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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Aus dem goldnen Prag.

tretungskörper bringen,, die von nationalen Gesichtspunkten weit entfernt wären.
Doch dies nur beiläufig und unter ausdrücklicher Verwahrung, als wollten wir
den breiten BevölkernngSschichten Wiens damit einen Vorwurf machen; es kann
ja nicht anders sein. Aber anders stehen die Dinge in Prag. Freilich der
Deutsche, der mit der Befürchtung hierher kommt, auf Schritt und Tritt Be¬
schimpfungen oder doch wenigstens Unannehmlichkeiten ausgesetzt zu sein, wird
angenehm enttäuscht werden. Und wenn er in Barnhagens Tagebüchern unter
dem Jahre 1857 liest, die Stadt habe damals ein vorwiegend tschechisches
Gepräge gehabt -- auf den Straßen habe man mehr Tschechisch als Deutsch
gehört ---, so wird er -- sofern er sich, wie Ncnankommcnde gewöhnlich pflegen,
nur auf dem Graben, in der Obst- lind Ferdinaudstraße aufhält -- gegen den
Zustand vor dreißig Jahren eher einen Fortschritt als einen Rückgang des
Deutschtums wahrzunehmen glauben. Denn in diesen Straßen hört man in
der That viel mehr Deutsch als Tschechisch; nicht nur daß es die Offiziere hier
ausschließlich sprechen, man mische sich einmal nnter die Spaziergänger, die da
zwischen zwei und sechs Uhr die Straßen füllen, und man wird erstaunen, wie
selten einem ein slawisches Wort an das Ohr klingt: erst wenn wir uns dein
Nativnalthcnter näher", werden wir stärker daran gemahnt, daß wir uns in
der Hauptstadt des österreichischen Slawentums befinden. Die Abschriften an
den Läden sind aber fast durchwegs zweisprachig, die Droschkenkutscher laden
den Vorübergehenden meist mit dem in Wien üblichen "Fiaker gefällig," nur
selten mit dem slawischen "Droschka" zur Nenutzung ihrer Wagen ein. Und
tritt man in eine der Restaurationen oder Cafehäuser ersten Ranges, so wird
man -- Petzold und Cafe Slawia ausgenommen -- von den Kellnern deutsch
angesprochen, hört auch ringsum fast nur Deutsch; bei Nürnberger, Dreher und
Geißler -- den beliebtesten Bierqnellen -- giebt es nicht einmal tschechische
Speisekarten. In den vornehmen Hotels kann man wohl häufig Französisch
und Englisch, Tschechisch aber nur ausnahmsweise hören. Bleibt man also
nur ein paar Tage, so findet man alles in bester Ordnung und nennt Prag
eine Stadt, in der sichs für den Deutschen ebenso gut leben lasse als in Wien
oder Graz oder Dresden.

Läßt man sich jedoch für längere Zeit nieder, schließt man sich an irgend¬
einen Abendzirkel an, wird man in Gesellschaft eingeführt, so fühlt mau bald,
daß man in einer andern Welt ist. Tschechen wird man da niemals begegnen,
diese haben ihre eignen Kreise, für die Deutschen existiren sie gesellschaftlich
nicht, und umgekehrt. Es ist keine Berührung als höchstens die geschäftliche,
und auch die wird von beiden Teilen möglichst vermieden. Kein Kommerzium,
kein Konnubium. Niemals vereinigt ein gemeinschaftliches Vergnügen die beiden
Lager, kaum die Andacht in den Kirchen. Allerdings gilt dies nur von den
bürgerlichen Kreisen, die Aristokratie ist zwar hier sehr exklusiv, aber sie kümmert
sich uicht um Nationalität und politische Meinung, nur um Geburt und Her-


Aus dem goldnen Prag.

tretungskörper bringen,, die von nationalen Gesichtspunkten weit entfernt wären.
Doch dies nur beiläufig und unter ausdrücklicher Verwahrung, als wollten wir
den breiten BevölkernngSschichten Wiens damit einen Vorwurf machen; es kann
ja nicht anders sein. Aber anders stehen die Dinge in Prag. Freilich der
Deutsche, der mit der Befürchtung hierher kommt, auf Schritt und Tritt Be¬
schimpfungen oder doch wenigstens Unannehmlichkeiten ausgesetzt zu sein, wird
angenehm enttäuscht werden. Und wenn er in Barnhagens Tagebüchern unter
dem Jahre 1857 liest, die Stadt habe damals ein vorwiegend tschechisches
Gepräge gehabt — auf den Straßen habe man mehr Tschechisch als Deutsch
gehört -—, so wird er — sofern er sich, wie Ncnankommcnde gewöhnlich pflegen,
nur auf dem Graben, in der Obst- lind Ferdinaudstraße aufhält — gegen den
Zustand vor dreißig Jahren eher einen Fortschritt als einen Rückgang des
Deutschtums wahrzunehmen glauben. Denn in diesen Straßen hört man in
der That viel mehr Deutsch als Tschechisch; nicht nur daß es die Offiziere hier
ausschließlich sprechen, man mische sich einmal nnter die Spaziergänger, die da
zwischen zwei und sechs Uhr die Straßen füllen, und man wird erstaunen, wie
selten einem ein slawisches Wort an das Ohr klingt: erst wenn wir uns dein
Nativnalthcnter näher», werden wir stärker daran gemahnt, daß wir uns in
der Hauptstadt des österreichischen Slawentums befinden. Die Abschriften an
den Läden sind aber fast durchwegs zweisprachig, die Droschkenkutscher laden
den Vorübergehenden meist mit dem in Wien üblichen „Fiaker gefällig," nur
selten mit dem slawischen „Droschka" zur Nenutzung ihrer Wagen ein. Und
tritt man in eine der Restaurationen oder Cafehäuser ersten Ranges, so wird
man — Petzold und Cafe Slawia ausgenommen — von den Kellnern deutsch
angesprochen, hört auch ringsum fast nur Deutsch; bei Nürnberger, Dreher und
Geißler — den beliebtesten Bierqnellen — giebt es nicht einmal tschechische
Speisekarten. In den vornehmen Hotels kann man wohl häufig Französisch
und Englisch, Tschechisch aber nur ausnahmsweise hören. Bleibt man also
nur ein paar Tage, so findet man alles in bester Ordnung und nennt Prag
eine Stadt, in der sichs für den Deutschen ebenso gut leben lasse als in Wien
oder Graz oder Dresden.

