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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Deutschen in Neuyork.

1866 in die Ilniwii Le^tes einwanderten, für den Kampf um das nationale
Dasein so mangelhaft ausgerüstet waren wie nur möglich; daß sie aus einem
durchaus noch schwachen, eben erst zu selbständigem politischen Leben erwachenden
Lande kamen, daß die Allermeisten verdrossen und mißmutig, ungeduldig und
erbittert der Heimat den Rucken gelehrt hatten, daß sie an großen Erinnerungen
leinen Halt hatten, dagegen ein äußerst selbstbewußtes Volkstum vorfanden, daß
die Zeiten in Amerika damals noch gut, der Verdienst reichlich, die Wirtschaft
aus dem Vollen noch im Gange war, und daß der Geldgewinn besonders bei
Leuten von geringer Bildung vollends dem Faß den Boden ciusschlagen mußte.
Trotzdem zeugt die Art, wie die allermeisten ihr Deutschtum achtlos und unbe¬
denklich fahren ließen, von soviel Charakterschwäche, der Deutsch-Amerikaner,
besonders der ältere, verleugnet anch heute noch die Beziehungen zu seiner Ab¬
kunft und die Pflichten, die sie ihm auferlegt, mit solcher Lust, seine Gleich¬
gültigkeit ist so verblüffend, er antwortet dem Amerikaner sein: I aan't, oll-ro lor
dorma-n^ -- I elon't "arg lor politivs so fließend und so ohne Scham, daß uns
die peinlichsten Eindrücke nicht erspart bleiben und man schweren Herzen? immer
wieder zu dem einen Gedanken zurückkehrt: Was alles haben wir daheim noch
zu leisten, damit andre Menschen unser Vaterland verlasse"!

Unter den vielen, mit dem der Schreiber dieser Zeilen jenseits des
Ozeans Meinungen ausgetauscht hat, steht ihm besonders ein Veteran uns
dem Sczessionslricge in lebhafter Erinnerung, ein Mnun von vielseitiger
Bildung, reifster Lebenserfahrung, fähig, jede Regung eines menschlichen
Herzens mitzufühlen, wohl bewandert in heimischer und fremder Geschichte.
Dieser Mann war ein begeisterter Offizier, der mit voller Überzeugung für jene
Kämpfe eintrat, in welchen über 400000 Menschen allein ans nördlicher Seite
gefallen waren, für eine politische Machtfrage (denn der Krieg wurde geführt,
um die Union zu retten, "ut die Sklavenemanzipationsfrage wurde erst gegen
Ende des Krieges brennend), und er sprach von seinen Feldzugserinnernngen
mit solchem Feuer und mit so wenig Sentimentalität, daß man in ihm wenn
auch nicht einen skrupelloser, so doch einen derben und praktischen Soldaten
vermutete. Sobald aber das Gespräch auf unsern Krieg von 1866 kam, ein
Umschlag, der überraschend war! Dieser Krieg, der in sieben Tagen mit den
allergeringsten Opfern eine jammervolle, verwirrende Geschichte beendigte, ein
großes Volk der langersehnten Einigung näher brachte und Millionen von
Existenzen endlich eine gesündere und kräftigere Entwicklung ermöglichte, dieser
Krieg: ein Bruderkrieg, eine Schmach, unnütz, verderblich, garnicht darüber zu
sprechen! Derselbe Mann dann wieder (selbstverständlich von deutscher Abkunft
und schon im Mannesalter ausgewandert) wohl vertraut mit jeder Schattirung
des amerikanischen Charakters, unermüdlich, die Eigenheiten und Vorzüge seiner
neuen Landsleute herzuzählen, ihnen so ähnlich in allem und, ohne es zu wissen,
gewappnet mit einem so strammen amerikanische" Nationalgefühl, oaß es bei


Die Deutschen in Neuyork.

1866 in die Ilniwii Le^tes einwanderten, für den Kampf um das nationale
Dasein so mangelhaft ausgerüstet waren wie nur möglich; daß sie aus einem
durchaus noch schwachen, eben erst zu selbständigem politischen Leben erwachenden
Lande kamen, daß die Allermeisten verdrossen und mißmutig, ungeduldig und
erbittert der Heimat den Rucken gelehrt hatten, daß sie an großen Erinnerungen
leinen Halt hatten, dagegen ein äußerst selbstbewußtes Volkstum vorfanden, daß
die Zeiten in Amerika damals noch gut, der Verdienst reichlich, die Wirtschaft
aus dem Vollen noch im Gange war, und daß der Geldgewinn besonders bei
Leuten von geringer Bildung vollends dem Faß den Boden ciusschlagen mußte.
Trotzdem zeugt die Art, wie die allermeisten ihr Deutschtum achtlos und unbe¬
denklich fahren ließen, von soviel Charakterschwäche, der Deutsch-Amerikaner,
besonders der ältere, verleugnet anch heute noch die Beziehungen zu seiner Ab¬
kunft und die Pflichten, die sie ihm auferlegt, mit solcher Lust, seine Gleich¬
gültigkeit ist so verblüffend, er antwortet dem Amerikaner sein: I aan't, oll-ro lor
dorma-n^ — I elon't «arg lor politivs so fließend und so ohne Scham, daß uns
die peinlichsten Eindrücke nicht erspart bleiben und man schweren Herzen? immer
wieder zu dem einen Gedanken zurückkehrt: Was alles haben wir daheim noch
zu leisten, damit andre Menschen unser Vaterland verlasse»!

