtigkeit ausgeübt hat, wenn seine
Verdienste, soviel uns zur Kenntnis gelangt ist, nur negativer Art waren, so muß
man ihm doch nachrühmen, daß er damit über manche schwierige Aufgabe gut
hinweggekommen, daß er niemand dabei in den Weg getreten ist. und daß er
mit seinem Phlegma manches Feuer gelöscht oder doch gedämpft hat, welches
aus dem Aneinanderprallen der Parteien hervorsprang. Nicht wenige Ministerien
tauchten aus der parlamentarischen Flut vor ihm auf, um meist bald wieder
zu versinken, und nicht wenige große Lichter erloschen in Mißgeschick oder Tod,
während er in seiner heitern Beschaulichkeit mit mattem, kaltem Lichte weiter
leuchtete, ruhig und unbewegt von dem stürmischen Drängen und Haften, mit
dem andre nnter und neben ihm nach Ruhm und Macht jagten. Der Senat
ist unter ihm umgestaltet worden, die Methode, nach welcher die Deputirten
gewählt werden, hat einer andern, dem Listenskrntinium, Platz gemacht, es hat
Aktion und Reaktion gegeben, aber in dein Verhalten des Präsidenten hat keine
sichtbare Veränderung stattgefunden. Während seines ersten Septennats ist die
Politik, welche koloniale Ausdehnung im Auge hat, ins Werk gesetzt worden,
sie hat viel Geld und Blut gekostet und teils dementsprechende, teils wenig
befriedigende Ergebnisse zu verzeichnen gehabt, aber niemals hat mau Anzeichen
bemerkt, daß der Präsident sich anregend und fördernd oder nüßbilligend und
hemmend dabei eingemischt hätte. Ob er seinen theoretischen Widerspruch gegen
den Posten eines Präsidenten noch festhält oder nicht, jedenfalls ist es sicher,
daß er die Bedeutung seines Amtes in einer Art und Weise, die unter franzö-


wenn er nicht Villard zu spielen hatte, und war fast immer bereit, jedes Schrift¬
stück zu unterzeichnen, das ihm vorgelegt wurde; höchstens machte er dabei zu¬
weilen eine Ausnahme mit solchen, welche die Todesstrafe über Verbrecher aus-
sprachen, die von einem unverständigen Geschwornengerichte seiner Gnade
empfohlen wurden. Was auch von strengen Kritikern oder bittern Feinden über
die siebenjährige Thätigkeit oder vielmehr Unthätigkeit des Präsidenten Grcvy
vorgebracht wurde, niemand konnte ihm vorwerfen, daß er bei irgendeiner Ge¬
legenheit auch mir den leisesten Versuch gemacht hätte, seinem Amte durch Her¬
vortreten mit seiner Meinung und seinem Wunsche und Willen, durch Beein¬
flussung der Minister oder der beiden Vertrctuugskörper oder durch lcisetretende
Beschränkung der Wirksamkeit derselben mehr Bedeutung zu verschaffen. Er
that dies so wenig, wie es eine Statue von Porzellan oder Alabaster gethan
haben wurde, die man statt seiner auf den Präsidcntenstnhl gesetzt hätte. Es
war in seiner Haltung etwas von der Tugend der Asketen und Säulenheiligen,
die alle andre Gedanken und Bestrebungen als die religiösen in sich ertötet
haben, nur war seine Religion der Parlamentarismus. Wenn die auswärtigen
wie die innern Angelegenheiten Frankreichs sich unter seinem Regimente — falls
man es so bezeichnen darf —- nicht immer besonders erfreulich verlaufen sind, so
trifft ihn keine Schuld. Wenn er seine Tugenden im Schatten und in der
Stille fromm parlamentarischer Gesinnungstüchtigkeit ausgeübt hat, wenn seine
Verdienste, soviel uns zur Kenntnis gelangt ist, nur negativer Art waren, so muß
man ihm doch nachrühmen, daß er damit über manche schwierige Aufgabe gut
hinweggekommen, daß er niemand dabei in den Weg getreten ist. und daß er
mit seinem Phlegma manches Feuer gelöscht oder doch gedämpft hat, welches
aus dem Aneinanderprallen der Parteien hervorsprang. Nicht wenige Ministerien
tauchten aus der parlamentarischen Flut vor ihm auf, um meist bald wieder
zu versinken, und nicht wenige große Lichter erloschen in Mißgeschick oder Tod,
während er in seiner heitern Beschaulichkeit mit mattem, kaltem Lichte weiter
leuchtete, ruhig und unbewegt von dem stürmischen Drängen und Haften, mit
dem andre nnter und neben ihm nach Ruhm und Macht jagten. Der Senat
ist unter ihm umgestaltet worden, die Methode, nach welcher die Deputirten
gewählt werden, hat einer andern, dem Listenskrntinium, Platz gemacht, es hat
Aktion und Reaktion gegeben, aber in dein Verhalten des Präsidenten hat keine
sichtbare Veränderung stattgefunden. Während seines ersten Septennats ist die
Politik, welche koloniale Ausdehnung im Auge hat, ins Werk gesetzt worden,
sie hat viel Geld und Blut gekostet und teils dementsprechende, teils wenig
befriedigende Ergebnisse zu verzeichnen gehabt, aber niemals hat mau Anzeichen
bemerkt, daß der Präsident sich anregend und fördernd oder nüßbilligend und
hemmend dabei eingemischt hätte. Ob er seinen theoretischen Widerspruch gegen
den Posten eines Präsidenten noch festhält oder nicht, jedenfalls ist es sicher,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/60>, abgerufen am 05.02.2025.