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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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die sich so betrugen, getroffen hat/' "Ich begreife nicht, schrieb Lord Castlerecigh,
weshalb Preußen nicht auf Kosten eines Feindes entschädigt werden sollte, der
nach den Grundsätzen des Völkerrechts die Gesamtheit seiner politischen Rechte
eingebüßt hat." "Die polnische Angelegenheit, erklärte Talleyrand, ist lediglich
eine Frage der Teilung und Abgrenzung, welche die dabei interessirten Staaten
unter sich abzumachen haben." In der hierdurch bezeichneten Stimmung ging
der Wiener Kongreß an seine Arbeit, bei der es sich hauptsächlich und in
Betreff der Polen einzig und allein darum handelte, die Modalitäten zu be¬
stimmen, welche dem Weltfrieden möglichst lange Dauer verbürgten. Das Er¬
gebnis dieser Arbeit liegt hinsichtlich des frühern Polens in mehreren Artikeln
der Kongrcßhanptaktc vom 9. Juni 1815 vor uns. Es heißt da in Artikel 1:
"Die polnischen Unterthanen Rußlands, Österreichs und Preußens werden eine
Vertretung und nationale, nach der Weise der politischen Existenz geordnete
Einrichtungen erhalten, wie sie jede der Regierungen, zu denen sie gehören,
ihnen zu gewähren für nützlich und passend erachten wird." Niemand wird
mit Fug leugnen können, daß diese ganz unter das Belieben jeder einzelnen
der drei Regierungen gestellten Versprechen vonseiten der preußischen bereits
durch Einrichtung der Provinziallandtage von 1823 erfüllt worden ist. In
Artikel 2 wird das Posener Land bezeichnet als "der Teil des Herzogtums
Warschau, welchen Se. Majestät der König von Preußen in voller Souveränität
und mit vollem Eigentumsrechte für sich und seine Nachfolger unter dem Titel
Grvßherzogtum Posen besitzen wird." Der 23. Artikel lautet: "Nachdem Se.
Majestät der König von Preußen infolge des letzten Krieges wieder in den
Besitz mehrerer Provinzen und Gebiete getreten ist, die dnrch den Frieden von
Tilsit abgetreten worden waren, wird durch den gegenwärtigen Artikel anerkannt
und erklärt, daß Se. Majestät, dessen Erben und Nachfolger von neue", wie
früher (as nouveau ovinus lin p-u^viurt) in voller Souveränität und mit
vollem Eigentumsrechte die folgenden Lande besitzen werden, nämlich: den im
zweiten Artikel bezeichneten Teil seiner ehemaligen polnischen Provinzen, die
Stadt Danzig und ihr Gebiet, wie es durch den Tilsiter Vertrag bestimmt
worden ist, den Kottbnser Kreis n. s. w." Dann beginnt der vierundzwanzigste
Artikel mit den Worten: "Se. Majestät der König von Preußen wird mit seiner
Monarchie in Deutschland diesseits des Rheins vereinigen" -- folgen die be¬
treffenden neuen Gebietsteile. Polnische Logik schließt hier: wenn der König in
den alten Provinzen nur "wieder in Besitz tritt," während er die neuen Er¬
werbungen "mit seiner Monarchie vereinigt," so folgt daraus doch die reine
Personalunion. Schade nur, daß bei jenem Artikel auf das xosssäeront as
Qouvsg.u das fatale eoinniv M x"!ivMt folgt, d. h. wie vor dein Tilsiter
Frieden von 1807, vor dem sicher keine Seele von einer Personalunion geträumt
hat, und daß der Schluß des dreiundzwanzigsten Artikels ganz ausdrücklich
erklärt, daß der König die bezeichneten polnischen Gebiete "mit allen andern


die sich so betrugen, getroffen hat/' „Ich begreife nicht, schrieb Lord Castlerecigh,
weshalb Preußen nicht auf Kosten eines Feindes entschädigt werden sollte, der
nach den Grundsätzen des Völkerrechts die Gesamtheit seiner politischen Rechte
eingebüßt hat." „Die polnische Angelegenheit, erklärte Talleyrand, ist lediglich
eine Frage der Teilung und Abgrenzung, welche die dabei interessirten Staaten
unter sich abzumachen haben." In der hierdurch bezeichneten Stimmung ging
der Wiener Kongreß an seine Arbeit, bei der es sich hauptsächlich und in
Betreff der Polen einzig und allein darum handelte, die Modalitäten zu be¬
stimmen, welche dem Weltfrieden möglichst lange Dauer verbürgten. Das Er¬
gebnis dieser Arbeit liegt hinsichtlich des frühern Polens in mehreren Artikeln
der Kongrcßhanptaktc vom 9. Juni 1815 vor uns. Es heißt da in Artikel 1:
„Die polnischen Unterthanen Rußlands, Österreichs und Preußens werden eine
Vertretung und nationale, nach der Weise der politischen Existenz geordnete
Einrichtungen erhalten, wie sie jede der Regierungen, zu denen sie gehören,
ihnen zu gewähren für nützlich und passend erachten wird." Niemand wird
mit Fug leugnen können, daß diese ganz unter das Belieben jeder einzelnen
der drei Regierungen gestellten Versprechen vonseiten der preußischen bereits
durch Einrichtung der Provinziallandtage von 1823 erfüllt worden ist. In
Artikel 2 wird das Posener Land bezeichnet als „der Teil des Herzogtums
Warschau, welchen Se. Majestät der König von Preußen in voller Souveränität
und mit vollem Eigentumsrechte für sich und seine Nachfolger unter dem Titel
Grvßherzogtum Posen besitzen wird." Der 23. Artikel lautet: „Nachdem Se.
Majestät der König von Preußen infolge des letzten Krieges wieder in den
Besitz mehrerer Provinzen und Gebiete getreten ist, die dnrch den Frieden von
Tilsit abgetreten worden waren, wird durch den gegenwärtigen Artikel anerkannt
und erklärt, daß Se. Majestät, dessen Erben und Nachfolger von neue», wie
früher (as nouveau ovinus lin p-u^viurt) in voller Souveränität und mit
vollem Eigentumsrechte die folgenden Lande besitzen werden, nämlich: den im
zweiten Artikel bezeichneten Teil seiner ehemaligen polnischen Provinzen, die
Stadt Danzig und ihr Gebiet, wie es durch den Tilsiter Vertrag bestimmt
worden ist, den Kottbnser Kreis n. s. w." Dann beginnt der vierundzwanzigste
Artikel mit den Worten: „Se. Majestät der König von Preußen wird mit seiner
Monarchie in Deutschland diesseits des Rheins vereinigen" — folgen die be¬
treffenden neuen Gebietsteile. Polnische Logik schließt hier: wenn der König in
den alten Provinzen nur „wieder in Besitz tritt," während er die neuen Er¬
werbungen „mit seiner Monarchie vereinigt," so folgt daraus doch die reine
Personalunion. Schade nur, daß bei jenem Artikel auf das xosssäeront as
Qouvsg.u das fatale eoinniv M x»!ivMt folgt, d. h. wie vor dein Tilsiter
Frieden von 1807, vor dem sicher keine Seele von einer Personalunion geträumt
hat, und daß der Schluß des dreiundzwanzigsten Artikels ganz ausdrücklich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/442>, abgerufen am 05.02.2025.