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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Das Bleibende im kirchenpolitischen Kampfe.

nämlich überhaupt den kirchlichen Vereinen, speziell der römischen Kirche, keinerlei
Selbständigkeit beimessen wollte und jede Einräumung an sie einen Verrat am
Staate nennte. Das widerspricht aber doch den heutigen Ansichten völlig.
Streit ist nur über die Abgrenzung der beiderseitigen Rechte und über die Art,
wie diese Abgrenzung zu Stande kommen soll. Wir haben in der Verfassung
das Recht des Staates, diese Grenze zu bestimmen, wieder unzweifelhaft zurück¬
erobert und einige zweideutige Paragraphen deswegen ausgemerzt. Aber daß
es ein eigentümliches Gebiet der christlichen Kirchen giebt, in das der Staat
nicht einzugreifen hat, ist außer Frage. Es ist also nur die Aufgabe, zu er¬
mitteln, ob die siebziger Jahre ihre eindämmende Tendenz nicht übertriebe"?
haben (denn unsre Regierungen und unsre Parlamente sind ja nicht im Besitze
der Unfehlbarkeit), und ob die achtziger Jahre in ihrer entgegengesetzten Tendenz
ein wichtiges Stück religiös-staatlicher Zukunft geopfert haben, indem sie jene
Bestimmungen abänderten.

Diese Überlegungen können wir nur vom Staudpunkte des Staates, speziell
des modernen Großstaates anstellen, von der römischen Theorie ans haben sie
leinen Sinn. Nun hat sich der Staat im Laufe des Kampfes überzeugt, daß
er gewisse Seiten des kirchlichen Lebens mit Unrecht für unwesentlich gehalten
habe. Ihm war der Unterschied zwischen Religion und Kirche noch nicht ganz
deutlich geworden, und es wird immer einem Staatsmanne, der nicht längere
Zeit im katholischen Volke gelebt hat, unmöglich sein, diese beiden Elemente
genau zu sondern. Fiir einen Protestanten, der immer die religiöse Individualität
im Auge hat, klingt es ungereimt, wenn ein römischer Laie sich bedrängt fühlt
dadurch, daß sein Geistlicher ein Examen in Philosophie und Geschichte ablegen,
daß er der staatlichen Behörde angezeigt werden soll, daß sein Bischof nicht
mehr nach Belieben seine Geistlichen umherwerfen, absetzen und strafen soll.
Aber das römische Gefühl reicht wirklich dahin; ihm ist die Freiheit des kirch¬
lichen Institutes und seine Herrschaft ein göttliches Gnadengeschenk, von dem
seine Seligkeit abhängt. Es hilft nichts, wir müssen uns hineindenken, um die
Gefühlsregungen zu verstehen, die wir überall wahrnehmen. Andern können
wir an dieser römischen Auffassung doch nichts wesentliches. Wenn wir so
deutlich erkennen, daß die Seele der Römischen an diesen Freiheiten hängt, daß
eine nicht zu stillende Klage, eine steigende Erbitterung die Folge unsrer Ma߬
regeln ist, so ist es nicht unnatürlich, daß der Staatsmann sich fragt, ob der
Staat wirklich jene drückende Maßregel nicht aufgeben dürfe, ohne seine jetzige
und künftige Aufgabe zu gefährden. Zumal wenn er etwas von der Natur
eines Großstaates in sich fühlt, wird er sich leicht zu Konzessionen entschließe".
Und so konnte man voraussagen, daß Preußen einige von den antirömischcn
Positionen aufgeben werde, als sich ein so schwerer Gewissensdruck in den Ge¬
meinden kundgab. Wir wären ganz sicher lange vor 1880 dazu gekommen,
wenn nicht im polnischen Gebiete das katholische zugleich als das deutschfeindliche


Das Bleibende im kirchenpolitischen Kampfe.

nämlich überhaupt den kirchlichen Vereinen, speziell der römischen Kirche, keinerlei
Selbständigkeit beimessen wollte und jede Einräumung an sie einen Verrat am
Staate nennte. Das widerspricht aber doch den heutigen Ansichten völlig.
Streit ist nur über die Abgrenzung der beiderseitigen Rechte und über die Art,
wie diese Abgrenzung zu Stande kommen soll. Wir haben in der Verfassung
das Recht des Staates, diese Grenze zu bestimmen, wieder unzweifelhaft zurück¬
erobert und einige zweideutige Paragraphen deswegen ausgemerzt. Aber daß
es ein eigentümliches Gebiet der christlichen Kirchen giebt, in das der Staat
nicht einzugreifen hat, ist außer Frage. Es ist also nur die Aufgabe, zu er¬
mitteln, ob die siebziger Jahre ihre eindämmende Tendenz nicht übertriebe«?
haben (denn unsre Regierungen und unsre Parlamente sind ja nicht im Besitze
der Unfehlbarkeit), und ob die achtziger Jahre in ihrer entgegengesetzten Tendenz
ein wichtiges Stück religiös-staatlicher Zukunft geopfert haben, indem sie jene
Bestimmungen abänderten.

Diese Überlegungen können wir nur vom Staudpunkte des Staates, speziell
des modernen Großstaates anstellen, von der römischen Theorie ans haben sie
leinen Sinn. Nun hat sich der Staat im Laufe des Kampfes überzeugt, daß
er gewisse Seiten des kirchlichen Lebens mit Unrecht für unwesentlich gehalten
habe. Ihm war der Unterschied zwischen Religion und Kirche noch nicht ganz
deutlich geworden, und es wird immer einem Staatsmanne, der nicht längere
Zeit im katholischen Volke gelebt hat, unmöglich sein, diese beiden Elemente
genau zu sondern. Fiir einen Protestanten, der immer die religiöse Individualität
im Auge hat, klingt es ungereimt, wenn ein römischer Laie sich bedrängt fühlt
dadurch, daß sein Geistlicher ein Examen in Philosophie und Geschichte ablegen,
daß er der staatlichen Behörde angezeigt werden soll, daß sein Bischof nicht
mehr nach Belieben seine Geistlichen umherwerfen, absetzen und strafen soll.
Aber das römische Gefühl reicht wirklich dahin; ihm ist die Freiheit des kirch¬
lichen Institutes und seine Herrschaft ein göttliches Gnadengeschenk, von dem
seine Seligkeit abhängt. Es hilft nichts, wir müssen uns hineindenken, um die
Gefühlsregungen zu verstehen, die wir überall wahrnehmen. Andern können
wir an dieser römischen Auffassung doch nichts wesentliches. Wenn wir so
deutlich erkennen, daß die Seele der Römischen an diesen Freiheiten hängt, daß
eine nicht zu stillende Klage, eine steigende Erbitterung die Folge unsrer Ma߬
regeln ist, so ist es nicht unnatürlich, daß der Staatsmann sich fragt, ob der
Staat wirklich jene drückende Maßregel nicht aufgeben dürfe, ohne seine jetzige
und künftige Aufgabe zu gefährden. Zumal wenn er etwas von der Natur
eines Großstaates in sich fühlt, wird er sich leicht zu Konzessionen entschließe».
Und so konnte man voraussagen, daß Preußen einige von den antirömischcn
Positionen aufgeben werde, als sich ein so schwerer Gewissensdruck in den Ge¬
meinden kundgab. Wir wären ganz sicher lange vor 1880 dazu gekommen,
wenn nicht im polnischen Gebiete das katholische zugleich als das deutschfeindliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/558>, abgerufen am 05.02.2025.