Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Zur sozialen Frage. auch bei Beseitigung des Unternehmergewinns "das auf Erden herrschende Elend Nach dieser Darlegung der anzuwendenden Mittel schildert der Verfasser Grenzboten I. 1386, 74
Zur sozialen Frage. auch bei Beseitigung des Unternehmergewinns „das auf Erden herrschende Elend Nach dieser Darlegung der anzuwendenden Mittel schildert der Verfasser Grenzboten I. 1386, 74
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0593" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198017"/> <fw type="header" place="top"> Zur sozialen Frage.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1758" prev="#ID_1757"> auch bei Beseitigung des Unternehmergewinns „das auf Erden herrschende Elend<lb/> nur noch hoffuuugs- und ausnahmsloser gestalten würde," so soll deren Be¬<lb/> seitigung „im Wege friedlicher Entwicklung" durch eine Art Enteignung der<lb/> Eigentümer mittels einer ihnen zu zahlenden Rente oder auch in der Art vor<lb/> sich gehen, daß das Grundeigentum nach einer Reihe von Jahren sich selbst<lb/> amortisire, d. h, unentgeltlich der Gesellschaft verfalle. Da dieser Gedanke einer<lb/> Gesamtbodcncnteignung jüngst noch von dem Amerikaner Henry George ver¬<lb/> treten worden ist, so kommt unser Verfasser auf diesen zu sprechen, wobei er<lb/> dann findet, daß die von demselben vorgeschlagne Lösung des sozialen Problems<lb/> gemeinschaftlicher Bodenbenutzung allerdings sehr verkehrt sei. Er selbst hat<lb/> aber die richtige Lösung gefunden. „Die Bvdeubewirtschaftung wird Assoziationen<lb/> überlassen, die sich nach eignem Belieben und Bedürfnis bilden, ihre Thätigkeit<lb/> auf größere oder kleinere Kulturobjekte ausdehnen, und denen der ungeschmälerte<lb/> Bodenertrag gehört. Jedermann hat das Recht, niemand die Pflicht, solcher<lb/> Assoziation beizutreten, und ebenso steht es jedermann frei, sich unter den ver-<lb/> schiednen Bodcnassvziationen eine beliebige auszuwählen.... Durch die absolute<lb/> Freiheit der Produktion in Verbindung mit dem Assoziationsprinzip ergiebt sich<lb/> die vollkommene Harmonie der wirtschaftlichen Interessen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1759" next="#ID_1760"> Nach dieser Darlegung der anzuwendenden Mittel schildert der Verfasser<lb/> uns dann im zweiten Teile seines Buches den von ihm in der Idee aufgebauten<lb/> „sozialen Staat," die beste aller Welten. Fast alle bisherigen Leiden werden<lb/> darin geschwunden sein. Der unverkürzte Ertrag der Arbeit, der jedem Ar¬<lb/> beitenden zufließt, wird die Befriedigung eines sehr hohen Ausmaßes von Be¬<lb/> dürfnissen ermöglichen. Die Produktion wird viel reichlicher fließen. Die<lb/> Kapitalbildung wird trotz des gesteigerten Konsums der Massen Fortschritte<lb/> machen, da mit dein Konsum auch die Produktion wächst. Überproduktion ist<lb/> nicht mehr zu fürchten. Der Daseinokampf wird weniger auf den Erwerb als<lb/> auf die Geltendmachung geistiger Vorzüge gerichtet sein. Die großen Vermögen<lb/> werden rasch verschwinden. Aber die höhern Fähigkeiten werden wegen Ver¬<lb/> allgemeinerung der Bildung leichter und sicherer den entsprechenden höhern Lohn<lb/> finden. Der soziale Staat wird die größte Steuerlast besitzen. Seine Steuern<lb/> werden nicht als Druck empfunden werden. Die meisten unfruchtbaren Aus¬<lb/> gaben des modernen Staates werden wegfallen. Polizei und Justiz werden<lb/> kaum noch nötig sein. Neunundneunzig Prozent aller Verbrechen werden auf¬<lb/> hören. Wo Arbeit die einzige, zugleich nie versiegende Quelle des Reichtums<lb/> ist, wo Not und Elend unbekannte Dinge sind, kann es keine gegen das Eigentum<lb/> gerichteten Verbrechen geben. Zufolge seiner hohen Bildung wird der soziale<lb/> Staat eine Elite-Armee besitzen, welche im brutalen Daseinskampfe des Krieges<lb/> den Heeren der ausbeuterischen Staaten unendlich überlegen sein wird. Die<lb/> wirtschaftliche Gerechtigkeit wird auch die steigende Moralität zur Folge haben.<lb/> Tugend wird in der sozialen Gesellschaft nichts andres sein als vernünftiger</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1386, 74</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0593]
Zur sozialen Frage.
