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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Lehre oder sonst dergleichen die Aufmerksamkeit der literarischen Kreise aus sich
lenken zu wollen. Er selbst ist für sein Teil ein alter Idealist geblieben, und
im Lichte dieses sittlich gesunden Wesens stellt er seine Bilder hin. Ja es ist
sogar etwas Herdes in ihm, das vor keinem noch so strengen Urteil zurücksehend.
Aber er schildert nicht roh die Rohheit, nicht gemein die Gemeinheit, er trifft
den rechten Ton für alle Handlungen. Das Wort: Ane im se swäio setzt er
als Motto über seine Studien; er ist in der That kein Prediger geworden, aber
das Mitgefühl des Dichters konnte er zum Glück nicht verbergen, man spürt
die schwer verhehlte Teilnahme und Bewegung immer dnrch. Nicht um zu ver¬
urteilen, auch eigentlich nicht um lächerlich zu machen, so sehr er den sarkastischen
Ton liebt, setzt er die Feder an, sondern nur um den wahren Sachverhalt an¬
zugeben. Auch seine Form ist so schlicht wie nur möglich. Seine Darstellungs¬
weise geht nicht auf Spannung ans, seine Fabeln sind höchst einfach, seine Art
zu erzählen ist nicht dramatisch, sie bewegt sich in fortlaufender Charakteristik,
hascht nicht nach Witzen oder geistreichelnden Wendungen, sondern wählt den
möglichst einfachen Ausdruck. Und doch weiß er zu fesseln, so anregend fest¬
zuhalten, daß man immer wieder diese Studien lesen kann, ohne das Interesse
erlahmt zu fühlen. Dies bewirkt ihre höchst merkwürdige Sachlichkeit. Immer
zwar führt der Erzähler das Wort, und selten tritt eine Figur selbstsprechend
dazwischen, und gleichwohl denkt man nicht an den Autor, sondern immer nur
an die Dinge. Das macht die überaus reiche Fülle von Beobachtungen, die
Sättigung mit der Wirklichkeit in diesen Studien. Ob wir in die Theaterwelt
oder in die hohe Gesellschaft, in die kleine Beamtenfamilie oder in das Leben
des epikureischen Junggesellen, in das Treiben des Börsianers oder des lite¬
rarischen Strebers eingeführt werden: überall ist der Autor zu Hause. Er
kennt die Modesprache, die technischen Ausdrücke jedes Berufes, die Liebhabereien
aller Stände, und überrascht überall durch die treue Wahrheit seines Gemäldes.
Er findet Charaktere, Type", Verhältnisse, die wir alle kennen, zu denen wir
am Ende selbst gehören, und man wundert sich schließlich nur darüber, daß
nicht schon früher ein Schriftsteller diese auf offner Straße liegenden Nvvellen-
schcitze aufgehoben und verwertet hat.

Vornehmlich ist es der Boden der Großstadt, speziell Wiens, von dem sich
Schwarzkopf seine Gestatte" holt; man kann seine Studien geradezu als Wiener
Sittenbilder bezeichnen. Wie meisterlich ist gleich die zweite Skizze des erste"
Bandes: "Verrechnet." Es ist die berühmte Maifahrt im Prater. In einem
glänzenden Wagen mit zwei steifen Lakaien sitzt ein schönes Weib, in auffallend
reicher Toilette, "eben einem Steinalten, in sich zusammengesunkenen Manne.
Sind dies Vater und Tochter? Nein, es sind Ehegatten. Wie kamen die aber
zusammen? Vor zwanzig Jahren war sie die Tochter eines armen Büreau-
dieners, der im Hause des jetzt neben ihr sitzenden Millionärs angestellt
war. "Der damals 63 jährige Mann, der jede Lust ausgekostet hatte, fühlte


Lehre oder sonst dergleichen die Aufmerksamkeit der literarischen Kreise aus sich
lenken zu wollen. Er selbst ist für sein Teil ein alter Idealist geblieben, und
im Lichte dieses sittlich gesunden Wesens stellt er seine Bilder hin. Ja es ist
sogar etwas Herdes in ihm, das vor keinem noch so strengen Urteil zurücksehend.
Aber er schildert nicht roh die Rohheit, nicht gemein die Gemeinheit, er trifft
den rechten Ton für alle Handlungen. Das Wort: Ane im se swäio setzt er
als Motto über seine Studien; er ist in der That kein Prediger geworden, aber
das Mitgefühl des Dichters konnte er zum Glück nicht verbergen, man spürt
die schwer verhehlte Teilnahme und Bewegung immer dnrch. Nicht um zu ver¬
urteilen, auch eigentlich nicht um lächerlich zu machen, so sehr er den sarkastischen
Ton liebt, setzt er die Feder an, sondern nur um den wahren Sachverhalt an¬
zugeben. Auch seine Form ist so schlicht wie nur möglich. Seine Darstellungs¬
weise geht nicht auf Spannung ans, seine Fabeln sind höchst einfach, seine Art
zu erzählen ist nicht dramatisch, sie bewegt sich in fortlaufender Charakteristik,
hascht nicht nach Witzen oder geistreichelnden Wendungen, sondern wählt den
möglichst einfachen Ausdruck. Und doch weiß er zu fesseln, so anregend fest¬
zuhalten, daß man immer wieder diese Studien lesen kann, ohne das Interesse
erlahmt zu fühlen. Dies bewirkt ihre höchst merkwürdige Sachlichkeit. Immer
zwar führt der Erzähler das Wort, und selten tritt eine Figur selbstsprechend
dazwischen, und gleichwohl denkt man nicht an den Autor, sondern immer nur
an die Dinge. Das macht die überaus reiche Fülle von Beobachtungen, die
Sättigung mit der Wirklichkeit in diesen Studien. Ob wir in die Theaterwelt
oder in die hohe Gesellschaft, in die kleine Beamtenfamilie oder in das Leben
des epikureischen Junggesellen, in das Treiben des Börsianers oder des lite¬
rarischen Strebers eingeführt werden: überall ist der Autor zu Hause. Er
kennt die Modesprache, die technischen Ausdrücke jedes Berufes, die Liebhabereien
aller Stände, und überrascht überall durch die treue Wahrheit seines Gemäldes.
Er findet Charaktere, Type», Verhältnisse, die wir alle kennen, zu denen wir
am Ende selbst gehören, und man wundert sich schließlich nur darüber, daß
nicht schon früher ein Schriftsteller diese auf offner Straße liegenden Nvvellen-
schcitze aufgehoben und verwertet hat.

