Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.einem solchen Orte oder einer solchen Gegend die Pest ausgebrochen wäre. einem solchen Orte oder einer solchen Gegend die Pest ausgebrochen wäre. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197877"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1310" prev="#ID_1309" next="#ID_1311"> einem solchen Orte oder einer solchen Gegend die Pest ausgebrochen wäre.<lb/> Alle Geschäftsthätigkeit stockt, alles Interesse an bürgerlicher Arbeit ist er¬<lb/> tötet; weiß doch niemand, was der furchtbare Eintreibnngsrundgang, der sich<lb/> in aller Ordnung und Gesetzlichkeit so lange vollzieht, bis alles bezahlt ist oder<lb/> bis keiner der Haftbaren mehr einen Pfennig besitzt, ihm übriglassen wird.<lb/> Die gesetzlichen Vorschriften hierüber sind ja durchans sachgemäß, aber der<lb/> Fehler liegt in der unbeschränkten solidarischen Haftbarkeit selbst, und da die<lb/> Verteilnngsvorschristcn streng im Sinne derselben gehalten sind, so kommt eben<lb/> statt eines billigen und kulanten ein hartes und grausames Verfahren heraus.<lb/> Aber die Svlidarhaft ist nicht nur für diesen möglichst schlimmen, jedoch am Ende<lb/> nicht gerade wahrscheinlichen Fall gefährlich, sondern sie hat auch für den<lb/> ganzen Betrieb eine sehr bedenkliche Seite. Bei allen Geschäften kommt es doch<lb/> wesentlich auch darauf an, daß sie sich innerhalb eines bestimmten, dem Zwecke<lb/> und dem vorhandenen Maße von Leistungsfähigkeit angepaßten Nahmens halten;<lb/> die heutigen Genossenschaften werden aber durch die Svlidarhaft mit einer Art<lb/> von Gewaltsamkeit über diesen Nahmen hinausgetrieben. Es ist ja wahr, daß die<lb/> Svlidarhaft ihnen einen kolossalen, in gewissen: Sinne fast grenzenlosen Kredit<lb/> verschafft; aber ist dies ein Segen? ja ist es auch nur wünschenswert? Zu<lb/> ihrem Betriebe bedarf die Genossenschaft doch keines nahezu unbegrenzten, sondern<lb/> nur eben des für den Geschäftsumfang erforderlichen Kredits, und schon für<lb/> manche Volksbank ist es geradezu zum Fluche geworden, daß sie mehr Kredit<lb/> hatte, als nötig war. Denn wenn ihr über das erforderliche Maß hinaus Gelder<lb/> angeboten wurden, so hatten Direktoren und VerwaltnngSräte (die ja alle vom<lb/> Reingewinn ihre Tantiemen bezogen) selten den moralischen Mut, solche Be¬<lb/> träge zurückzuweisen oder das Angebot derselben zu weiter nichts als zum Herab¬<lb/> drücken des von der Bank gezählten Zinses zu benutzen, sondern gewöhnlich<lb/> wurde genommen, was zu erhalten war, und wenn sich dann hinterher die Frage<lb/> erhob: „Wohin mit dem Gelde?" — nun, da gab es Verwendungen, und zwar<lb/> anscheinend sichere und jedenfalls sehr lukrative Verwendungen die schwere Menge,<lb/> zu denen die reichlichen Baarmittel der Bank dienen konnten. Unzählige Zu-<lb/> sammenbruche sind auf nichts andres als ans diesen strotzenden Überfluß der<lb/> betreffenden Volksbank an verfügbaren. Kapital zurückzuführen, und dieser Über¬<lb/> fluß wiederum hat keine andre Quelle als die unbeschränkte Svlidarhaft.<lb/> Endlich aber ist die Svlidarhaft auch keineswegs erforderlich. Es kommt doch,<lb/> wie sehen oben gesagt, nicht auf Beschaffung beliebiger, sondern nur auf Be¬<lb/> schaffung der für den voraussichtlichen reellen Geschäftsumfang erforderlichen<lb/> Mittel an; hierfür aber genügt ein kleiner angesammelter Fonds und etwa die<lb/> Persönliche Haftbarkeit weniger Personen, ja unter Umständen eines einzige» als<lb/> solid und geschäftskundig bekannten Mannes. Allerdings ist selbst diese bescheidne<lb/> Sicherheit nicht ganz leicht zu beschaffen, und außerdem ist es erforderlich, ein<lb/> lebendiges persönliches Interesse der Mitglieder an dem ganzen Betriebe zu er-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0453]
einem solchen Orte oder einer solchen Gegend die Pest ausgebrochen wäre.