auch bei Beseitigung des Unternehmergewinns „das auf Erden herrschende Elend
nur noch hoffuuugs- und ausnahmsloser gestalten würde," so soll deren Be¬
seitigung „im Wege friedlicher Entwicklung" durch eine Art Enteignung der
Eigentümer mittels einer ihnen zu zahlenden Rente oder auch in der Art vor
sich gehen, daß das Grundeigentum nach einer Reihe von Jahren sich selbst
amortisire, d. h, unentgeltlich der Gesellschaft verfalle. Da dieser Gedanke einer
Gesamtbodcncnteignung jüngst noch von dem Amerikaner Henry George ver¬
treten worden ist, so kommt unser Verfasser auf diesen zu sprechen, wobei er
dann findet, daß die von demselben vorgeschlagne Lösung des sozialen Problems
gemeinschaftlicher Bodenbenutzung allerdings sehr verkehrt sei. Er selbst hat
aber die richtige Lösung gefunden. „Die Bvdeubewirtschaftung wird Assoziationen
überlassen, die sich nach eignem Belieben und Bedürfnis bilden, ihre Thätigkeit
auf größere oder kleinere Kulturobjekte ausdehnen, und denen der ungeschmälerte
Bodenertrag gehört. Jedermann hat das Recht, niemand die Pflicht, solcher
Assoziation beizutreten, und ebenso steht es jedermann frei, sich unter den ver-
schiednen Bodcnassvziationen eine beliebige auszuwählen.... Durch die absolute
Freiheit der Produktion in Verbindung mit dem Assoziationsprinzip ergiebt sich
die vollkommene Harmonie der wirtschaftlichen Interessen."
Nach dieser Darlegung der anzuwendenden Mittel schildert der Verfasser
uns dann im zweiten Teile seines Buches den von ihm in der Idee aufgebauten
„sozialen Staat," die beste aller Welten. Fast alle bisherigen Leiden werden
darin geschwunden sein. Der unverkürzte Ertrag der Arbeit, der jedem Ar¬
beitenden zufließt, wird die Befriedigung eines sehr hohen Ausmaßes von Be¬
dürfnissen ermöglichen. Die Produktion wird viel reichlicher fließen. Die
Kapitalbildung wird trotz des gesteigerten Konsums der Massen Fortschritte
machen, da mit dein Konsum auch die Produktion wächst. Überproduktion ist
nicht mehr zu fürchten. Der Daseinokampf wird weniger auf den Erwerb als
auf die Geltendmachung geistiger Vorzüge gerichtet sein. Die großen Vermögen
werden rasch verschwinden. Aber die höhern Fähigkeiten werden wegen Ver¬
allgemeinerung der Bildung leichter und sicherer den entsprechenden höhern Lohn
finden. Der soziale Staat wird die größte Steuerlast besitzen. Seine Steuern
werden nicht als Druck empfunden werden. Die meisten unfruchtbaren Aus¬
gaben des modernen Staates werden wegfallen. Polizei und Justiz werden
kaum noch nötig sein. Neunundneunzig Prozent aller Verbrechen werden auf¬
hören. Wo Arbeit die einzige, zugleich nie versiegende Quelle des Reichtums
ist, wo Not und Elend unbekannte Dinge sind, kann es keine gegen das Eigentum
gerichteten Verbrechen geben. Zufolge seiner hohen Bildung wird der soziale
Staat eine Elite-Armee besitzen, welche im brutalen Daseinskampfe des Krieges
den Heeren der ausbeuterischen Staaten unendlich überlegen sein wird. Die
wirtschaftliche Gerechtigkeit wird auch die steigende Moralität zur Folge haben.
Tugend wird in der sozialen Gesellschaft nichts andres sein als vernünftiger
Grenzboten I. 1386, 74
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |