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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

Straßen, kultivirte und meliorirte. Und Sie verlangen, daß sich eine Nation
nicht wehren soll, wenn solcherart die Bedingungen ihrer Existenz langsam ver¬
nichtet werde" ? Oder ist es etwa nicht wahr, daß man jetzt an vielen Orten
gute deutsche Gasthäuser findet anstatt der gemütlich-romantisch-nationalen
schmutzigen Juden schenken? Und dieses verabscheuungswürdige System der
Germanisativn will mau jetzt mit verstärkter Kraft wieder aufnehmen. Ist das
landesvüterlich? Nein, unsittlich!

Wenn einer, um den Schmerz wegen des Verlornen Vaterlandes zu betäuben,
sich nach Paris flüchtet, und wenn während dessen seine Angelegenheiten in
Unordnung geraten, so wäre es die Pflicht einer christlichen Negierung, ihm
die Mittel zu gewähren, daß er seine Schulden in Paris und zu Hause bezahlen
und in Zukunft ohne Sorgen leben kann. Sie aber wollen ihn auslaufen! Ist
das landesväterlich? Nein, unsittlich!

Die Schlösser, in welchen seit Jahrhunderten die Mazurka erklang und der
Champagner aus dem Schuh der Dame getrunken wurde, von denen so oft aus¬
gezogen wurde zum Reichstage, zur Konföderation, zur Insurrektion, die sollen
künftig von plumpen Deutschen bewohnt werden, vielleicht von Bürgerlichen,
ja -- ich schaudere! -- von Protestanten. O, meine Herren, das ist tief unsittlich.
Vergessen Sie doch nicht, daß Polen schon einmal in der höchsten Gefahr schwebte,
Protestantisch zu werden, und daß es nur dem energischen Wirken einer frommen
Königin und der Jesuiten gelang, das Land vor diesem Unglück zu bewahren,
als gerade durch den westfälischen Frieden das Prinzip der Glaubensfreiheit
leider zur Anerkennung gekommen war. Vergessen Sie nicht, daß vor hundert
Jahren keine akatholische Kirche in Polen existirte. kein Dissident im Lande
geduldet werden sollte -- natürlich mit Ausnahme der Glaubensgenossen der
schönen Esther König Kasimirs. Wollen Sie denn, daß Luise Marie Gonzaga
sich im Grabe umdreht, und am Ende mit ihr zugleich die schöne Esther? Wissen
Sie dem? nicht, wieviel eben die Bevorzugung des Judentums und die Aus¬
rottung des Protestantismus dazu beigetragen haben, Polen auf jene Höhe zu
heben, auf welcher es vor der ersten Teilung stand? Und nur jene Höhe streben
die heutigen Polen wieder an, sie sind so bescheiden, nicht einmal die alte
Lehenshoheit über Preußen wieder zu fordern, wenigstens vorläufig nicht; und
diesen Bestrebungen den Weg zu verlegen, ist unsittlich, meine Herren, höchst
unsittlich.

Glauben Sie ja nicht, daß es uns an Patriotismus, an Nationalgefühl
gebreche. Sollten die Polen es sich beikommen lassen, Berlin zu belagern, so
werden wir wie ein Mann auf die Wälle eilen -- ich meine: wir würden, wenn
noch Wälle vorhanden wären, ans dieselben eilen und nötigenfalls zur Ver¬
teidigung dieser Stadt unsre letzten Reden halten. Aber wo ist denn die polnische
Armee? Sie wollen Dämme aufführen, weil der Strom einmal über die Ufer
treten könnte: warten sie doch, bis er übergetreten ist! Wollen sie dem un-


Grenzbvten I. 1W6. 60
Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

Straßen, kultivirte und meliorirte. Und Sie verlangen, daß sich eine Nation
nicht wehren soll, wenn solcherart die Bedingungen ihrer Existenz langsam ver¬
nichtet werde» ? Oder ist es etwa nicht wahr, daß man jetzt an vielen Orten
gute deutsche Gasthäuser findet anstatt der gemütlich-romantisch-nationalen
schmutzigen Juden schenken? Und dieses verabscheuungswürdige System der
Germanisativn will mau jetzt mit verstärkter Kraft wieder aufnehmen. Ist das
landesvüterlich? Nein, unsittlich!

Wenn einer, um den Schmerz wegen des Verlornen Vaterlandes zu betäuben,
sich nach Paris flüchtet, und wenn während dessen seine Angelegenheiten in
Unordnung geraten, so wäre es die Pflicht einer christlichen Negierung, ihm
die Mittel zu gewähren, daß er seine Schulden in Paris und zu Hause bezahlen
und in Zukunft ohne Sorgen leben kann. Sie aber wollen ihn auslaufen! Ist
das landesväterlich? Nein, unsittlich!

