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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Nach alledem sollte es uns nicht wundern, wenn die Wissenschaft eines Tages
durch die überraschende Neuigkeit beglückt würde, daß der archaische sogenannte
Hermes Kriophoros (Widderträger) einen römischen Flcischergesellen, die Eirene
des Kephisodot eine Amme mit einem Jmpcratvrensäugling vorstelle oder daß zur
Veranschaulichung des römischen Zirkusrenneus sehr gut der Partheuonfrics zu
brauchen sei. Vielleicht würde sich für die Georgica Virgils der den Augias¬
stall reinigende Herakles der olympischen Metope entweder schlechthin als "rö¬
mischer Bauer" oder als mythologischer Vorgänger des alten Cato verwenden
lassen.

Die beigebrachten Beispiele kritiklosen Znsammenstellens ließen sich ver¬
mehren, wenn das Gesagte nicht schon den Charakter des Werkes hinreichend
kennzeichnete. Es ließe sich z, B, noch ein ernstes Wort sagen gegen den Unfug,
Figuren aus der griechischen Mythologie, die in dem römischen Kult weder
Analogien noch Parallelen haben, in den Text einzuschmuggeln, wenn man
dabei uicht fürchten müßte, wiederholt aus dein Ton ernster Kritik in den der
Satire zu verfallen.

Wie in der Auffassung der kunstgeschichtlichen Stellung und in der Er¬
klärung der einzelnen Monumente, so herrscht aber endlich auch in techno-
logischen Fragen, in der Terminologie, in der Museographie die größte Unklar¬
heit. Statt von der alten Pinakothek hören wir von einem Münchener Museum;
die bekannte Germanin, die sogenannte Thusuclda, soll im "Museum von Florenz"
aufgestellt sein. Die Loggia de' Lcmzi gehört freilich zu den weniger bekannten
Florentinischen Bauten! Behauptungen wie die, daß eine Lyoner Merkursstatue
aus "dunkelgrüner" Bronze bestehe, daß ein Altar in Mainz die "Darstellung
aller seiner Frontflächen in derselben Ebene" zeige, daß eine gallische Gottheit
in "buddhistischer Haltung" dargestellt sei, daß der schöne bronzene sogenannte
Seueeakopf in Neapel (Porträt eines alexandrinischen Dichters?) eine Büste
"von zweifelhafter Echtheit" sei, fallen nach allem Gesagten nach gerade nicht
besonders auf.

Die Bedenken, die wir an das gekennzeichnete Jllnstrationsverfahre" ge¬
knüpft habe", wiegen schwerer, als man ans den ersten Blick vielleicht
meint. Es handelt sich einmal um eine fahrlässige Täuschung des Publikums.
Es ist außerordentlich bedauerlich, daß mau den Mangel einer "im großen
Stile geschriebenen" römischen Kaiscrgeschichte durch die Übersetzung eines fremd¬
ländischen Werkes beseitigen will, das wenigstens nach der Seite hin, nach der
es originell sein will, oftmals an ein Bilderbuch für den Nnschanungsunterricht
erinnert. Wie ein so feiner Kenner der römischen Kaisergeschichte wie H. Schiller
das Werk namentlich wegen seiner gelungenen Auswahl der Münzen, Statuen ?e,,
und noch dazu Schulbiblivthckeu empfehlen konnte, ist uns ein Rätsel. Wir find
überzeugt, daß auch in den maßgebenden Kreisen der französischen gelehrten Welt
-- obgleich Herr Duruy früher Unterrichtsminister war -- ähnliche Wider-


Nach alledem sollte es uns nicht wundern, wenn die Wissenschaft eines Tages
durch die überraschende Neuigkeit beglückt würde, daß der archaische sogenannte
Hermes Kriophoros (Widderträger) einen römischen Flcischergesellen, die Eirene
des Kephisodot eine Amme mit einem Jmpcratvrensäugling vorstelle oder daß zur
Veranschaulichung des römischen Zirkusrenneus sehr gut der Partheuonfrics zu
brauchen sei. Vielleicht würde sich für die Georgica Virgils der den Augias¬
stall reinigende Herakles der olympischen Metope entweder schlechthin als „rö¬
mischer Bauer" oder als mythologischer Vorgänger des alten Cato verwenden
lassen.

Die beigebrachten Beispiele kritiklosen Znsammenstellens ließen sich ver¬
mehren, wenn das Gesagte nicht schon den Charakter des Werkes hinreichend
kennzeichnete. Es ließe sich z, B, noch ein ernstes Wort sagen gegen den Unfug,
Figuren aus der griechischen Mythologie, die in dem römischen Kult weder
Analogien noch Parallelen haben, in den Text einzuschmuggeln, wenn man
dabei uicht fürchten müßte, wiederholt aus dein Ton ernster Kritik in den der
Satire zu verfallen.

