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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Verzug ungeschehen gemacht wurde. Die Sache wurde nämlich an den Statt¬
halter Fürsten Radziwill lind an den Minister Hardenberg berichtet, diese ver¬
langten von dem obersten Justizbeamten der Provinz, dem Obcrapvellatious-
genchtsvräsidenten von Schönermark, ein Gutachten über das Reskript mit dem
unglücklichen Revers, und dasselbe, von 20. Juni 1316 datirt, erklärte: "Die
zweite Periode läßt den Unterschreibenden den Anteil von Polen, welcher dem
Königlich preußischen Hanse zurückgefallen ist, als sein Vaterland anerkennen.
Der Begriff des Vaterlandes bezieht sich aber nicht auf einzelne Provinzen,
sondern auf den ganzen Staat, dem man angehört. Das Vaterland des Ein¬
wohners des Grvßherzogtnms ist also jetzt das ganze preußische Land, und
wenn Vaterlandsliebe und Vaterlandstreue in seinem Herzen wurzeln soll, muß
man ihn nicht aus dem großen Vnterlande ein kleines auszeichnen." Das Ende
dieser Episode war, daß Fürst Radziwill durch statthalterliches Reskript vom
8. September dem Zerbouischcn Revers das Lebenslicht ausblies.

Gleichfalls im Jahre 1816 erschienen eine Kcibinetsorde (vom 20. Juni)
und ein königliches Patent (vom 9. November), welche in der Provinz Posen
die Gesetzgebung der nltpreußischen Landesteile einführten. Am 5. Juni 1823
folgte die Verordnung wegen Errichtung von Proviuzialsländen für die einzelnen
Glieder der preußischen Monarchie. Neufchatel, welches wirklich uur durch
Personalunion mit dieser verbunden war, wurde dabei ausgenommen, Posen
nicht, und das vom 3. August 1824 datirte ausführende Gesetz für letztere
Provinz sowie die dasselbe ergänzende Verordnung von 15. Dezember 1830
stimmen vollkommen mit den Gesetzen und Verordnungen überein, welche für die
übrigen Provinzen in dieser Sache erlassen wurden. Das Gleiche wäre -- ab¬
gesehen allein von der Gemeindeordnung des Jahres 1850, welche die Pfuelsche
Demarkationslinie voraussetzt, die indes niemals praktische Geltung gewann --
von allen spätern organischen Gesetzen Preußens zu sagen. Es genügt aber
für unsern Zweck, wenn wir aus den ältern Kabinetsordres und Lcmdtags-
abschieden Friedrich Wilhelms des Vierten, die in unsern Zusammenhang gehören,
den Landtagsabschied vom 6. August 1841 herausgreife", worin der Monarch
ganz den Standpunkt seines Vaters einnimmt, wenn er sagt:

"In Übereinstimmung mit dem Inhalte der Wiener Traktate hat das Bc-
sitzucchmepatcnt und der Zuruf Unsers in Gott ruhenden Herrn Vaters Majestät
von 15. Mai 1815 die Einwohner der Provinz Posen der Monarchie einver¬
leibt und damit dem Charakter einer vollständigen, untrennbaren und alle Ver¬
hältnisse durchdringenden Vereinigung ausgesprochen. Das Grvßherzogtnm
Posen ist eine Provinz in demselben Sinne, in derselben unbedingten Gemein¬
schaft wie alle übrigen Provinzen, die Unserm Szepter unterworfen sind. Mit
dieser Stellung der Provinz Posen ist die Stellung der verschiednen Nationali¬
täten, die sie in sich schließt, ist der Gang ihrer fernern Entwicklung unver¬
rückbar vorgezeichnet. Der polnischen Nativualitcit ist durch die Wiener Trat-


Verzug ungeschehen gemacht wurde. Die Sache wurde nämlich an den Statt¬
halter Fürsten Radziwill lind an den Minister Hardenberg berichtet, diese ver¬
langten von dem obersten Justizbeamten der Provinz, dem Obcrapvellatious-
genchtsvräsidenten von Schönermark, ein Gutachten über das Reskript mit dem
unglücklichen Revers, und dasselbe, von 20. Juni 1316 datirt, erklärte: „Die
zweite Periode läßt den Unterschreibenden den Anteil von Polen, welcher dem
Königlich preußischen Hanse zurückgefallen ist, als sein Vaterland anerkennen.
Der Begriff des Vaterlandes bezieht sich aber nicht auf einzelne Provinzen,
sondern auf den ganzen Staat, dem man angehört. Das Vaterland des Ein¬
wohners des Grvßherzogtnms ist also jetzt das ganze preußische Land, und
wenn Vaterlandsliebe und Vaterlandstreue in seinem Herzen wurzeln soll, muß
man ihn nicht aus dem großen Vnterlande ein kleines auszeichnen." Das Ende
dieser Episode war, daß Fürst Radziwill durch statthalterliches Reskript vom
8. September dem Zerbouischcn Revers das Lebenslicht ausblies.