Alle Geschäftsthätigkeit stockt, alles Interesse an bürgerlicher Arbeit ist er¬
tötet; weiß doch niemand, was der furchtbare Eintreibnngsrundgang, der sich
in aller Ordnung und Gesetzlichkeit so lange vollzieht, bis alles bezahlt ist oder
bis keiner der Haftbaren mehr einen Pfennig besitzt, ihm übriglassen wird.
Die gesetzlichen Vorschriften hierüber sind ja durchans sachgemäß, aber der
Fehler liegt in der unbeschränkten solidarischen Haftbarkeit selbst, und da die
Verteilnngsvorschristcn streng im Sinne derselben gehalten sind, so kommt eben
statt eines billigen und kulanten ein hartes und grausames Verfahren heraus.
Aber die Svlidarhaft ist nicht nur für diesen möglichst schlimmen, jedoch am Ende
nicht gerade wahrscheinlichen Fall gefährlich, sondern sie hat auch für den
ganzen Betrieb eine sehr bedenkliche Seite. Bei allen Geschäften kommt es doch
wesentlich auch darauf an, daß sie sich innerhalb eines bestimmten, dem Zwecke
und dem vorhandenen Maße von Leistungsfähigkeit angepaßten Nahmens halten;
die heutigen Genossenschaften werden aber durch die Svlidarhaft mit einer Art
von Gewaltsamkeit über diesen Nahmen hinausgetrieben. Es ist ja wahr, daß die
Svlidarhaft ihnen einen kolossalen, in gewissen: Sinne fast grenzenlosen Kredit
verschafft; aber ist dies ein Segen? ja ist es auch nur wünschenswert? Zu
ihrem Betriebe bedarf die Genossenschaft doch keines nahezu unbegrenzten, sondern
nur eben des für den Geschäftsumfang erforderlichen Kredits, und schon für
manche Volksbank ist es geradezu zum Fluche geworden, daß sie mehr Kredit
hatte, als nötig war. Denn wenn ihr über das erforderliche Maß hinaus Gelder
angeboten wurden, so hatten Direktoren und VerwaltnngSräte (die ja alle vom
Reingewinn ihre Tantiemen bezogen) selten den moralischen Mut, solche Be¬
träge zurückzuweisen oder das Angebot derselben zu weiter nichts als zum Herab¬
drücken des von der Bank gezählten Zinses zu benutzen, sondern gewöhnlich
wurde genommen, was zu erhalten war, und wenn sich dann hinterher die Frage
erhob: „Wohin mit dem Gelde?" — nun, da gab es Verwendungen, und zwar
anscheinend sichere und jedenfalls sehr lukrative Verwendungen die schwere Menge,
zu denen die reichlichen Baarmittel der Bank dienen konnten. Unzählige Zu-
sammenbruche sind auf nichts andres als ans diesen strotzenden Überfluß der
betreffenden Volksbank an verfügbaren. Kapital zurückzuführen, und dieser Über¬
fluß wiederum hat keine andre Quelle als die unbeschränkte Svlidarhaft.
Endlich aber ist die Svlidarhaft auch keineswegs erforderlich. Es kommt doch,
wie sehen oben gesagt, nicht auf Beschaffung beliebiger, sondern nur auf Be¬
schaffung der für den voraussichtlichen reellen Geschäftsumfang erforderlichen
Mittel an; hierfür aber genügt ein kleiner angesammelter Fonds und etwa die
Persönliche Haftbarkeit weniger Personen, ja unter Umständen eines einzige» als
solid und geschäftskundig bekannten Mannes. Allerdings ist selbst diese bescheidne
Sicherheit nicht ganz leicht zu beschaffen, und außerdem ist es erforderlich, ein
lebendiges persönliches Interesse der Mitglieder an dem ganzen Betriebe zu er-
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