Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Die Deutschen in Nowyork. trauen" erhebt. Ist unsre Ungeduld nicht länger zu zähmen, so fahren wir In Newhork selber nun scheint es nicht viel anders. In jedem Wagen Ja, die Zeiten, wo man nur einen Vollbart zu tragen brauchte, um vom Hätten die Deutschen jene Strömung zu benutzen gewußt, hätten sie die Die Deutschen in Nowyork. trauen" erhebt. Ist unsre Ungeduld nicht länger zu zähmen, so fahren wir In Newhork selber nun scheint es nicht viel anders. In jedem Wagen Ja, die Zeiten, wo man nur einen Vollbart zu tragen brauchte, um vom Hätten die Deutschen jene Strömung zu benutzen gewußt, hätten sie die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197885"/> <fw type="header" place="top"> Die Deutschen in Nowyork.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1329" prev="#ID_1328"> trauen" erhebt. Ist unsre Ungeduld nicht länger zu zähmen, so fahren wir<lb/> mit der Fähre über den Hudson hinüber „nach Amerika."</p><lb/> <p xml:id="ID_1330"> In Newhork selber nun scheint es nicht viel anders. In jedem Wagen<lb/> der Pferde- oder Hochbahn, in jedem Restaurant und vollends ans der Straße<lb/> kann man Deutsch reden hören in allen Mundarten; mau kann dreist jeden Schutz¬<lb/> mann und jeden Vorübergehenden auf Deutsch anreden, der zweite Mann versteht<lb/> es; vollends in „Äleindentschland" muß man ebensosehr darauf gefaßt sein, auf<lb/> Englisch eine Fchlfrage zu thun, und dieser etwa zwischen der zwölften und der<lb/> Canal-Street einerseits und der dritten nud der Avenue ^. anderseits auf der<lb/> Ostseite gelegene Stadtteil birgt ein Ragout von Dialekten, wie es an keinem<lb/> heimischen Platze in solcher Vielfältigkeit und Durchmischung anzutreffen ist.<lb/> Der Eindruck steigert sich, wenn man große Verguttgungslvlale besticht, wo<lb/> hauptsächlich Deutsche Verkehren, wenn man die Unmasse deutscher Namen an<lb/> den Lndeuschilderu, wenn man die endlosen Lagerbier-Salvvns, wenn man die<lb/> Menge deutscher Zeitungen sieht, wenn man vollends erfährt, daß in Newhork<lb/> und den umliegenden Schwesterstädten Vrvvklhn, Hoboken, Jerseh-City schlecht-<lb/> gerechuet ganze 40V 000 Landsleute leben! Man ist dann geneigt, Newhork<lb/> wirklich nach dein Vorgänge gewisser Deutschamerikaner für die „zweitgrößte<lb/> deutsche Stadt" zu halten, bis man jene Zeitungen liest und anfängt, sich<lb/> mit diesen 400 000 auszusprechen, bis man langsam, aber sicher dahinterkommt,<lb/> welche Stellung unsre Brüder in der amerikanischen Welt einnehmen und mit<lb/> welchen Augen sie angesehen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1331"> Ja, die Zeiten, wo man nur einen Vollbart zu tragen brauchte, um vom<lb/> Gasscnpöbel verhöhnt zu werde», wo man am Neujahrstage auf der Straße<lb/> nur Deutsch zu reden brauchte, um Beschimpfungen, zu gewärtigen jn sein Leben<lb/> zu wagen, diese Zeiten klingen noch immer nach und sind erst entschwunden mit<lb/> den Tagen von Sedum, Metz und Paris. Als im Sommer 1871 bei Begehung<lb/> des Friedensfestes zum erstenmale eine endlose Menge mit Musik und schwarz-<lb/> weißroten Fahnen zur Stadt hinauszog, merkten die verblüfften Newhvrker,<lb/> welch ein gewaltiger Klumpen fremden Volkstums hier mitten unter ihnen stecke;<lb/> es war die erste achtunggebietende deutsche Demonstration, und sie that eine<lb/> tiefgehende Wirkung. Der Illnoäy Dutoliirum machte seit jener Zeit dem zwar<lb/> immer noch geringschätzigen, aber doch schon mehr gemütlichen Wvvr (lvriimn<lb/> Platz, und eine humanere Auffassung unsrer Landsleute begann als natürliche<lb/> Nachwirkung des ruhmreichen Krieges Platz zu greife», wenn unsre Siege auch<lb/> nur deshalb von uns gewonnen worden waren, weil ein amerikanischer Major<lb/> im deutschen Hauptquartiere hospitirt hatte!</p><lb/> <p xml:id="ID_1332" next="#ID_1333"> Hätten die Deutschen jene Strömung zu benutzen gewußt, hätten sie die<lb/> Überzeugung gehabt, daß ihre Nationalität ihnen ein Einignngsband zur Er¬<lb/> langung politischer Macht abgebe, wie es ein bester geschulter Volksstamm nie<lb/> unbeachtet gelassen hätte — eine Überzeugung, die vorläufig noch vollkommen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0461]
Die Deutschen in Nowyork.