Die Schlösser, in welchen seit Jahrhunderten die Mazurka erklang und der
Champagner aus dem Schuh der Dame getrunken wurde, von denen so oft aus¬
gezogen wurde zum Reichstage, zur Konföderation, zur Insurrektion, die sollen
künftig von plumpen Deutschen bewohnt werden, vielleicht von Bürgerlichen,
ja — ich schaudere! — von Protestanten. O, meine Herren, das ist tief unsittlich.
Vergessen Sie doch nicht, daß Polen schon einmal in der höchsten Gefahr schwebte,
Protestantisch zu werden, und daß es nur dem energischen Wirken einer frommen
Königin und der Jesuiten gelang, das Land vor diesem Unglück zu bewahren,
als gerade durch den westfälischen Frieden das Prinzip der Glaubensfreiheit
leider zur Anerkennung gekommen war. Vergessen Sie nicht, daß vor hundert
Jahren keine akatholische Kirche in Polen existirte. kein Dissident im Lande
geduldet werden sollte — natürlich mit Ausnahme der Glaubensgenossen der
schönen Esther König Kasimirs. Wollen Sie denn, daß Luise Marie Gonzaga
sich im Grabe umdreht, und am Ende mit ihr zugleich die schöne Esther? Wissen
Sie dem? nicht, wieviel eben die Bevorzugung des Judentums und die Aus¬
rottung des Protestantismus dazu beigetragen haben, Polen auf jene Höhe zu
heben, auf welcher es vor der ersten Teilung stand? Und nur jene Höhe streben
die heutigen Polen wieder an, sie sind so bescheiden, nicht einmal die alte
Lehenshoheit über Preußen wieder zu fordern, wenigstens vorläufig nicht; und
diesen Bestrebungen den Weg zu verlegen, ist unsittlich, meine Herren, höchst
unsittlich.

Glauben Sie ja nicht, daß es uns an Patriotismus, an Nationalgefühl
gebreche. Sollten die Polen es sich beikommen lassen, Berlin zu belagern, so
werden wir wie ein Mann auf die Wälle eilen — ich meine: wir würden, wenn
noch Wälle vorhanden wären, ans dieselben eilen und nötigenfalls zur Ver¬
teidigung dieser Stadt unsre letzten Reden halten. Aber wo ist denn die polnische
Armee? Sie wollen Dämme aufführen, weil der Strom einmal über die Ufer
treten könnte: warten sie doch, bis er übergetreten ist! Wollen sie dem un-


Grenzbvten I. 1W6. 60
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[0481] Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten. Straßen, kultivirte und meliorirte. Und Sie verlangen, daß sich eine Nation nicht wehren soll, wenn solcherart die Bedingungen ihrer Existenz langsam ver¬ nichtet werde» ? Oder ist es etwa nicht wahr, daß man jetzt an vielen Orten gute deutsche Gasthäuser findet anstatt der gemütlich-romantisch-nationalen schmutzigen Juden schenken? Und dieses verabscheuungswürdige System der Germanisativn will mau jetzt mit verstärkter Kraft wieder aufnehmen. Ist das landesvüterlich? Nein, unsittlich! Wenn einer, um den Schmerz wegen des Verlornen Vaterlandes zu betäuben, sich nach Paris flüchtet, und wenn während dessen seine Angelegenheiten in Unordnung geraten, so wäre es die Pflicht einer christlichen Negierung, ihm die Mittel zu gewähren, daß er seine Schulden in Paris und zu Hause bezahlen und in Zukunft ohne Sorgen leben kann. Sie aber wollen ihn auslaufen! Ist das landesväterlich? Nein, unsittlich! Die Schlösser, in welchen seit Jahrhunderten die Mazurka erklang und der Champagner aus dem Schuh der Dame getrunken wurde, von denen so oft aus¬ gezogen wurde zum Reichstage, zur Konföderation, zur Insurrektion, die sollen künftig von plumpen Deutschen bewohnt werden, vielleicht von Bürgerlichen, ja — ich schaudere! — von Protestanten. O, meine Herren, das ist tief unsittlich. Vergessen Sie doch nicht, daß Polen schon einmal in der höchsten Gefahr schwebte, Protestantisch zu werden, und daß es nur dem energischen Wirken einer frommen Königin und der Jesuiten gelang, das Land vor diesem Unglück zu bewahren, als gerade durch den westfälischen Frieden das Prinzip der Glaubensfreiheit leider zur Anerkennung gekommen war. Vergessen Sie nicht, daß vor hundert Jahren keine akatholische Kirche in Polen existirte. kein Dissident im Lande geduldet werden sollte — natürlich mit Ausnahme der Glaubensgenossen der schönen Esther König Kasimirs. Wollen Sie denn, daß Luise Marie Gonzaga sich im Grabe umdreht, und am Ende mit ihr zugleich die schöne Esther? Wissen Sie dem? nicht, wieviel eben die Bevorzugung des Judentums und die Aus¬ rottung des Protestantismus dazu beigetragen haben, Polen auf jene Höhe zu heben, auf welcher es vor der ersten Teilung stand? Und nur jene Höhe streben die heutigen Polen wieder an, sie sind so bescheiden, nicht einmal die alte Lehenshoheit über Preußen wieder zu fordern, wenigstens vorläufig nicht; und diesen Bestrebungen den Weg zu verlegen, ist unsittlich, meine Herren, höchst unsittlich. Glauben Sie ja nicht, daß es uns an Patriotismus, an Nationalgefühl gebreche. Sollten die Polen es sich beikommen lassen, Berlin zu belagern, so werden wir wie ein Mann auf die Wälle eilen — ich meine: wir würden, wenn noch Wälle vorhanden wären, ans dieselben eilen und nötigenfalls zur Ver¬ teidigung dieser Stadt unsre letzten Reden halten. Aber wo ist denn die polnische Armee? Sie wollen Dämme aufführen, weil der Strom einmal über die Ufer treten könnte: warten sie doch, bis er übergetreten ist! Wollen sie dem un- Grenzbvten I. 1W6. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/481>, abgerufen am 05.02.2025.