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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Bürger soll lahme Hände bekommen vom Couponnbschneiden. Nur eine kleine
verstockte Rotte muß noch bekehrt werden, höchstens vierzig Millionen Deutsche,
welche um dem Wahne hängen, der Reichskanzler habe sich einige Verdienste um
sie erworben, und sei ebenso gescheit wie Herr Dirichlet oder Herr Löwe. Aber
die aufzuklären ist eben unsre Sache, und nur zu diesem Zwecke ergreife ich
heute das Wort.

Vou der Ministerbank ist die Behauptung, das Monopol solle lediglich zu
Gunsten 3000 großer Brennereien eingeführt werden, mit Emphase für eine
Unwahrheit erklärt worden. Als ob wir das nicht selbst gewußt hätten! Wenn
nur Wahres gesprochen werden sollte, woher sollten die pikanten Enthüllungen,
die sensationellen Reden, die "Bewegung auf der Linken," die "Heiterkeit," die
"Hört, hört" kommen? Glauben Sie, unser ^ ich sage mit Bedacht: unser
Publikum auf den Galerien würde uns treu bleiben, wenn wir die Vorlagen
sachlich, geschäftsmäßig, ohne Übertreibung, ohne Pathos, ohne Invektiven ab¬
machten?

Aber es liegt ja klar am Tage, wo das alles hinaus will. Zuerst rückte
man den edelsten Kräften der Nation oder doch einer Nation, welche sich dem
Hausirhandel widmet, zu Leibe. Dann wurden die Zigarrenhändler bedroht.
Der Zigarrenrciscnde! Giebt es eine herzerfrischendere, herzerquickendere Er¬
scheinung? Wem schlägt nicht das Herz vor Freude, wenn der hereintritt, zur
einen Thür hinaus kvmplimentirt, durch die andre wiederkommt, und endlich
mit seiner unwiderstehlichen Beredsamkeit doch eine Bestellung erringt? Jede
Zigarre, der durch alles Drücken und Beschneiden keine Luft beizubringen ist,
jede kostende, jeder brenzliche Dust ruft uns seine Stimme, zaubert uns sein
Bildnis vor. Doch was liegt einem Bismarck an dem bißchen Poesie, das
unsereinem uoch das Leben verschönt! Ans Wahrheit möchten sie uns verpflichten.
Das ist wieder so ein Projekt im Interesse der sogenannten ernsthaften und an¬
ständigen Blätter, die von Menschen ohne Phantasie, ohne Spekulationsgeist,
ohne Liberalismus, ohne Humanität geschrieben werden, und im Interesse der
Abgeordneten, welche in dem sogenannten nationalen Geiste befangen sind.
Dieses neue Attentat ans die Freiheit, diesen neuen Anlauf zu einem Monopol
denunzire ich hiermit feierlich, da es noch Zeit ist, das Verbrechen im Keime
zu ersticken. Und ich schmeichle mir, daß die "Freisinnige Zeitung" meine
Wachsamkeit loben ivird.




Bürger soll lahme Hände bekommen vom Couponnbschneiden. Nur eine kleine
verstockte Rotte muß noch bekehrt werden, höchstens vierzig Millionen Deutsche,
welche um dem Wahne hängen, der Reichskanzler habe sich einige Verdienste um
sie erworben, und sei ebenso gescheit wie Herr Dirichlet oder Herr Löwe. Aber
die aufzuklären ist eben unsre Sache, und nur zu diesem Zwecke ergreife ich
heute das Wort.

Vou der Ministerbank ist die Behauptung, das Monopol solle lediglich zu
Gunsten 3000 großer Brennereien eingeführt werden, mit Emphase für eine
Unwahrheit erklärt worden. Als ob wir das nicht selbst gewußt hätten! Wenn
nur Wahres gesprochen werden sollte, woher sollten die pikanten Enthüllungen,
die sensationellen Reden, die „Bewegung auf der Linken," die „Heiterkeit," die
„Hört, hört" kommen? Glauben Sie, unser ^ ich sage mit Bedacht: unser
Publikum auf den Galerien würde uns treu bleiben, wenn wir die Vorlagen
sachlich, geschäftsmäßig, ohne Übertreibung, ohne Pathos, ohne Invektiven ab¬
machten?

Aber es liegt ja klar am Tage, wo das alles hinaus will. Zuerst rückte
man den edelsten Kräften der Nation oder doch einer Nation, welche sich dem
Hausirhandel widmet, zu Leibe. Dann wurden die Zigarrenhändler bedroht.
Der Zigarrenrciscnde! Giebt es eine herzerfrischendere, herzerquickendere Er¬
scheinung? Wem schlägt nicht das Herz vor Freude, wenn der hereintritt, zur
einen Thür hinaus kvmplimentirt, durch die andre wiederkommt, und endlich
mit seiner unwiderstehlichen Beredsamkeit doch eine Bestellung erringt? Jede
Zigarre, der durch alles Drücken und Beschneiden keine Luft beizubringen ist,
jede kostende, jeder brenzliche Dust ruft uns seine Stimme, zaubert uns sein
Bildnis vor. Doch was liegt einem Bismarck an dem bißchen Poesie, das
unsereinem uoch das Leben verschönt! Ans Wahrheit möchten sie uns verpflichten.
Das ist wieder so ein Projekt im Interesse der sogenannten ernsthaften und an¬
ständigen Blätter, die von Menschen ohne Phantasie, ohne Spekulationsgeist,
ohne Liberalismus, ohne Humanität geschrieben werden, und im Interesse der
Abgeordneten, welche in dem sogenannten nationalen Geiste befangen sind.
Dieses neue Attentat ans die Freiheit, diesen neuen Anlauf zu einem Monopol
denunzire ich hiermit feierlich, da es noch Zeit ist, das Verbrechen im Keime
zu ersticken. Und ich schmeichle mir, daß die „Freisinnige Zeitung" meine
Wachsamkeit loben ivird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/526>, abgerufen am 05.02.2025.