Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Notizen. aller Orten zu wohnen, und dadurch der öffentlichen Sitte und Ordnung, zu deren Aus alledem geht hervor, daß die Gesetzgebung und die dazu erlassenen Aus- Notizen. aller Orten zu wohnen, und dadurch der öffentlichen Sitte und Ordnung, zu deren Aus alledem geht hervor, daß die Gesetzgebung und die dazu erlassenen Aus- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0581" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198005"/> <fw type="header" place="top"> Notizen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1721" prev="#ID_1720"> aller Orten zu wohnen, und dadurch der öffentlichen Sitte und Ordnung, zu deren<lb/> Schuhe die jetzigen Anordnungen getroffen seien, erst recht ins Gesicht zu schlage«,<lb/> namentlich auch die Jugend von der Gegenwart der Prostitution in Kenntnis zu<lb/> setzen; alles dies sei zur Zeit der Bordelle nicht der Fall gewesen, und wenn man<lb/> nicht gerade Bordelle wieder einführen wolle, dann solle man wenigstens Bestim¬<lb/> mungen erlassen, welche den Dirnen mir das Wohnen in abgelegnen Straßen und<lb/> Häusern gestatten. Das Herumstreifen der Dirnen war aber zu der Zeit, als es noch<lb/> Bordelle gab, ebenso stark wie jetzt; wer vor dem 1. Januar 1857, mit welchem<lb/> Tage die Bordelle geschlossen wurden, in Berlin studirt hat, wird dies wenigstens<lb/> für Berlin bestätigen können; es gab anch damals nicht nur zünftige Priesterinnen<lb/> der Venus, sondern sehr zahlreiche der Venus vulgivaga; in dieser Beziehung ist<lb/> nichts verschlimmert worden, Sache der Polizei ist es nur, die Straßen frei zu<lb/> halten und namentlich gegen die sogenannten „Louis" einzuschreiten — soweit dies<lb/> eben möglich ist. Das ist aber jetzt nicht vollständig möglich und war es früher<lb/> auch nicht; ein Gebot, daß anßer in öffentlichen Häusern Unzucht nicht getrieben<lb/> werden solle, ist einfach undurchführbar; dagegen hatten die Bordelle einen merk¬<lb/> würdigen Reiz für alle jungen Leute, galten sie doch (wie z. B. in Hamburg) für<lb/> eine Merkwürdigkeit, welche jeder Reisende gesehen haben mußte. Das Wohnen<lb/> in abgelegenen Straßen kann schon jetzt die Polizei den Dirnen aufgeben und<lb/> thut es regelmäßig, indem die für Berlin erlassenen Kontrolvvrschriften wohl in<lb/> allen größern Städten, wenigstens Preußens, durchgeführt sind, in welchen aus¬<lb/> drücklich das Verbot des Wohnens in gewissen Straßen mit inbegriffen ist. Es<lb/> kommt also auch in dieser Richtung nur auf eine energische Handhabung solcher<lb/> Vorschriften durch die Ortspolizei an. Unrichtig ist es, daß der Hauswirt einer<lb/> Dirne, der von deren Beruf weiß, als strafbar angesehen werde; er wird nur<lb/> daun als Kuppler angesehen, wenn er dem Berufe der Unzucht Vorschub leistet,<lb/> z. B. durch Zuführung von „Herren." Bestimmte Häuser festsetzen, in welchen<lb/> allein die Prostituirten sollten wohnen dürfen, geht nicht an, wenn man nicht die<lb/> ganze alte Bordcllwirtschaft wiedersahen will, oder wenn nicht die Gemeinden selbst<lb/> Häuser mit Zellen für jede Dirne herstelle» wollten, was auch seiue Bedenken<lb/> haben und leicht ausarten möchte. So kann es nur der Diskretion den Lvkal-<lb/> polizeibehörden überlassen bleiben, welche Straßen sie zum Wohnen der Prostituirten<lb/> für zulässig erachten wollen; jede Stadt hat ja ein Viertel zweifelhaften Rufes, in<lb/> dieses werden sich dann allmählich die Vennspriesterinnen von selbst zurückziehen.<lb/> Will niemand solche Damen im Hause dulden, so ist das ein Beweis, daß die<lb/> Bolksstimme sich noch nicht für das Bedürfnis der Prostitution ausgesprochen<lb/> hat, und die Prostituirten sowie deren Freunde mögen sich nach dieser Stimme<lb/> richten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1722" next="#ID_1723"> Aus alledem geht hervor, daß die Gesetzgebung und die dazu erlassenen Aus-<lb/> fnhrnngsbestimmungen den richtigen Weg eingeschlagen haben, und daß es uur<lb/> Sache der Praxis ist, diese Bestimmungen richtig anzuwenden. Wird irgendwo<lb/> eine falsche Anwendung bekannt, so suche man nur Abhilfe bei der vorgesetzten<lb/> Behörde. Schließlich mag aber noch darauf hingewiesen werden, daß die Polizei¬<lb/> behörden allein nicht imstande sind, die Prostitution ganz oder mir in ihren<lb/> krassesten Auswüchse» aus der Welt zu schaffen, dazu haben andre Elemente mitzu-<lb/> wirken; es muß die Anschauung zur Geltung gebracht werden, daß Unzucht ehe»<lb/> etwas unzüchtiges ist, und daß es uicht zum guten Tone gehört, derselben zu<lb/> fröhnen und sich öffentlich als ihren Diener zu bekennen. Auch auf die Literatur<lb/> muß eingewirkt werden, daß sie ein derartiges Treiben nicht in verlockenden Lichte</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0581]
Notizen.
