Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Uonsorvcitorien und Uünstlcrprolelaricit. wahrhaft leistungsfähige, eminent musikalische Musiker gebildet würden, so Doch freilich -- soweit wir um uns sehen, soweit wir mit den Verhält¬ Übrigens wissen wir recht wohl, daß das musikalische Proletariat nicht Uonsorvcitorien und Uünstlcrprolelaricit. wahrhaft leistungsfähige, eminent musikalische Musiker gebildet würden, so Doch freilich — soweit wir um uns sehen, soweit wir mit den Verhält¬ Übrigens wissen wir recht wohl, daß das musikalische Proletariat nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197468"/> <fw type="header" place="top"> Uonsorvcitorien und Uünstlcrprolelaricit.</fw><lb/> <p xml:id="ID_104" prev="#ID_103"> wahrhaft leistungsfähige, eminent musikalische Musiker gebildet würden, so<lb/> müßten sie rasch genug eine Stellung nicht neben, sondern hoch über den angeb¬<lb/> lichen Konkurrenzanstaltcn erhalten, so könnte es nicht ausbleiben, daß wenig¬<lb/> stens an entscheidenden Stellen und in entscheidenden Fällen ihren Schülern und<lb/> Schülerinnen ein Vorzug und Vorrecht eingeräumt würde. Ja mehr als das.<lb/> Der Staat, der sich schließlich gedrungen sehen wird, gegen die Überflutung mit<lb/> einem Künstlerproletariat, in materieller und geistiger Beziehung, Dämme zu er¬<lb/> richten (es scheint uns dies nur noch eine Frage der Zeit zu sein), Hütte dann<lb/> den besten Anhalt, den stärksten Anlaß, seinen Schutz, sein Vertrauen, seine<lb/> Förderung denjenigen Konservatorien zuzuwenden, die noch jetzt, in der Zeit der<lb/> wilden Freiheit, Besinnung und ein Bewußtsein ihrer eigentlichen Aufgabe be¬<lb/> währt hätten.</p><lb/> <p xml:id="ID_105"> Doch freilich — soweit wir um uns sehen, soweit wir mit den Verhält¬<lb/> nissen vertraut sind, nehmen wir nirgend eine Möglichkeit dazu wahr. Der<lb/> Wahnsinn der Konkurrenz, die Anbetung der statistischen Zahl beherrscht alles.<lb/> Wenn die Konservatorien gezwungen wären, ihren Berichten über die Schüler-<lb/> nnd Schülerinnenzahl „252 oder 364 im Jahre 1885" den Nachweis hinzu¬<lb/> zufügen, was aus deu 150 oder 210, die ein Lustrum oder besser ein Jahr¬<lb/> zehnt zuvor an der Anstalt „gebildet" wurden, mittlerweile geworden ist, ließe<lb/> sich eher Besserung, wenigstens eine Art Besinnung bei den zahllosen Unbe¬<lb/> fähigten hoffen, die nach einer Künstlerzukunft wie die Motte nach dem Lichte<lb/> taumeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_106" next="#ID_107"> Übrigens wissen wir recht wohl, daß das musikalische Proletariat nicht<lb/> bloß dadurch anwächst, daß eine große Anzahl von jungen Männern und<lb/> Mädchen der gebildeten und halbgebildeter Stände, die sich selbständig einen<lb/> Weg in der Welt suchen und eine Existenz begründen müssen, sich gleichsam<lb/> wahllos, ohne Gewähr eigner Befähigung, der Musik in die Arme werfen und<lb/> von ihr das Unmögliche hoffen, während sie es am Möglichen fehlen lassen.<lb/> Die ärmsten Zöglinge der Konservatorien sind sehr oft noch die befähigtsten und<lb/> tragen jenen Keim in sich, der bei allen vorausgesetzt werdeu sollte, welche sich<lb/> irgendeiner Kunst widmen. Eine bedenkliche Vermehrung der vorhandnen Übel-<lb/> stände geht gleichzeitig auch von dem wachsenden Reichtum in gewissen Be¬<lb/> völkerungsklassen aus. Jener Berliner Bankier, der seinen Sohn Maler werden<lb/> läßt, „obschon er es nicht nötig hat," hat in der heutigen Gesellschaft tausend<lb/> Absenker. Die Zahl der Schriftsteller, Musiker, bildenden Künstler, die auf<lb/> einen Lohn ihres Talents, auf eine Lebensstellung und Existenz durch ihr<lb/> Talent von vornherein nicht rechnen, ist beständig im Zunehmen begriffen. Auch<lb/> hier helfen die Konservatorien das Unheil fördern. Es schmeichelt ihnen, Schüler<lb/> und Schülerinnen (in diesem Falle aber hauptsächlich Schüler) aus reichen und<lb/> repräsentirenden Familien zu erhalten, die Erinnerungen an Mendelssohn und<lb/> Meyerbeer drängen sich unwillkürlich auf, der Besorgnis um die Zukunft dieser</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
Uonsorvcitorien und Uünstlcrprolelaricit.