Gleichfalls im Jahre 1816 erschienen eine Kcibinetsorde (vom 20. Juni)
und ein königliches Patent (vom 9. November), welche in der Provinz Posen
die Gesetzgebung der nltpreußischen Landesteile einführten. Am 5. Juni 1823
folgte die Verordnung wegen Errichtung von Proviuzialsländen für die einzelnen
Glieder der preußischen Monarchie. Neufchatel, welches wirklich uur durch
Personalunion mit dieser verbunden war, wurde dabei ausgenommen, Posen
nicht, und das vom 3. August 1824 datirte ausführende Gesetz für letztere
Provinz sowie die dasselbe ergänzende Verordnung von 15. Dezember 1830
stimmen vollkommen mit den Gesetzen und Verordnungen überein, welche für die
übrigen Provinzen in dieser Sache erlassen wurden. Das Gleiche wäre — ab¬
gesehen allein von der Gemeindeordnung des Jahres 1850, welche die Pfuelsche
Demarkationslinie voraussetzt, die indes niemals praktische Geltung gewann —
von allen spätern organischen Gesetzen Preußens zu sagen. Es genügt aber
für unsern Zweck, wenn wir aus den ältern Kabinetsordres und Lcmdtags-
abschieden Friedrich Wilhelms des Vierten, die in unsern Zusammenhang gehören,
den Landtagsabschied vom 6. August 1841 herausgreife», worin der Monarch
ganz den Standpunkt seines Vaters einnimmt, wenn er sagt:

„In Übereinstimmung mit dem Inhalte der Wiener Traktate hat das Bc-
sitzucchmepatcnt und der Zuruf Unsers in Gott ruhenden Herrn Vaters Majestät
von 15. Mai 1815 die Einwohner der Provinz Posen der Monarchie einver¬
leibt und damit dem Charakter einer vollständigen, untrennbaren und alle Ver¬
hältnisse durchdringenden Vereinigung ausgesprochen. Das Grvßherzogtnm
Posen ist eine Provinz in demselben Sinne, in derselben unbedingten Gemein¬
schaft wie alle übrigen Provinzen, die Unserm Szepter unterworfen sind. Mit
dieser Stellung der Provinz Posen ist die Stellung der verschiednen Nationali¬
täten, die sie in sich schließt, ist der Gang ihrer fernern Entwicklung unver¬
rückbar vorgezeichnet. Der polnischen Nativualitcit ist durch die Wiener Trat-


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[0447] Verzug ungeschehen gemacht wurde. Die Sache wurde nämlich an den Statt¬ halter Fürsten Radziwill lind an den Minister Hardenberg berichtet, diese ver¬ langten von dem obersten Justizbeamten der Provinz, dem Obcrapvellatious- genchtsvräsidenten von Schönermark, ein Gutachten über das Reskript mit dem unglücklichen Revers, und dasselbe, von 20. Juni 1316 datirt, erklärte: „Die zweite Periode läßt den Unterschreibenden den Anteil von Polen, welcher dem Königlich preußischen Hanse zurückgefallen ist, als sein Vaterland anerkennen. Der Begriff des Vaterlandes bezieht sich aber nicht auf einzelne Provinzen, sondern auf den ganzen Staat, dem man angehört. Das Vaterland des Ein¬ wohners des Grvßherzogtnms ist also jetzt das ganze preußische Land, und wenn Vaterlandsliebe und Vaterlandstreue in seinem Herzen wurzeln soll, muß man ihn nicht aus dem großen Vnterlande ein kleines auszeichnen." Das Ende dieser Episode war, daß Fürst Radziwill durch statthalterliches Reskript vom 8. September dem Zerbouischcn Revers das Lebenslicht ausblies. Gleichfalls im Jahre 1816 erschienen eine Kcibinetsorde (vom 20. Juni) und ein königliches Patent (vom 9. November), welche in der Provinz Posen die Gesetzgebung der nltpreußischen Landesteile einführten. Am 5. Juni 1823 folgte die Verordnung wegen Errichtung von Proviuzialsländen für die einzelnen Glieder der preußischen Monarchie. Neufchatel, welches wirklich uur durch Personalunion mit dieser verbunden war, wurde dabei ausgenommen, Posen nicht, und das vom 3. August 1824 datirte ausführende Gesetz für letztere Provinz sowie die dasselbe ergänzende Verordnung von 15. Dezember 1830 stimmen vollkommen mit den Gesetzen und Verordnungen überein, welche für die übrigen Provinzen in dieser Sache erlassen wurden. Das Gleiche wäre — ab¬ gesehen allein von der Gemeindeordnung des Jahres 1850, welche die Pfuelsche Demarkationslinie voraussetzt, die indes niemals praktische Geltung gewann — von allen spätern organischen Gesetzen Preußens zu sagen. Es genügt aber für unsern Zweck, wenn wir aus den ältern Kabinetsordres und Lcmdtags- abschieden Friedrich Wilhelms des Vierten, die in unsern Zusammenhang gehören, den Landtagsabschied vom 6. August 1841 herausgreife», worin der Monarch ganz den Standpunkt seines Vaters einnimmt, wenn er sagt: „In Übereinstimmung mit dem Inhalte der Wiener Traktate hat das Bc- sitzucchmepatcnt und der Zuruf Unsers in Gott ruhenden Herrn Vaters Majestät von 15. Mai 1815 die Einwohner der Provinz Posen der Monarchie einver¬ leibt und damit dem Charakter einer vollständigen, untrennbaren und alle Ver¬ hältnisse durchdringenden Vereinigung ausgesprochen. Das Grvßherzogtnm Posen ist eine Provinz in demselben Sinne, in derselben unbedingten Gemein¬ schaft wie alle übrigen Provinzen, die Unserm Szepter unterworfen sind. Mit dieser Stellung der Provinz Posen ist die Stellung der verschiednen Nationali¬ täten, die sie in sich schließt, ist der Gang ihrer fernern Entwicklung unver¬ rückbar vorgezeichnet. Der polnischen Nativualitcit ist durch die Wiener Trat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/447>, abgerufen am 05.02.2025.