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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Deutschen in Nowyort.

Blatt "boycotten" und vom Boden vertilgen in N0 ein". Dein Deutschen aber
erscheint dergleichen nur natürlich, und trotz allem, was geschehen ist, sind ihm
die Anschwärznngen des "Soldatenkaisers" Wilhelm und des "General Bismarck"
eine Wonne. Wie oft mag schon der Icmkee verächtlich gelächelt haben, wenn die
Staatszeitung ihren Leser" weiß macht, Bismarck sei ein "Feind" des amerikanischen
Volkes, weil ihm die Berliner und Hamburger vor den Newhvrkern, weil ihm die
45 Millionen "Deutschländer," die seiner Fürsorge anvertraut sind, vor den
10 Millionen Dentschamerikaueru kommen, die aus ihn Pfeifen, weil er mit einem
Worte deutsche Politik treibt. Das darf ein Deutscher doch nicht. Ein Deutscher
hat die Verpflichtung, französische oder römische oder amerikanische oder irgend¬
eine andre fremde Politik zu treiben, besonders aber, wenn er deutscher Reichs¬
kanzler ist.

Mau darf sich nach diesen (und frühern) Proben der Polemik gegen
"deutschländischc" Verhältnisse und Staatsmänner nicht wundern, wenn die
Verstocktheit selbst bei gebildeten Newhorker Landsleuten maßlos ist. Von den
Schlvierigkeiten, die ein Volk mit einer tausendjährigen unglücklichen Geschichte
ans seinem Rücken, überall mit gegebnen, überlieferten Verhältnissen vor sich,
eingekeilt in drangvoller Enge zwischen übelwollenden Nachbarn, mit den kom-
plizirtesten Aufgaben im Innern, auf seinem Wege findet, von diesen Schwierig¬
keiten weiß niemand und will niemand etwas wissen. Eine Schätzung derselben
würde Gerechtigkeit bedeuten, und Schimpfen ist doch Pflicht! Als der Schreiber
dieses Aufsatzes im Januar 1884 den amerikanischen Boden betrat, war es
mit das erste, was ein Freund ihm, mit großer Erbitterung, entgegenhielt:
"Was, was hat denn Deutschland geleistet? Sage mir doch bloß irgend etwas
Hervorragendes, Nennenswertes, was ihr in letzter Zeit drüben zu Wege ge¬
bracht habt!" Und als ich ihm erwiederte, daß wir u. a. die Staatsbahucn zu
Wege gebracht hätte", welche unsre wichtigste,! Verkehrseinrichtungen wieder zu
dem gemacht hätten, was sie sein sollten: gemeinnützig -- während in Nord¬
amerika in dieser Hinsicht eine Bereicherung Einzelner, ein Interessenkampf, eine
Ausbeutung, eine Spekulation, eine Einschüchterung, Beeinflussung und Korrup¬
tion bis in die fernsten Kanäle gesellschaftlichen und wirtschaftlichem Lebens
hinein zum Himmel schreit, da hatte dieser Mann von den Staatsbahucn, von
ihrem Wesen und Werte leine Ahnung! Er hatte noch "veniger Ahnung von
unsrer kaiserliche" Botschaft und unsrer sozialen Gesetzgebung, die sich auf dieser
Botschaft aufbaut, aber seit fünf Jahre" hatte die Newhorker Staatszeitung
auf seinem Frühstückstisch gelegen, und es war das einzige Blatt, welches er
las! Verhöhnung monarchischer Institutionen, Verleumdung unsrer Armee, die
stets nnr als eine vollkommen unproduktive Einrichtung dargestellt und, wo sie
etwas geleistet hat, immer zum "Volksheer" gemacht wird (es soll etwa be¬
deuten, daß die untüchtigen Offiziere von dem herrlichen Volke mit fortgerissen
worden seien), Anpreisung der alleinseligmachenden Demokratie und Liebäugeln


Die Deutschen in Nowyort.

