Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Aus dem goldnen Prag. kunst; ob man aus dem Lande Böhmen sei, wird da vor allem gefragt. Ganz Als erfreulich können wir diesen Zustand nicht bezeichnen. Denn wohin Aus dem goldnen Prag. kunst; ob man aus dem Lande Böhmen sei, wird da vor allem gefragt. Ganz Als erfreulich können wir diesen Zustand nicht bezeichnen. Denn wohin <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197940"/> <fw type="header" place="top"> Aus dem goldnen Prag.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1511" prev="#ID_1510"> kunst; ob man aus dem Lande Böhmen sei, wird da vor allem gefragt. Ganz<lb/> im Gegenteile heißt es in der bürgerlichen Welt, in den Salons der Gro߬<lb/> industriellen, der Juristen, Professoren und Ärzte — weniger allerdings in<lb/> denen der deutschen Beamtenschaft — nationale Farbe bekennen: eine kühle, ja<lb/> nur eine gemäßigte Ansicht zu äußern, ist hier gewagt, sie würde das erstemal<lb/> vielleicht scherzhaft aufgenommen werden, ein zweitesmnl verstimmen; zuletzt<lb/> den, der sie immer wieder ausspräche, unmöglich machen. Bei den Tschechen<lb/> ist das nun ganz ebenso, ja die Deutschen haben es erst von ihnen gelernt,<lb/> denn bis vor kurzem galten die Prager — bei den Nordböhmen wenigstens —<lb/> als ziemlich lan in nationalen Dingen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1512" next="#ID_1513"> Als erfreulich können wir diesen Zustand nicht bezeichnen. Denn wohin<lb/> soll es führe», wenn Bürger desselben Staates, ja derselbe» Stadt einander so<lb/> feindlich gegenüberstehen? Besser ist es unter den Kleinbürgern, die ihrer über¬<lb/> wiegenden Majorität nach Tschechen sind, aber zum Teil aus Erwcrbsrücksichteu,<lb/> zum Teil aus angeborner Gutmütigkeit mit beiden Nationalitäten auszukommen<lb/> suchen. Freilich haben auch hier die Zeitungsschreiber bereits viel verdorben,<lb/> namentlich unter der jüngern Generation! die ältern nehmen an dem neuen<lb/> Wesen gleichsam nur aus der Ferne Anteil, halten an gemäßigten Ansichten fest<lb/> und loben kopfschüttelnd bisweilen die gute alte Zeit. Der eigentliche Chauvi¬<lb/> nismus ist vorzüglich unter dein Anhang des jnngtschcchischen Evangeliums zu<lb/> Hause, der sich meist aus Studenten, jüngern Ärzten, Technikern und dergleichen<lb/> rekrutirt. Ein tschechischer Handwerker erklärte uns einmal den Unterschied<lb/> zwischen den beiden großen Parteien seiner Nation dahin, daß der Alttscheche<lb/> einen Cylinderhut tragen und Deutsch sprechen dürfe; beides sei den Jungtschechen<lb/> untersagt. Diese Charakteristik ist freilich nicht ganz erschöpfend, bei den letzter»<lb/> gesellen sich zu der extremen nationalen Richtung allerlei unverdaute radikale<lb/> Lehren. Daß fast die ganze studirende Jugend zu diesem Lager schwört, ist<lb/> eines der bedenklichsten Zeichen der Zeit, aber ähnliche Erscheinungen zeigen sich<lb/> ja auch unter den andern Nationen. Wenn Holtzendorff einmal ausruft: Welch<lb/> andres Ideal könnte heute den Jüngling erfüllen, wenn nicht der Staat? —<lb/> wir in Österreich finden leider nur zu oft, daß er diesen als etwas Gleichgültiges<lb/> hinnimmt und ihm keine Begeisterung entgegenbringt. Aber daß wir nur nicht<lb/> zu düster malen! In Gegenden, die von nationalem Hader unberührt geblieben<lb/> sind, wachse« noch Geschlechter heran, denen der Name Österreich ebenso heilig<lb/> ist wie unsern Vätern, die das nationale Banner nicht höher hängen wollen<lb/> als die schwarzgelbe Fahne des Reiches. Und vieles darf von dem Fortschritte<lb/> wissenschaftlicher Bildung erwartet werden, der nun auch bei den nichtdeutschen<lb/> Nationalitäten größere Kreise ergreift und in diesen wenigstens dem Chauvi¬<lb/> nismus Boon entzieht. So ist — um ein naheliegendes Beispiel anzuführen —<lb/> durch die emsige Pflege der geschichtlichen Studien unter den Tschechen bereits<lb/> mit so manchem nationalen Märchen aufgeräumt worden, und erst vor kurzem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
Aus dem goldnen Prag.