wahrhaft leistungsfähige, eminent musikalische Musiker gebildet würden, so
müßten sie rasch genug eine Stellung nicht neben, sondern hoch über den angeb¬
lichen Konkurrenzanstaltcn erhalten, so könnte es nicht ausbleiben, daß wenig¬
stens an entscheidenden Stellen und in entscheidenden Fällen ihren Schülern und
Schülerinnen ein Vorzug und Vorrecht eingeräumt würde. Ja mehr als das.
Der Staat, der sich schließlich gedrungen sehen wird, gegen die Überflutung mit
einem Künstlerproletariat, in materieller und geistiger Beziehung, Dämme zu er¬
richten (es scheint uns dies nur noch eine Frage der Zeit zu sein), Hütte dann
den besten Anhalt, den stärksten Anlaß, seinen Schutz, sein Vertrauen, seine
Förderung denjenigen Konservatorien zuzuwenden, die noch jetzt, in der Zeit der
wilden Freiheit, Besinnung und ein Bewußtsein ihrer eigentlichen Aufgabe be¬
währt hätten.
Doch freilich — soweit wir um uns sehen, soweit wir mit den Verhält¬
nissen vertraut sind, nehmen wir nirgend eine Möglichkeit dazu wahr. Der
Wahnsinn der Konkurrenz, die Anbetung der statistischen Zahl beherrscht alles.
Wenn die Konservatorien gezwungen wären, ihren Berichten über die Schüler-
nnd Schülerinnenzahl „252 oder 364 im Jahre 1885" den Nachweis hinzu¬
zufügen, was aus deu 150 oder 210, die ein Lustrum oder besser ein Jahr¬
zehnt zuvor an der Anstalt „gebildet" wurden, mittlerweile geworden ist, ließe
sich eher Besserung, wenigstens eine Art Besinnung bei den zahllosen Unbe¬
fähigten hoffen, die nach einer Künstlerzukunft wie die Motte nach dem Lichte
taumeln.
Übrigens wissen wir recht wohl, daß das musikalische Proletariat nicht
bloß dadurch anwächst, daß eine große Anzahl von jungen Männern und
Mädchen der gebildeten und halbgebildeter Stände, die sich selbständig einen
Weg in der Welt suchen und eine Existenz begründen müssen, sich gleichsam
wahllos, ohne Gewähr eigner Befähigung, der Musik in die Arme werfen und
von ihr das Unmögliche hoffen, während sie es am Möglichen fehlen lassen.
Die ärmsten Zöglinge der Konservatorien sind sehr oft noch die befähigtsten und
tragen jenen Keim in sich, der bei allen vorausgesetzt werdeu sollte, welche sich
irgendeiner Kunst widmen. Eine bedenkliche Vermehrung der vorhandnen Übel-
stände geht gleichzeitig auch von dem wachsenden Reichtum in gewissen Be¬
völkerungsklassen aus. Jener Berliner Bankier, der seinen Sohn Maler werden
läßt, „obschon er es nicht nötig hat," hat in der heutigen Gesellschaft tausend
Absenker. Die Zahl der Schriftsteller, Musiker, bildenden Künstler, die auf
einen Lohn ihres Talents, auf eine Lebensstellung und Existenz durch ihr
Talent von vornherein nicht rechnen, ist beständig im Zunehmen begriffen. Auch
hier helfen die Konservatorien das Unheil fördern. Es schmeichelt ihnen, Schüler
und Schülerinnen (in diesem Falle aber hauptsächlich Schüler) aus reichen und
repräsentirenden Familien zu erhalten, die Erinnerungen an Mendelssohn und
Meyerbeer drängen sich unwillkürlich auf, der Besorgnis um die Zukunft dieser
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