Wie in der Auffassung der kunstgeschichtlichen Stellung und in der Er¬
klärung der einzelnen Monumente, so herrscht aber endlich auch in techno-
logischen Fragen, in der Terminologie, in der Museographie die größte Unklar¬
heit. Statt von der alten Pinakothek hören wir von einem Münchener Museum;
die bekannte Germanin, die sogenannte Thusuclda, soll im „Museum von Florenz"
aufgestellt sein. Die Loggia de' Lcmzi gehört freilich zu den weniger bekannten
Florentinischen Bauten! Behauptungen wie die, daß eine Lyoner Merkursstatue
aus „dunkelgrüner" Bronze bestehe, daß ein Altar in Mainz die „Darstellung
aller seiner Frontflächen in derselben Ebene" zeige, daß eine gallische Gottheit
in „buddhistischer Haltung" dargestellt sei, daß der schöne bronzene sogenannte
Seueeakopf in Neapel (Porträt eines alexandrinischen Dichters?) eine Büste
„von zweifelhafter Echtheit" sei, fallen nach allem Gesagten nach gerade nicht
besonders auf.

Die Bedenken, die wir an das gekennzeichnete Jllnstrationsverfahre» ge¬
knüpft habe», wiegen schwerer, als man ans den ersten Blick vielleicht
meint. Es handelt sich einmal um eine fahrlässige Täuschung des Publikums.
Es ist außerordentlich bedauerlich, daß mau den Mangel einer „im großen
Stile geschriebenen" römischen Kaiscrgeschichte durch die Übersetzung eines fremd¬
ländischen Werkes beseitigen will, das wenigstens nach der Seite hin, nach der
es originell sein will, oftmals an ein Bilderbuch für den Nnschanungsunterricht
erinnert. Wie ein so feiner Kenner der römischen Kaisergeschichte wie H. Schiller
das Werk namentlich wegen seiner gelungenen Auswahl der Münzen, Statuen ?e,,
und noch dazu Schulbiblivthckeu empfehlen konnte, ist uns ein Rätsel. Wir find
überzeugt, daß auch in den maßgebenden Kreisen der französischen gelehrten Welt
— obgleich Herr Duruy früher Unterrichtsminister war — ähnliche Wider-


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[0479] Nach alledem sollte es uns nicht wundern, wenn die Wissenschaft eines Tages durch die überraschende Neuigkeit beglückt würde, daß der archaische sogenannte Hermes Kriophoros (Widderträger) einen römischen Flcischergesellen, die Eirene des Kephisodot eine Amme mit einem Jmpcratvrensäugling vorstelle oder daß zur Veranschaulichung des römischen Zirkusrenneus sehr gut der Partheuonfrics zu brauchen sei. Vielleicht würde sich für die Georgica Virgils der den Augias¬ stall reinigende Herakles der olympischen Metope entweder schlechthin als „rö¬ mischer Bauer" oder als mythologischer Vorgänger des alten Cato verwenden lassen. Die beigebrachten Beispiele kritiklosen Znsammenstellens ließen sich ver¬ mehren, wenn das Gesagte nicht schon den Charakter des Werkes hinreichend kennzeichnete. Es ließe sich z, B, noch ein ernstes Wort sagen gegen den Unfug, Figuren aus der griechischen Mythologie, die in dem römischen Kult weder Analogien noch Parallelen haben, in den Text einzuschmuggeln, wenn man dabei uicht fürchten müßte, wiederholt aus dein Ton ernster Kritik in den der Satire zu verfallen. Wie in der Auffassung der kunstgeschichtlichen Stellung und in der Er¬ klärung der einzelnen Monumente, so herrscht aber endlich auch in techno- logischen Fragen, in der Terminologie, in der Museographie die größte Unklar¬ heit. Statt von der alten Pinakothek hören wir von einem Münchener Museum; die bekannte Germanin, die sogenannte Thusuclda, soll im „Museum von Florenz" aufgestellt sein. Die Loggia de' Lcmzi gehört freilich zu den weniger bekannten Florentinischen Bauten! Behauptungen wie die, daß eine Lyoner Merkursstatue aus „dunkelgrüner" Bronze bestehe, daß ein Altar in Mainz die „Darstellung aller seiner Frontflächen in derselben Ebene" zeige, daß eine gallische Gottheit in „buddhistischer Haltung" dargestellt sei, daß der schöne bronzene sogenannte Seueeakopf in Neapel (Porträt eines alexandrinischen Dichters?) eine Büste „von zweifelhafter Echtheit" sei, fallen nach allem Gesagten nach gerade nicht besonders auf. Die Bedenken, die wir an das gekennzeichnete Jllnstrationsverfahre» ge¬ knüpft habe», wiegen schwerer, als man ans den ersten Blick vielleicht meint. Es handelt sich einmal um eine fahrlässige Täuschung des Publikums. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß mau den Mangel einer „im großen Stile geschriebenen" römischen Kaiscrgeschichte durch die Übersetzung eines fremd¬ ländischen Werkes beseitigen will, das wenigstens nach der Seite hin, nach der es originell sein will, oftmals an ein Bilderbuch für den Nnschanungsunterricht erinnert. Wie ein so feiner Kenner der römischen Kaisergeschichte wie H. Schiller das Werk namentlich wegen seiner gelungenen Auswahl der Münzen, Statuen ?e,, und noch dazu Schulbiblivthckeu empfehlen konnte, ist uns ein Rätsel. Wir find überzeugt, daß auch in den maßgebenden Kreisen der französischen gelehrten Welt — obgleich Herr Duruy früher Unterrichtsminister war — ähnliche Wider-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/479>, abgerufen am 05.02.2025.