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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Gulden engagirt, und Kenner des Terrains versichern, die Tugend dieser Damm
leide nicht unter dem niedern Gehalt, sie entsagten eben dem unsinnigen Toiletten-
Prunk. Unter den Schauspielern ist unstreitig der bedeutendste Lvweufeld, der
zur Zeit der Mitterwurzerschen Direktion am Wiener Karltheater engagirt war
und sich damals mit seinem Chef nicht gut vertrug. Dies ist leicht begreiflich,
denn er hat einen Funken von dessen Genie. Dabei leidet er nicht an den
Absonderlichkeiten, die jenen in der Schauspielerwelt so berüchtigt gemacht haben,
er sucht auch in seine Rollen nichts hinein zu geheimnissen, er weiß, was er will,
und führt einen Charakter konsequent bis zu Ende. Fräulein Bognar, die einst
als tragische Liebhaberin des Burgthcaters Triumphe feierte, ist noch eine statt¬
liche Elisabeth und beherrscht im Konversationsstück den Ton der großen Welt,
aber ihre Glanzzeit ist doch vorbei. Pcttera, ein tüchtiger Regisseur nud sehr
brauchbarer Schauspieler, der vor etwa fünfzehn Jahren am Burgtheater sogar
den Faust spielen durfte, sich dann im Wiener Stadttheater in einen beschei¬
deneren Nollenkreis zu finden wußte, glänzt hier namentlich durch seine Tochter,
die wirklich sehr schön ist; ihr Talent freilich reicht für größere Aufgaben nicht
aus. Ein treffliches Komikerpaar sind Schlcfinger und Thaller, ersterer bis¬
weilen an den unvergeßliche" Madras erinnernd, dieser mit dem glücklichen
Naturell Girardis begabt. Das Repertoire ist sehr reichhaltig und macht dem
modernen Ungeschmack nur die notwendigsten Konzessionen. Daß man zuweilen
auch Stücke zu sehen bekommt wie Theodor Löwes "Kvnigstraum," der trotz
seines tiefen, wahrhaft poetischen Gehaltes doch von vornherein einen Kassen¬
erfolg als unwahrscheinlich erscheinen lassen mußte, ist sehr erfreulich. Und so
macht Prag seinem Rufe als alte deutsche Thcaterstadt auch heute nicht Un-
ehre. Hoffen wir nur, daß die deutsche Bühne bald ein Heim erhalte, das sich
neben dem ihrer tschechischen Schwester sehen lassen kann; sie ist noch immer
in dem 1781 durch Anregung des kunstsinnigen Grafen Nostiz von einer Anzahl
böhmischer Adelsgeschlechter erbauten, längst unzureichenden Gebäude auf der
Altstadt untergebracht.

Ans dem literarischen und wissenschaftlichen Gebiete herrscht in Prag Leben
genug -- dafür sorgt schon die Universität, die in zahlreichen Fächern ausge¬
zeichnete Kräfte besitzt. Hier wollen wir nur des "Vereines für die Geschichte
der Deutschen in Böhmen" gedenken, der, vor vierundzwanzig Jahren gegründet,
nun bereits über 1600 Mitglieder aus allen gebildeten Kreisen der böhmischen
Bevölkerung zählt. Von den Publikationen des Vereins darf man nebst den
periodisch erscheinenden "Mitteilungen" die "Bibliothek der mittelhochdeutschen
Literaten in Böhmen" und die "Deutschen Chroniken aus Böhmen" als besonders
schätzbar bezeichnen. Das von dem Grafen Sternberg, dem Freunde Goethes,
gegründete "Museum" dagegen ist völlig in den Besitz der Tschechen übergegangen.

Deutsche Dichter wie Alfred Meißner und Moritz Hartmann beherbergt
das alte Prag nicht mehr. Und gerade die schönen Gedichte, in denen die


Gulden engagirt, und Kenner des Terrains versichern, die Tugend dieser Damm
leide nicht unter dem niedern Gehalt, sie entsagten eben dem unsinnigen Toiletten-
Prunk. Unter den Schauspielern ist unstreitig der bedeutendste Lvweufeld, der
zur Zeit der Mitterwurzerschen Direktion am Wiener Karltheater engagirt war
und sich damals mit seinem Chef nicht gut vertrug. Dies ist leicht begreiflich,
denn er hat einen Funken von dessen Genie. Dabei leidet er nicht an den
Absonderlichkeiten, die jenen in der Schauspielerwelt so berüchtigt gemacht haben,
er sucht auch in seine Rollen nichts hinein zu geheimnissen, er weiß, was er will,
und führt einen Charakter konsequent bis zu Ende. Fräulein Bognar, die einst
als tragische Liebhaberin des Burgthcaters Triumphe feierte, ist noch eine statt¬
liche Elisabeth und beherrscht im Konversationsstück den Ton der großen Welt,
aber ihre Glanzzeit ist doch vorbei. Pcttera, ein tüchtiger Regisseur nud sehr
brauchbarer Schauspieler, der vor etwa fünfzehn Jahren am Burgtheater sogar
den Faust spielen durfte, sich dann im Wiener Stadttheater in einen beschei¬
deneren Nollenkreis zu finden wußte, glänzt hier namentlich durch seine Tochter,
die wirklich sehr schön ist; ihr Talent freilich reicht für größere Aufgaben nicht
aus. Ein treffliches Komikerpaar sind Schlcfinger und Thaller, ersterer bis¬
weilen an den unvergeßliche» Madras erinnernd, dieser mit dem glücklichen
Naturell Girardis begabt. Das Repertoire ist sehr reichhaltig und macht dem
modernen Ungeschmack nur die notwendigsten Konzessionen. Daß man zuweilen
auch Stücke zu sehen bekommt wie Theodor Löwes „Kvnigstraum," der trotz
seines tiefen, wahrhaft poetischen Gehaltes doch von vornherein einen Kassen¬
erfolg als unwahrscheinlich erscheinen lassen mußte, ist sehr erfreulich. Und so
macht Prag seinem Rufe als alte deutsche Thcaterstadt auch heute nicht Un-
ehre. Hoffen wir nur, daß die deutsche Bühne bald ein Heim erhalte, das sich
neben dem ihrer tschechischen Schwester sehen lassen kann; sie ist noch immer
in dem 1781 durch Anregung des kunstsinnigen Grafen Nostiz von einer Anzahl
böhmischer Adelsgeschlechter erbauten, längst unzureichenden Gebäude auf der
Altstadt untergebracht.

Ans dem literarischen und wissenschaftlichen Gebiete herrscht in Prag Leben
genug — dafür sorgt schon die Universität, die in zahlreichen Fächern ausge¬
zeichnete Kräfte besitzt. Hier wollen wir nur des „Vereines für die Geschichte
der Deutschen in Böhmen" gedenken, der, vor vierundzwanzig Jahren gegründet,
nun bereits über 1600 Mitglieder aus allen gebildeten Kreisen der böhmischen
Bevölkerung zählt. Von den Publikationen des Vereins darf man nebst den
periodisch erscheinenden „Mitteilungen" die „Bibliothek der mittelhochdeutschen
Literaten in Böhmen" und die „Deutschen Chroniken aus Böhmen" als besonders
schätzbar bezeichnen. Das von dem Grafen Sternberg, dem Freunde Goethes,
gegründete „Museum" dagegen ist völlig in den Besitz der Tschechen übergegangen.

Deutsche Dichter wie Alfred Meißner und Moritz Hartmann beherbergt
das alte Prag nicht mehr. Und gerade die schönen Gedichte, in denen die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/518>, abgerufen am 05.02.2025.