trauen" erhebt. Ist unsre Ungeduld nicht länger zu zähmen, so fahren wir
mit der Fähre über den Hudson hinüber „nach Amerika."
In Newhork selber nun scheint es nicht viel anders. In jedem Wagen
der Pferde- oder Hochbahn, in jedem Restaurant und vollends ans der Straße
kann man Deutsch reden hören in allen Mundarten; mau kann dreist jeden Schutz¬
mann und jeden Vorübergehenden auf Deutsch anreden, der zweite Mann versteht
es; vollends in „Äleindentschland" muß man ebensosehr darauf gefaßt sein, auf
Englisch eine Fchlfrage zu thun, und dieser etwa zwischen der zwölften und der
Canal-Street einerseits und der dritten nud der Avenue ^. anderseits auf der
Ostseite gelegene Stadtteil birgt ein Ragout von Dialekten, wie es an keinem
heimischen Platze in solcher Vielfältigkeit und Durchmischung anzutreffen ist.
Der Eindruck steigert sich, wenn man große Verguttgungslvlale besticht, wo
hauptsächlich Deutsche Verkehren, wenn man die Unmasse deutscher Namen an
den Lndeuschilderu, wenn man die endlosen Lagerbier-Salvvns, wenn man die
Menge deutscher Zeitungen sieht, wenn man vollends erfährt, daß in Newhork
und den umliegenden Schwesterstädten Vrvvklhn, Hoboken, Jerseh-City schlecht-
gerechuet ganze 40V 000 Landsleute leben! Man ist dann geneigt, Newhork
wirklich nach dein Vorgänge gewisser Deutschamerikaner für die „zweitgrößte
deutsche Stadt" zu halten, bis man jene Zeitungen liest und anfängt, sich
mit diesen 400 000 auszusprechen, bis man langsam, aber sicher dahinterkommt,
welche Stellung unsre Brüder in der amerikanischen Welt einnehmen und mit
welchen Augen sie angesehen werden.
Ja, die Zeiten, wo man nur einen Vollbart zu tragen brauchte, um vom
Gasscnpöbel verhöhnt zu werde», wo man am Neujahrstage auf der Straße
nur Deutsch zu reden brauchte, um Beschimpfungen, zu gewärtigen jn sein Leben
zu wagen, diese Zeiten klingen noch immer nach und sind erst entschwunden mit
den Tagen von Sedum, Metz und Paris. Als im Sommer 1871 bei Begehung
des Friedensfestes zum erstenmale eine endlose Menge mit Musik und schwarz-
weißroten Fahnen zur Stadt hinauszog, merkten die verblüfften Newhvrker,
welch ein gewaltiger Klumpen fremden Volkstums hier mitten unter ihnen stecke;
es war die erste achtunggebietende deutsche Demonstration, und sie that eine
tiefgehende Wirkung. Der Illnoäy Dutoliirum machte seit jener Zeit dem zwar
immer noch geringschätzigen, aber doch schon mehr gemütlichen Wvvr (lvriimn
Platz, und eine humanere Auffassung unsrer Landsleute begann als natürliche
Nachwirkung des ruhmreichen Krieges Platz zu greife», wenn unsre Siege auch
nur deshalb von uns gewonnen worden waren, weil ein amerikanischer Major
im deutschen Hauptquartiere hospitirt hatte!
Hätten die Deutschen jene Strömung zu benutzen gewußt, hätten sie die
Überzeugung gehabt, daß ihre Nationalität ihnen ein Einignngsband zur Er¬
langung politischer Macht abgebe, wie es ein bester geschulter Volksstamm nie
unbeachtet gelassen hätte — eine Überzeugung, die vorläufig noch vollkommen
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