Läßt man sich jedoch für längere Zeit nieder, schließt man sich an irgend¬
einen Abendzirkel an, wird man in Gesellschaft eingeführt, so fühlt mau bald,
daß man in einer andern Welt ist. Tschechen wird man da niemals begegnen,
diese haben ihre eignen Kreise, für die Deutschen existiren sie gesellschaftlich
nicht, und umgekehrt. Es ist keine Berührung als höchstens die geschäftliche,
und auch die wird von beiden Teilen möglichst vermieden. Kein Kommerzium,
kein Konnubium. Niemals vereinigt ein gemeinschaftliches Vergnügen die beiden
Lager, kaum die Andacht in den Kirchen. Allerdings gilt dies nur von den
bürgerlichen Kreisen, die Aristokratie ist zwar hier sehr exklusiv, aber sie kümmert
sich uicht um Nationalität und politische Meinung, nur um Geburt und Her-


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[0515] Aus dem goldnen Prag. tretungskörper bringen,, die von nationalen Gesichtspunkten weit entfernt wären. Doch dies nur beiläufig und unter ausdrücklicher Verwahrung, als wollten wir den breiten BevölkernngSschichten Wiens damit einen Vorwurf machen; es kann ja nicht anders sein. Aber anders stehen die Dinge in Prag. Freilich der Deutsche, der mit der Befürchtung hierher kommt, auf Schritt und Tritt Be¬ schimpfungen oder doch wenigstens Unannehmlichkeiten ausgesetzt zu sein, wird angenehm enttäuscht werden. Und wenn er in Barnhagens Tagebüchern unter dem Jahre 1857 liest, die Stadt habe damals ein vorwiegend tschechisches Gepräge gehabt — auf den Straßen habe man mehr Tschechisch als Deutsch gehört -—, so wird er — sofern er sich, wie Ncnankommcnde gewöhnlich pflegen, nur auf dem Graben, in der Obst- lind Ferdinaudstraße aufhält — gegen den Zustand vor dreißig Jahren eher einen Fortschritt als einen Rückgang des Deutschtums wahrzunehmen glauben. Denn in diesen Straßen hört man in der That viel mehr Deutsch als Tschechisch; nicht nur daß es die Offiziere hier ausschließlich sprechen, man mische sich einmal nnter die Spaziergänger, die da zwischen zwei und sechs Uhr die Straßen füllen, und man wird erstaunen, wie selten einem ein slawisches Wort an das Ohr klingt: erst wenn wir uns dein Nativnalthcnter näher», werden wir stärker daran gemahnt, daß wir uns in der Hauptstadt des österreichischen Slawentums befinden. Die Abschriften an den Läden sind aber fast durchwegs zweisprachig, die Droschkenkutscher laden den Vorübergehenden meist mit dem in Wien üblichen „Fiaker gefällig," nur selten mit dem slawischen „Droschka" zur Nenutzung ihrer Wagen ein. Und tritt man in eine der Restaurationen oder Cafehäuser ersten Ranges, so wird man — Petzold und Cafe Slawia ausgenommen — von den Kellnern deutsch angesprochen, hört auch ringsum fast nur Deutsch; bei Nürnberger, Dreher und Geißler — den beliebtesten Bierqnellen — giebt es nicht einmal tschechische Speisekarten. In den vornehmen Hotels kann man wohl häufig Französisch und Englisch, Tschechisch aber nur ausnahmsweise hören. Bleibt man also nur ein paar Tage, so findet man alles in bester Ordnung und nennt Prag eine Stadt, in der sichs für den Deutschen ebenso gut leben lasse als in Wien oder Graz oder Dresden. Läßt man sich jedoch für längere Zeit nieder, schließt man sich an irgend¬ einen Abendzirkel an, wird man in Gesellschaft eingeführt, so fühlt mau bald, daß man in einer andern Welt ist. Tschechen wird man da niemals begegnen, diese haben ihre eignen Kreise, für die Deutschen existiren sie gesellschaftlich nicht, und umgekehrt. Es ist keine Berührung als höchstens die geschäftliche, und auch die wird von beiden Teilen möglichst vermieden. Kein Kommerzium, kein Konnubium. Niemals vereinigt ein gemeinschaftliches Vergnügen die beiden Lager, kaum die Andacht in den Kirchen. Allerdings gilt dies nur von den bürgerlichen Kreisen, die Aristokratie ist zwar hier sehr exklusiv, aber sie kümmert sich uicht um Nationalität und politische Meinung, nur um Geburt und Her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/515>, abgerufen am 05.02.2025.