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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Beaumarchais.

Bcttelheim gehört, wenn wir nicht irren, jener Gruppe von Wiener Jour¬
nalisten ein, die es sich zur Aufgabe gestellt haben, die Korruption der Ge¬
genwart zu bekämpfen; ihr Organ ist die von Fricdjuug redigirte "Deutsche
Wochenschrift." Mußte es da nicht einen eignen Reiz für ihn haben, einmal
an einer Größe der Vergangenheit, die in die Korruption ihres Zeitalters
so tief verstrickt war, das Richteramt zu üben? Denn das große Talent
des Dichters entschuldigt ihn in seinen Augen nicht, kann ihm den Mangel
an starker Gesinnung nicht ersetze!,, er bekennt sich nicht zu jener Lehre
Schellings, die sür das Genie eine eigne Moral aufstellt. Aber er giebt
auch nicht zu, daß in der versinkendem Welt des aneiizn rvAinro dem Talent,
das in den niederen Regionen der Gesellschaft anfsproßte, keine andre Wahl
freigestanden habe als die Weltflucht Rousseaus oder daS Laster Figaros.
"So beengt und bedrängt mich das Dasein des Kleinbürgers in jenen Tagen
war, meint er, Beaumarchais hätte sich aus dem Glasverschlag der Uhrmacher¬
werkstatt dank seiner künstlerischen Begabung befreien, dank seinem Geist, Witz
und Talent zum verehrten und reichen Liebling der Nation emporarbeiten
können; ihn lockten aber andre Lebenswege: die Pfade des Glücksritters." Und
so stimmt Bettelheim selbst dem furchtbarsten Verdammungsurteil, das jemals
über Beaumarchais gesprochen worden ist, bei, jenem Worte Besenvals: Beau¬
marchais und Madame Dübarry würden vielleicht die beiden Persönlichkeiten
sein, die in den Augen der Nachwelt ihr Jahrhundert am besten kennzeichneten.

Sollen wir nun das alles aufzählen, was Beaumarchais in so üblem
Lichte erscheinen läßt? Wie kurz wir nus auch fassen möchten, es würde den
Raum, der uns hier vergönnt ist, weit überschreiten. Denn es handelt sich
immer um sehr verwickelte Angelegenheiten. Wir können aber nnr ganz flüchtig
ans einige Momente dieser merkwürdigen Lebensbahn verweisen, die Lomenie
entweder ganz Übergängen oder nur angedeutet hat, die aber nach der Dar¬
stellung Bcttelheims sich als höchst bedeutsam für die Charakteristik des Dichters
herausstellen.

Gleich die Geschichte seiner ersten Heirat zeigt, wie er vou Haus aus mit
recht zweifelhaften Rechtsbegriffen ausgestattet in die Welt eintrat. Er war
fünfundzwanzig Jahre alt, als er die kurz vorher verwitwete Madame Frananet,
deren Galan er schon bei Lebzeiten ihres Mannes gewesen war, heimführen
wollte. Herr Franquet hatte zwei Hofämter bekleidet, eines davon trat er kurz
vor seinein Tode an Beaumarchais ab, das andre, einträglichere -- es war
die Stelle eines Kontrvlenrs bei der Hofkriegskasse -- ebenfalls zu erlangen,
war dem jungen Streber unmöglich, es fiel den Erben des Verstorbenen
zu. Mit dieser Stelle waren aber heimliche Nebeneinkünfte verbunden, was
bei einer fo korrupten Heeresverwaltung, wie die französische von 1756 war,
leicht zu erklären ist. Herr Franquet hatte diese jedoch während der letzten
Jahre seiner Amtsthätigkeit nicht ausgezahlt erhalten, Beaumarchais trieb


Beaumarchais.

Bcttelheim gehört, wenn wir nicht irren, jener Gruppe von Wiener Jour¬
nalisten ein, die es sich zur Aufgabe gestellt haben, die Korruption der Ge¬
genwart zu bekämpfen; ihr Organ ist die von Fricdjuug redigirte „Deutsche
Wochenschrift." Mußte es da nicht einen eignen Reiz für ihn haben, einmal
an einer Größe der Vergangenheit, die in die Korruption ihres Zeitalters
so tief verstrickt war, das Richteramt zu üben? Denn das große Talent
des Dichters entschuldigt ihn in seinen Augen nicht, kann ihm den Mangel
an starker Gesinnung nicht ersetze!,, er bekennt sich nicht zu jener Lehre
Schellings, die sür das Genie eine eigne Moral aufstellt. Aber er giebt
auch nicht zu, daß in der versinkendem Welt des aneiizn rvAinro dem Talent,
das in den niederen Regionen der Gesellschaft anfsproßte, keine andre Wahl
freigestanden habe als die Weltflucht Rousseaus oder daS Laster Figaros.
„So beengt und bedrängt mich das Dasein des Kleinbürgers in jenen Tagen
war, meint er, Beaumarchais hätte sich aus dem Glasverschlag der Uhrmacher¬
werkstatt dank seiner künstlerischen Begabung befreien, dank seinem Geist, Witz
und Talent zum verehrten und reichen Liebling der Nation emporarbeiten
können; ihn lockten aber andre Lebenswege: die Pfade des Glücksritters." Und
so stimmt Bettelheim selbst dem furchtbarsten Verdammungsurteil, das jemals
über Beaumarchais gesprochen worden ist, bei, jenem Worte Besenvals: Beau¬
marchais und Madame Dübarry würden vielleicht die beiden Persönlichkeiten
sein, die in den Augen der Nachwelt ihr Jahrhundert am besten kennzeichneten.

