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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Lin deutscher Lügenroman und sein Verfasser.

einst eine" leibhaftigen Freiherrn von Münchhausen zu Bvdenwerder gegeben
hat, und daß der Hauptstamm der unter seinein Namen bekannten Geschichten
von diesem Manne selbst in heiterm Kreise mit großem Erzählertalente zum
Besten gegeben wurde. Das Individuum Münchhausen ist zu einem Begriff
verflüchtigt worden, und zwar zu einem Gattungsbegriff für alle Flunkerei und
allen auf Aufschneidereien beruhenden Schwindel. Immermann konnte deshalb
keinen glücklichern Griff thun, als indem er dem durch und durch verlognen
Helden seines Romanes den Namen des alten Lügenfreiherrn gab.

Man wird nicht leugnen können, daß der Münchhausen den allgemeinen
Beifall, den er gefunden, auch wirklich verdient. Von so unverwüstlicher Dauer
sind eben nur echt humoristische Sachen; einmal mit Geschick vorgetragen, sind
sie nicht wieder tot zu machen; jede neue Generation empfängt sie von der
vorhergehenden mit demselben Behagen, mit dem diese sie aufgenommen hat.

Gleichwohl ivird der Münchhausen an Genialität weit übertroffen von
einer andern deutschen Lügendichtung, die nicht so bekannt ist, wie sie es in
der That verdiente. Wir meinen den "Schelmuffsky" oder, wie der Titel
vollständiger lautet: Schelmuffskys warhafftige curiose und gefährliche
Reisebeschreibung zu Wasser und Lande. Gedruckt zu Schelmrode, im
Jahre 1696.

Welcher Gattung von Romanen der "Schelmuffsky" angehört, läßt schon
der Titel des Buches erkennen. Es ist die der Neiseromane, welche im siebzehnten
Jahrhundert bei dem nntcrhaltnngöbedürftigen Publikum in höchster Gunst stand.
Die Vorteile desselben sowohl für die Verfasser wie für die Leser sind leicht
ersichtlich. Der Reiscroman bot das bequemste Mittel, den durch die Entdeckungen
des sechzehnten Jahrhunderts erwachten Sinn der Leute für geographische
Neuigkeiten zu befriedigen und sie mit fremden Sitten und Gewohnheiten bekannt
zu machen. Er kam also in erster Linie dem Interesse am Stoff entgegen,
welches bei der überwiegenden Mehrzahl der Leser immer das hauptsächlichste
bleiben wird. Gleichzeitig aber bot er Gelegenheit genug, sich satirisch über
die Zustände der Heimat zu verbreiten und nebenher allerhand Novellen ein¬
fließen zu lassen. Im Neiseroman konnte man also zugleich belehren und
unterhalten und brauchte nicht zu befürchten, um einer satirischen Schilderung
heimischer Mißstände willen gleich als Pasquillant verdächtigt zu werden, was
bei einer offeneren Sprache mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten war.

Auf Belehrung freilich kam es dem Verfasser des "Schelmuffskh" nicht im
mindesten an; wenn auch er zu der in seiner Zeit am meisten beliebten Form
der Erzählung griff, so geschah dies sicher zunächst in der Absicht, den Beifall
umso gewisser aus seiue Seite zu bringen, und dann ans dem Bedürfnis, einen
Nahmen zu haben, innerhalb dessen die einzelnen Späße und Abenteuer in einem
festen Zusammenhange erscheinen konnten. Dieses Unternehmen ist vollauf
geglückt und mit cntschiedner Genialität durchgeführt, einer Genialität, die der


Lin deutscher Lügenroman und sein Verfasser.

einst eine» leibhaftigen Freiherrn von Münchhausen zu Bvdenwerder gegeben
hat, und daß der Hauptstamm der unter seinein Namen bekannten Geschichten
von diesem Manne selbst in heiterm Kreise mit großem Erzählertalente zum
Besten gegeben wurde. Das Individuum Münchhausen ist zu einem Begriff
verflüchtigt worden, und zwar zu einem Gattungsbegriff für alle Flunkerei und
allen auf Aufschneidereien beruhenden Schwindel. Immermann konnte deshalb
keinen glücklichern Griff thun, als indem er dem durch und durch verlognen
Helden seines Romanes den Namen des alten Lügenfreiherrn gab.

Man wird nicht leugnen können, daß der Münchhausen den allgemeinen
Beifall, den er gefunden, auch wirklich verdient. Von so unverwüstlicher Dauer
sind eben nur echt humoristische Sachen; einmal mit Geschick vorgetragen, sind
sie nicht wieder tot zu machen; jede neue Generation empfängt sie von der
vorhergehenden mit demselben Behagen, mit dem diese sie aufgenommen hat.

Gleichwohl ivird der Münchhausen an Genialität weit übertroffen von
einer andern deutschen Lügendichtung, die nicht so bekannt ist, wie sie es in
der That verdiente. Wir meinen den „Schelmuffsky" oder, wie der Titel
vollständiger lautet: Schelmuffskys warhafftige curiose und gefährliche
Reisebeschreibung zu Wasser und Lande. Gedruckt zu Schelmrode, im
Jahre 1696.

Welcher Gattung von Romanen der „Schelmuffsky" angehört, läßt schon
der Titel des Buches erkennen. Es ist die der Neiseromane, welche im siebzehnten
Jahrhundert bei dem nntcrhaltnngöbedürftigen Publikum in höchster Gunst stand.
Die Vorteile desselben sowohl für die Verfasser wie für die Leser sind leicht
ersichtlich. Der Reiscroman bot das bequemste Mittel, den durch die Entdeckungen
des sechzehnten Jahrhunderts erwachten Sinn der Leute für geographische
Neuigkeiten zu befriedigen und sie mit fremden Sitten und Gewohnheiten bekannt
zu machen. Er kam also in erster Linie dem Interesse am Stoff entgegen,
welches bei der überwiegenden Mehrzahl der Leser immer das hauptsächlichste
bleiben wird. Gleichzeitig aber bot er Gelegenheit genug, sich satirisch über
die Zustände der Heimat zu verbreiten und nebenher allerhand Novellen ein¬
fließen zu lassen. Im Neiseroman konnte man also zugleich belehren und
unterhalten und brauchte nicht zu befürchten, um einer satirischen Schilderung
heimischer Mißstände willen gleich als Pasquillant verdächtigt zu werden, was
bei einer offeneren Sprache mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten war.

Auf Belehrung freilich kam es dem Verfasser des „Schelmuffskh" nicht im
mindesten an; wenn auch er zu der in seiner Zeit am meisten beliebten Form
der Erzählung griff, so geschah dies sicher zunächst in der Absicht, den Beifall
umso gewisser aus seiue Seite zu bringen, und dann ans dem Bedürfnis, einen
Nahmen zu haben, innerhalb dessen die einzelnen Späße und Abenteuer in einem
festen Zusammenhange erscheinen konnten. Dieses Unternehmen ist vollauf
geglückt und mit cntschiedner Genialität durchgeführt, einer Genialität, die der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/543>, abgerufen am 05.02.2025.