kunst; ob man aus dem Lande Böhmen sei, wird da vor allem gefragt. Ganz
im Gegenteile heißt es in der bürgerlichen Welt, in den Salons der Gro߬
industriellen, der Juristen, Professoren und Ärzte — weniger allerdings in
denen der deutschen Beamtenschaft — nationale Farbe bekennen: eine kühle, ja
nur eine gemäßigte Ansicht zu äußern, ist hier gewagt, sie würde das erstemal
vielleicht scherzhaft aufgenommen werden, ein zweitesmnl verstimmen; zuletzt
den, der sie immer wieder ausspräche, unmöglich machen. Bei den Tschechen
ist das nun ganz ebenso, ja die Deutschen haben es erst von ihnen gelernt,
denn bis vor kurzem galten die Prager — bei den Nordböhmen wenigstens —
als ziemlich lan in nationalen Dingen.
Als erfreulich können wir diesen Zustand nicht bezeichnen. Denn wohin
soll es führe», wenn Bürger desselben Staates, ja derselbe» Stadt einander so
feindlich gegenüberstehen? Besser ist es unter den Kleinbürgern, die ihrer über¬
wiegenden Majorität nach Tschechen sind, aber zum Teil aus Erwcrbsrücksichteu,
zum Teil aus angeborner Gutmütigkeit mit beiden Nationalitäten auszukommen
suchen. Freilich haben auch hier die Zeitungsschreiber bereits viel verdorben,
namentlich unter der jüngern Generation! die ältern nehmen an dem neuen
Wesen gleichsam nur aus der Ferne Anteil, halten an gemäßigten Ansichten fest
und loben kopfschüttelnd bisweilen die gute alte Zeit. Der eigentliche Chauvi¬
nismus ist vorzüglich unter dein Anhang des jnngtschcchischen Evangeliums zu
Hause, der sich meist aus Studenten, jüngern Ärzten, Technikern und dergleichen
rekrutirt. Ein tschechischer Handwerker erklärte uns einmal den Unterschied
zwischen den beiden großen Parteien seiner Nation dahin, daß der Alttscheche
einen Cylinderhut tragen und Deutsch sprechen dürfe; beides sei den Jungtschechen
untersagt. Diese Charakteristik ist freilich nicht ganz erschöpfend, bei den letzter»
gesellen sich zu der extremen nationalen Richtung allerlei unverdaute radikale
Lehren. Daß fast die ganze studirende Jugend zu diesem Lager schwört, ist
eines der bedenklichsten Zeichen der Zeit, aber ähnliche Erscheinungen zeigen sich
ja auch unter den andern Nationen. Wenn Holtzendorff einmal ausruft: Welch
andres Ideal könnte heute den Jüngling erfüllen, wenn nicht der Staat? —
wir in Österreich finden leider nur zu oft, daß er diesen als etwas Gleichgültiges
hinnimmt und ihm keine Begeisterung entgegenbringt. Aber daß wir nur nicht
zu düster malen! In Gegenden, die von nationalem Hader unberührt geblieben
sind, wachse« noch Geschlechter heran, denen der Name Österreich ebenso heilig
ist wie unsern Vätern, die das nationale Banner nicht höher hängen wollen
als die schwarzgelbe Fahne des Reiches. Und vieles darf von dem Fortschritte
wissenschaftlicher Bildung erwartet werden, der nun auch bei den nichtdeutschen
Nationalitäten größere Kreise ergreift und in diesen wenigstens dem Chauvi¬
nismus Boon entzieht. So ist — um ein naheliegendes Beispiel anzuführen —
durch die emsige Pflege der geschichtlichen Studien unter den Tschechen bereits
mit so manchem nationalen Märchen aufgeräumt worden, und erst vor kurzem
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