Sollen wir nun das alles aufzählen, was Beaumarchais in so üblem
Lichte erscheinen läßt? Wie kurz wir nus auch fassen möchten, es würde den
Raum, der uns hier vergönnt ist, weit überschreiten. Denn es handelt sich
immer um sehr verwickelte Angelegenheiten. Wir können aber nnr ganz flüchtig
ans einige Momente dieser merkwürdigen Lebensbahn verweisen, die Lomenie
entweder ganz Übergängen oder nur angedeutet hat, die aber nach der Dar¬
stellung Bcttelheims sich als höchst bedeutsam für die Charakteristik des Dichters
herausstellen.

Gleich die Geschichte seiner ersten Heirat zeigt, wie er vou Haus aus mit
recht zweifelhaften Rechtsbegriffen ausgestattet in die Welt eintrat. Er war
fünfundzwanzig Jahre alt, als er die kurz vorher verwitwete Madame Frananet,
deren Galan er schon bei Lebzeiten ihres Mannes gewesen war, heimführen
wollte. Herr Franquet hatte zwei Hofämter bekleidet, eines davon trat er kurz
vor seinein Tode an Beaumarchais ab, das andre, einträglichere — es war
die Stelle eines Kontrvlenrs bei der Hofkriegskasse — ebenfalls zu erlangen,
war dem jungen Streber unmöglich, es fiel den Erben des Verstorbenen
zu. Mit dieser Stelle waren aber heimliche Nebeneinkünfte verbunden, was
bei einer fo korrupten Heeresverwaltung, wie die französische von 1756 war,
leicht zu erklären ist. Herr Franquet hatte diese jedoch während der letzten
Jahre seiner Amtsthätigkeit nicht ausgezahlt erhalten, Beaumarchais trieb


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[0501] Beaumarchais. Bcttelheim gehört, wenn wir nicht irren, jener Gruppe von Wiener Jour¬ nalisten ein, die es sich zur Aufgabe gestellt haben, die Korruption der Ge¬ genwart zu bekämpfen; ihr Organ ist die von Fricdjuug redigirte „Deutsche Wochenschrift." Mußte es da nicht einen eignen Reiz für ihn haben, einmal an einer Größe der Vergangenheit, die in die Korruption ihres Zeitalters so tief verstrickt war, das Richteramt zu üben? Denn das große Talent des Dichters entschuldigt ihn in seinen Augen nicht, kann ihm den Mangel an starker Gesinnung nicht ersetze!,, er bekennt sich nicht zu jener Lehre Schellings, die sür das Genie eine eigne Moral aufstellt. Aber er giebt auch nicht zu, daß in der versinkendem Welt des aneiizn rvAinro dem Talent, das in den niederen Regionen der Gesellschaft anfsproßte, keine andre Wahl freigestanden habe als die Weltflucht Rousseaus oder daS Laster Figaros. „So beengt und bedrängt mich das Dasein des Kleinbürgers in jenen Tagen war, meint er, Beaumarchais hätte sich aus dem Glasverschlag der Uhrmacher¬ werkstatt dank seiner künstlerischen Begabung befreien, dank seinem Geist, Witz und Talent zum verehrten und reichen Liebling der Nation emporarbeiten können; ihn lockten aber andre Lebenswege: die Pfade des Glücksritters." Und so stimmt Bettelheim selbst dem furchtbarsten Verdammungsurteil, das jemals über Beaumarchais gesprochen worden ist, bei, jenem Worte Besenvals: Beau¬ marchais und Madame Dübarry würden vielleicht die beiden Persönlichkeiten sein, die in den Augen der Nachwelt ihr Jahrhundert am besten kennzeichneten. Sollen wir nun das alles aufzählen, was Beaumarchais in so üblem Lichte erscheinen läßt? Wie kurz wir nus auch fassen möchten, es würde den Raum, der uns hier vergönnt ist, weit überschreiten. Denn es handelt sich immer um sehr verwickelte Angelegenheiten. Wir können aber nnr ganz flüchtig ans einige Momente dieser merkwürdigen Lebensbahn verweisen, die Lomenie entweder ganz Übergängen oder nur angedeutet hat, die aber nach der Dar¬ stellung Bcttelheims sich als höchst bedeutsam für die Charakteristik des Dichters herausstellen. Gleich die Geschichte seiner ersten Heirat zeigt, wie er vou Haus aus mit recht zweifelhaften Rechtsbegriffen ausgestattet in die Welt eintrat. Er war fünfundzwanzig Jahre alt, als er die kurz vorher verwitwete Madame Frananet, deren Galan er schon bei Lebzeiten ihres Mannes gewesen war, heimführen wollte. Herr Franquet hatte zwei Hofämter bekleidet, eines davon trat er kurz vor seinein Tode an Beaumarchais ab, das andre, einträglichere — es war die Stelle eines Kontrvlenrs bei der Hofkriegskasse — ebenfalls zu erlangen, war dem jungen Streber unmöglich, es fiel den Erben des Verstorbenen zu. Mit dieser Stelle waren aber heimliche Nebeneinkünfte verbunden, was bei einer fo korrupten Heeresverwaltung, wie die französische von 1756 war, leicht zu erklären ist. Herr Franquet hatte diese jedoch während der letzten Jahre seiner Amtsthätigkeit nicht ausgezahlt erhalten, Beaumarchais trieb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/501>, abgerufen am 05.02.2025.