aller Orten zu wohnen, und dadurch der öffentlichen Sitte und Ordnung, zu deren
Schuhe die jetzigen Anordnungen getroffen seien, erst recht ins Gesicht zu schlage«,
namentlich auch die Jugend von der Gegenwart der Prostitution in Kenntnis zu
setzen; alles dies sei zur Zeit der Bordelle nicht der Fall gewesen, und wenn man
nicht gerade Bordelle wieder einführen wolle, dann solle man wenigstens Bestim¬
mungen erlassen, welche den Dirnen mir das Wohnen in abgelegnen Straßen und
Häusern gestatten. Das Herumstreifen der Dirnen war aber zu der Zeit, als es noch
Bordelle gab, ebenso stark wie jetzt; wer vor dem 1. Januar 1857, mit welchem
Tage die Bordelle geschlossen wurden, in Berlin studirt hat, wird dies wenigstens
für Berlin bestätigen können; es gab anch damals nicht nur zünftige Priesterinnen
der Venus, sondern sehr zahlreiche der Venus vulgivaga; in dieser Beziehung ist
nichts verschlimmert worden, Sache der Polizei ist es nur, die Straßen frei zu
halten und namentlich gegen die sogenannten „Louis" einzuschreiten — soweit dies
eben möglich ist. Das ist aber jetzt nicht vollständig möglich und war es früher
auch nicht; ein Gebot, daß anßer in öffentlichen Häusern Unzucht nicht getrieben
werden solle, ist einfach undurchführbar; dagegen hatten die Bordelle einen merk¬
würdigen Reiz für alle jungen Leute, galten sie doch (wie z. B. in Hamburg) für
eine Merkwürdigkeit, welche jeder Reisende gesehen haben mußte. Das Wohnen
in abgelegenen Straßen kann schon jetzt die Polizei den Dirnen aufgeben und
thut es regelmäßig, indem die für Berlin erlassenen Kontrolvvrschriften wohl in
allen größern Städten, wenigstens Preußens, durchgeführt sind, in welchen aus¬
drücklich das Verbot des Wohnens in gewissen Straßen mit inbegriffen ist. Es
kommt also auch in dieser Richtung nur auf eine energische Handhabung solcher
Vorschriften durch die Ortspolizei an. Unrichtig ist es, daß der Hauswirt einer
Dirne, der von deren Beruf weiß, als strafbar angesehen werde; er wird nur
daun als Kuppler angesehen, wenn er dem Berufe der Unzucht Vorschub leistet,
z. B. durch Zuführung von „Herren." Bestimmte Häuser festsetzen, in welchen
allein die Prostituirten sollten wohnen dürfen, geht nicht an, wenn man nicht die
ganze alte Bordcllwirtschaft wiedersahen will, oder wenn nicht die Gemeinden selbst
Häuser mit Zellen für jede Dirne herstelle» wollten, was auch seiue Bedenken
haben und leicht ausarten möchte. So kann es nur der Diskretion den Lvkal-
polizeibehörden überlassen bleiben, welche Straßen sie zum Wohnen der Prostituirten
für zulässig erachten wollen; jede Stadt hat ja ein Viertel zweifelhaften Rufes, in
dieses werden sich dann allmählich die Vennspriesterinnen von selbst zurückziehen.
Will niemand solche Damen im Hause dulden, so ist das ein Beweis, daß die
Bolksstimme sich noch nicht für das Bedürfnis der Prostitution ausgesprochen
hat, und die Prostituirten sowie deren Freunde mögen sich nach dieser Stimme
richten.
Aus alledem geht hervor, daß die Gesetzgebung und die dazu erlassenen Aus-
fnhrnngsbestimmungen den richtigen Weg eingeschlagen haben, und daß es uur
Sache der Praxis ist, diese Bestimmungen richtig anzuwenden. Wird irgendwo
eine falsche Anwendung bekannt, so suche man nur Abhilfe bei der vorgesetzten
Behörde. Schließlich mag aber noch darauf hingewiesen werden, daß die Polizei¬
behörden allein nicht imstande sind, die Prostitution ganz oder mir in ihren
krassesten Auswüchse» aus der Welt zu schaffen, dazu haben andre Elemente mitzu-
wirken; es muß die Anschauung zur Geltung gebracht werden, daß Unzucht ehe»
etwas unzüchtiges ist, und daß es uicht zum guten Tone gehört, derselben zu
fröhnen und sich öffentlich als ihren Diener zu bekennen. Auch auf die Literatur
muß eingewirkt werden, daß sie ein derartiges Treiben nicht in verlockenden Lichte
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