Vornehmlich ist es der Boden der Großstadt, speziell Wiens, von dem sich
Schwarzkopf seine Gestatte» holt; man kann seine Studien geradezu als Wiener
Sittenbilder bezeichnen. Wie meisterlich ist gleich die zweite Skizze des erste»
Bandes: „Verrechnet." Es ist die berühmte Maifahrt im Prater. In einem
glänzenden Wagen mit zwei steifen Lakaien sitzt ein schönes Weib, in auffallend
reicher Toilette, »eben einem Steinalten, in sich zusammengesunkenen Manne.
Sind dies Vater und Tochter? Nein, es sind Ehegatten. Wie kamen die aber
zusammen? Vor zwanzig Jahren war sie die Tochter eines armen Büreau-
dieners, der im Hause des jetzt neben ihr sitzenden Millionärs angestellt
war. „Der damals 63 jährige Mann, der jede Lust ausgekostet hatte, fühlte


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[0552] Lehre oder sonst dergleichen die Aufmerksamkeit der literarischen Kreise aus sich lenken zu wollen. Er selbst ist für sein Teil ein alter Idealist geblieben, und im Lichte dieses sittlich gesunden Wesens stellt er seine Bilder hin. Ja es ist sogar etwas Herdes in ihm, das vor keinem noch so strengen Urteil zurücksehend. Aber er schildert nicht roh die Rohheit, nicht gemein die Gemeinheit, er trifft den rechten Ton für alle Handlungen. Das Wort: Ane im se swäio setzt er als Motto über seine Studien; er ist in der That kein Prediger geworden, aber das Mitgefühl des Dichters konnte er zum Glück nicht verbergen, man spürt die schwer verhehlte Teilnahme und Bewegung immer dnrch. Nicht um zu ver¬ urteilen, auch eigentlich nicht um lächerlich zu machen, so sehr er den sarkastischen Ton liebt, setzt er die Feder an, sondern nur um den wahren Sachverhalt an¬ zugeben. Auch seine Form ist so schlicht wie nur möglich. Seine Darstellungs¬ weise geht nicht auf Spannung ans, seine Fabeln sind höchst einfach, seine Art zu erzählen ist nicht dramatisch, sie bewegt sich in fortlaufender Charakteristik, hascht nicht nach Witzen oder geistreichelnden Wendungen, sondern wählt den möglichst einfachen Ausdruck. Und doch weiß er zu fesseln, so anregend fest¬ zuhalten, daß man immer wieder diese Studien lesen kann, ohne das Interesse erlahmt zu fühlen. Dies bewirkt ihre höchst merkwürdige Sachlichkeit. Immer zwar führt der Erzähler das Wort, und selten tritt eine Figur selbstsprechend dazwischen, und gleichwohl denkt man nicht an den Autor, sondern immer nur an die Dinge. Das macht die überaus reiche Fülle von Beobachtungen, die Sättigung mit der Wirklichkeit in diesen Studien. Ob wir in die Theaterwelt oder in die hohe Gesellschaft, in die kleine Beamtenfamilie oder in das Leben des epikureischen Junggesellen, in das Treiben des Börsianers oder des lite¬ rarischen Strebers eingeführt werden: überall ist der Autor zu Hause. Er kennt die Modesprache, die technischen Ausdrücke jedes Berufes, die Liebhabereien aller Stände, und überrascht überall durch die treue Wahrheit seines Gemäldes. Er findet Charaktere, Type», Verhältnisse, die wir alle kennen, zu denen wir am Ende selbst gehören, und man wundert sich schließlich nur darüber, daß nicht schon früher ein Schriftsteller diese auf offner Straße liegenden Nvvellen- schcitze aufgehoben und verwertet hat. Vornehmlich ist es der Boden der Großstadt, speziell Wiens, von dem sich Schwarzkopf seine Gestatte» holt; man kann seine Studien geradezu als Wiener Sittenbilder bezeichnen. Wie meisterlich ist gleich die zweite Skizze des erste» Bandes: „Verrechnet." Es ist die berühmte Maifahrt im Prater. In einem glänzenden Wagen mit zwei steifen Lakaien sitzt ein schönes Weib, in auffallend reicher Toilette, »eben einem Steinalten, in sich zusammengesunkenen Manne. Sind dies Vater und Tochter? Nein, es sind Ehegatten. Wie kamen die aber zusammen? Vor zwanzig Jahren war sie die Tochter eines armen Büreau- dieners, der im Hause des jetzt neben ihr sitzenden Millionärs angestellt war. „Der damals 63 jährige Mann, der jede Lust ausgekostet hatte, fühlte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/552>, abgerufen am 05.02.2025.