Unter den vielen, mit dem der Schreiber dieser Zeilen jenseits des
Ozeans Meinungen ausgetauscht hat, steht ihm besonders ein Veteran uns
dem Sczessionslricge in lebhafter Erinnerung, ein Mnun von vielseitiger
Bildung, reifster Lebenserfahrung, fähig, jede Regung eines menschlichen
Herzens mitzufühlen, wohl bewandert in heimischer und fremder Geschichte.
Dieser Mann war ein begeisterter Offizier, der mit voller Überzeugung für jene
Kämpfe eintrat, in welchen über 400000 Menschen allein ans nördlicher Seite
gefallen waren, für eine politische Machtfrage (denn der Krieg wurde geführt,
um die Union zu retten, »ut die Sklavenemanzipationsfrage wurde erst gegen
Ende des Krieges brennend), und er sprach von seinen Feldzugserinnernngen
mit solchem Feuer und mit so wenig Sentimentalität, daß man in ihm wenn
auch nicht einen skrupelloser, so doch einen derben und praktischen Soldaten
vermutete. Sobald aber das Gespräch auf unsern Krieg von 1866 kam, ein
Umschlag, der überraschend war! Dieser Krieg, der in sieben Tagen mit den
allergeringsten Opfern eine jammervolle, verwirrende Geschichte beendigte, ein
großes Volk der langersehnten Einigung näher brachte und Millionen von
Existenzen endlich eine gesündere und kräftigere Entwicklung ermöglichte, dieser
Krieg: ein Bruderkrieg, eine Schmach, unnütz, verderblich, garnicht darüber zu
sprechen! Derselbe Mann dann wieder (selbstverständlich von deutscher Abkunft
und schon im Mannesalter ausgewandert) wohl vertraut mit jeder Schattirung
des amerikanischen Charakters, unermüdlich, die Eigenheiten und Vorzüge seiner
neuen Landsleute herzuzählen, ihnen so ähnlich in allem und, ohne es zu wissen,
gewappnet mit einem so strammen amerikanische» Nationalgefühl, oaß es bei


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[0464] Die Deutschen in Neuyork. 1866 in die Ilniwii Le^tes einwanderten, für den Kampf um das nationale Dasein so mangelhaft ausgerüstet waren wie nur möglich; daß sie aus einem durchaus noch schwachen, eben erst zu selbständigem politischen Leben erwachenden Lande kamen, daß die Allermeisten verdrossen und mißmutig, ungeduldig und erbittert der Heimat den Rucken gelehrt hatten, daß sie an großen Erinnerungen leinen Halt hatten, dagegen ein äußerst selbstbewußtes Volkstum vorfanden, daß die Zeiten in Amerika damals noch gut, der Verdienst reichlich, die Wirtschaft aus dem Vollen noch im Gange war, und daß der Geldgewinn besonders bei Leuten von geringer Bildung vollends dem Faß den Boden ciusschlagen mußte. Trotzdem zeugt die Art, wie die allermeisten ihr Deutschtum achtlos und unbe¬ denklich fahren ließen, von soviel Charakterschwäche, der Deutsch-Amerikaner, besonders der ältere, verleugnet anch heute noch die Beziehungen zu seiner Ab¬ kunft und die Pflichten, die sie ihm auferlegt, mit solcher Lust, seine Gleich¬ gültigkeit ist so verblüffend, er antwortet dem Amerikaner sein: I aan't, oll-ro lor dorma-n^ — I elon't «arg lor politivs so fließend und so ohne Scham, daß uns die peinlichsten Eindrücke nicht erspart bleiben und man schweren Herzen? immer wieder zu dem einen Gedanken zurückkehrt: Was alles haben wir daheim noch zu leisten, damit andre Menschen unser Vaterland verlasse»! Unter den vielen, mit dem der Schreiber dieser Zeilen jenseits des Ozeans Meinungen ausgetauscht hat, steht ihm besonders ein Veteran uns dem Sczessionslricge in lebhafter Erinnerung, ein Mnun von vielseitiger Bildung, reifster Lebenserfahrung, fähig, jede Regung eines menschlichen Herzens mitzufühlen, wohl bewandert in heimischer und fremder Geschichte. Dieser Mann war ein begeisterter Offizier, der mit voller Überzeugung für jene Kämpfe eintrat, in welchen über 400000 Menschen allein ans nördlicher Seite gefallen waren, für eine politische Machtfrage (denn der Krieg wurde geführt, um die Union zu retten, »ut die Sklavenemanzipationsfrage wurde erst gegen Ende des Krieges brennend), und er sprach von seinen Feldzugserinnernngen mit solchem Feuer und mit so wenig Sentimentalität, daß man in ihm wenn auch nicht einen skrupelloser, so doch einen derben und praktischen Soldaten vermutete. Sobald aber das Gespräch auf unsern Krieg von 1866 kam, ein Umschlag, der überraschend war! Dieser Krieg, der in sieben Tagen mit den allergeringsten Opfern eine jammervolle, verwirrende Geschichte beendigte, ein großes Volk der langersehnten Einigung näher brachte und Millionen von Existenzen endlich eine gesündere und kräftigere Entwicklung ermöglichte, dieser Krieg: ein Bruderkrieg, eine Schmach, unnütz, verderblich, garnicht darüber zu sprechen! Derselbe Mann dann wieder (selbstverständlich von deutscher Abkunft und schon im Mannesalter ausgewandert) wohl vertraut mit jeder Schattirung des amerikanischen Charakters, unermüdlich, die Eigenheiten und Vorzüge seiner neuen Landsleute herzuzählen, ihnen so ähnlich in allem und, ohne es zu wissen, gewappnet mit einem so strammen amerikanische» Nationalgefühl, oaß es bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/464>, abgerufen am 05.02.2025.