Blatt „boycotten" und vom Boden vertilgen in N0 ein«. Dein Deutschen aber
erscheint dergleichen nur natürlich, und trotz allem, was geschehen ist, sind ihm
die Anschwärznngen des „Soldatenkaisers" Wilhelm und des „General Bismarck"
eine Wonne. Wie oft mag schon der Icmkee verächtlich gelächelt haben, wenn die
Staatszeitung ihren Leser» weiß macht, Bismarck sei ein „Feind" des amerikanischen
Volkes, weil ihm die Berliner und Hamburger vor den Newhvrkern, weil ihm die
45 Millionen „Deutschländer," die seiner Fürsorge anvertraut sind, vor den
10 Millionen Dentschamerikaueru kommen, die aus ihn Pfeifen, weil er mit einem
Worte deutsche Politik treibt. Das darf ein Deutscher doch nicht. Ein Deutscher
hat die Verpflichtung, französische oder römische oder amerikanische oder irgend¬
eine andre fremde Politik zu treiben, besonders aber, wenn er deutscher Reichs¬
kanzler ist.

Mau darf sich nach diesen (und frühern) Proben der Polemik gegen
„deutschländischc" Verhältnisse und Staatsmänner nicht wundern, wenn die
Verstocktheit selbst bei gebildeten Newhorker Landsleuten maßlos ist. Von den
Schlvierigkeiten, die ein Volk mit einer tausendjährigen unglücklichen Geschichte
ans seinem Rücken, überall mit gegebnen, überlieferten Verhältnissen vor sich,
eingekeilt in drangvoller Enge zwischen übelwollenden Nachbarn, mit den kom-
plizirtesten Aufgaben im Innern, auf seinem Wege findet, von diesen Schwierig¬
keiten weiß niemand und will niemand etwas wissen. Eine Schätzung derselben
würde Gerechtigkeit bedeuten, und Schimpfen ist doch Pflicht! Als der Schreiber
dieses Aufsatzes im Januar 1884 den amerikanischen Boden betrat, war es
mit das erste, was ein Freund ihm, mit großer Erbitterung, entgegenhielt:
„Was, was hat denn Deutschland geleistet? Sage mir doch bloß irgend etwas
Hervorragendes, Nennenswertes, was ihr in letzter Zeit drüben zu Wege ge¬
bracht habt!" Und als ich ihm erwiederte, daß wir u. a. die Staatsbahucn zu
Wege gebracht hätte», welche unsre wichtigste,! Verkehrseinrichtungen wieder zu
dem gemacht hätten, was sie sein sollten: gemeinnützig — während in Nord¬
amerika in dieser Hinsicht eine Bereicherung Einzelner, ein Interessenkampf, eine
Ausbeutung, eine Spekulation, eine Einschüchterung, Beeinflussung und Korrup¬
tion bis in die fernsten Kanäle gesellschaftlichen und wirtschaftlichem Lebens
hinein zum Himmel schreit, da hatte dieser Mann von den Staatsbahucn, von
ihrem Wesen und Werte leine Ahnung! Er hatte noch »veniger Ahnung von
unsrer kaiserliche» Botschaft und unsrer sozialen Gesetzgebung, die sich auf dieser
Botschaft aufbaut, aber seit fünf Jahre» hatte die Newhorker Staatszeitung
auf seinem Frühstückstisch gelegen, und es war das einzige Blatt, welches er
las! Verhöhnung monarchischer Institutionen, Verleumdung unsrer Armee, die
stets nnr als eine vollkommen unproduktive Einrichtung dargestellt und, wo sie
etwas geleistet hat, immer zum „Volksheer" gemacht wird (es soll etwa be¬
deuten, daß die untüchtigen Offiziere von dem herrlichen Volke mit fortgerissen
worden seien), Anpreisung der alleinseligmachenden Demokratie und Liebäugeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/466>, abgerufen am 05.02.2025.