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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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sind und auf denen sich nicht ohne weiteres erkennen läßt, welche tiefergreifender
Wirkungen die beschlossenen Maßregeln haben können, heranzutreten, während
dagegen eine gewisse leichtherzige Gleichgiltigkeit hinsichtlich dessen, was mög¬
licherweise mit dem besten Willen von der Welt angerichtet wird, zum Wesen
des Liberalismus gehört. Kurzum, die Reformgcsetzgebniig hat sich bis heute
sorgfältig gehütet, über den genau umschriebenen Kreis dessen, was zunächst erreicht
oder angestrebt werden sollte, hinauszugehen. So ist denn u. a. Wohl im all¬
gemeinen gesagt, daß auch die Errichtung wirtschafts-genossenschaftlicher Verbände
innerhalb der Innungen oder Gewerbsgenossen zu den Aufgaben der Innung
gehöre, aber diese Errichtung selbst ist weder näher präzisirt, noch sind hierfür
weitere Hilfsmittel an die Hand gegeben. Hier wirkte außer dem obigen allge¬
meine" Grunde noch ein besondrer mit: es ist dem Liberalismus (wie in ver-
schiednen ähnlichen Fällen) gelungen, in den weitesten Kreisen die Meinung zu
verbreiten, für das Genossenschaftswesen sei ans absehbare Zeit die einzig mög¬
liche und dabei als praktisch bewährte Form geschaffen, und alles, was auf
diesem Gebiete neu anzubahnen sei, müsse sich dieser Form entsprechend gestalten.
Und doch ist diese Meinung vollständig irrig, und eine zeitgemäße, ans die
Innungen basirte Neugestaltung des Genossenschaftswesens wird von ganz
andern Grundgedanken als denen des jetzigen GeuosseuschaftSgesetzes auszugehen
haben, einfach weil das letztere wirkliche "Genossen" weder im Auge hat noch
eine Ausbildung von wirklichen "Genossen" fördert.

Das Wort "Genosse" ist eines der ursprünglichsten und volkstümlichsten,
über die unsre Sprache verfügt. Es bedeutet Leute, die einunddemselben
Interessenkreise angehören und durch diese gemeinsame Angehörigkeit ans treues
und festes Zusammenstehe" angewiesen sind. Die Mitglieder eines Wald- und
Weidenutznugsrechts, die Mitglieder eines Deichverbandes, die Teilnehmer eines
Meiereibctriebes, die Angehörigen irgendeiner Form gemeinsamer produktiver
Thätigkeit -- das sind Genossen. Auch die Mitglieder einer Innung können
und sollten nach unsrer Überzeugung Genossen sein. Ganz und gar unzulässig
aber sollte die Anwendung dieses Wortes auf Leute sein, deren ganze "Gcnvssen-
schaftlichkeit" darin besteht, daß sie alle einem Vereine angehören, der irgend¬
einen, wenn auch vielleicht für jedes Mitglied noch so wesentlichen, kein Mitglied
als solches aber den andern Mitgliedern nähcrrückenden Einzelzweck verfolgt.
Dies gilt ganz besonders von den sogenannten Vvlksbanken, von denen man
wirklich sagen kann, daß auch nicht eines der Kennzeichen, an denen eine wirkliche
Genossenschaft zu erkennen sein sollte, auf sie zutrifft. Weder haben die Mit¬
glieder ein andres als ein rein abstraktes gemeinsames Interesse, noch ist auch
nur diese abstrakte Gemeinsamkeit für die Mitglieder eine gleichartige (wie un¬
versöhnlich und bei jeder Gelegenheit schroff zu Tage tretend ist nicht der
Gegensatz zwischen den dividendeluftigen Stninmanteilsinhabern und den nach
billigem Zins rufenden Krcditbcdürftige"!), noch nimmt die Masse der Mitglieder


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sind und auf denen sich nicht ohne weiteres erkennen läßt, welche tiefergreifender
Wirkungen die beschlossenen Maßregeln haben können, heranzutreten, während
dagegen eine gewisse leichtherzige Gleichgiltigkeit hinsichtlich dessen, was mög¬
licherweise mit dem besten Willen von der Welt angerichtet wird, zum Wesen
des Liberalismus gehört. Kurzum, die Reformgcsetzgebniig hat sich bis heute
sorgfältig gehütet, über den genau umschriebenen Kreis dessen, was zunächst erreicht
oder angestrebt werden sollte, hinauszugehen. So ist denn u. a. Wohl im all¬
gemeinen gesagt, daß auch die Errichtung wirtschafts-genossenschaftlicher Verbände
innerhalb der Innungen oder Gewerbsgenossen zu den Aufgaben der Innung
gehöre, aber diese Errichtung selbst ist weder näher präzisirt, noch sind hierfür
weitere Hilfsmittel an die Hand gegeben. Hier wirkte außer dem obigen allge¬
meine» Grunde noch ein besondrer mit: es ist dem Liberalismus (wie in ver-
schiednen ähnlichen Fällen) gelungen, in den weitesten Kreisen die Meinung zu
verbreiten, für das Genossenschaftswesen sei ans absehbare Zeit die einzig mög¬
liche und dabei als praktisch bewährte Form geschaffen, und alles, was auf
diesem Gebiete neu anzubahnen sei, müsse sich dieser Form entsprechend gestalten.
Und doch ist diese Meinung vollständig irrig, und eine zeitgemäße, ans die
Innungen basirte Neugestaltung des Genossenschaftswesens wird von ganz
andern Grundgedanken als denen des jetzigen GeuosseuschaftSgesetzes auszugehen
haben, einfach weil das letztere wirkliche „Genossen" weder im Auge hat noch
eine Ausbildung von wirklichen „Genossen" fördert.

Das Wort „Genosse" ist eines der ursprünglichsten und volkstümlichsten,
über die unsre Sprache verfügt. Es bedeutet Leute, die einunddemselben
Interessenkreise angehören und durch diese gemeinsame Angehörigkeit ans treues
und festes Zusammenstehe» angewiesen sind. Die Mitglieder eines Wald- und
Weidenutznugsrechts, die Mitglieder eines Deichverbandes, die Teilnehmer eines
Meiereibctriebes, die Angehörigen irgendeiner Form gemeinsamer produktiver
Thätigkeit — das sind Genossen. Auch die Mitglieder einer Innung können
und sollten nach unsrer Überzeugung Genossen sein. Ganz und gar unzulässig
aber sollte die Anwendung dieses Wortes auf Leute sein, deren ganze „Gcnvssen-
schaftlichkeit" darin besteht, daß sie alle einem Vereine angehören, der irgend¬
einen, wenn auch vielleicht für jedes Mitglied noch so wesentlichen, kein Mitglied
als solches aber den andern Mitgliedern nähcrrückenden Einzelzweck verfolgt.
Dies gilt ganz besonders von den sogenannten Vvlksbanken, von denen man
wirklich sagen kann, daß auch nicht eines der Kennzeichen, an denen eine wirkliche
Genossenschaft zu erkennen sein sollte, auf sie zutrifft. Weder haben die Mit¬
glieder ein andres als ein rein abstraktes gemeinsames Interesse, noch ist auch
nur diese abstrakte Gemeinsamkeit für die Mitglieder eine gleichartige (wie un¬
versöhnlich und bei jeder Gelegenheit schroff zu Tage tretend ist nicht der
Gegensatz zwischen den dividendeluftigen Stninmanteilsinhabern und den nach
billigem Zins rufenden Krcditbcdürftige»!), noch nimmt die Masse der Mitglieder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/450>, abgerufen am 05.02.2025.