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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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das "Volk," dessen Rechte sie mit allen Mitteln illusorisch machen, dem sie
Nationalität, Sprache, Religion rauben wollen, sich seiner "Herren" entledigen
würde. Und wenn heute der Pole bei den Deutschen so verhaßt ist, wie er
einst beliebt war, so trügt er und niemand sonst die Schuld.

Bei dein Deutschösterreichcr ist die Neigung zur Sentimentalität in der
Politik ganz besonders stark entwickelt. Er hat für die polnischen Freiheits¬
helden geschwärmt bis ans Mieroslawski, Tyssvwski, ja selbst bis auf Langiewicz
und seine Adjutantin Pustowojtvff hinab, und es immer noch entschuldigt, wenn
im Exil die berühmte Ritterlichkeit der verschiednen Diktatoren, Generale u. s. w.
so aussah, wie sie Heine geschildert hat. Aber endlich, spät, doch hoffentlich
noch nicht zu spät, sind den Deutsche" die Auge" aufgegangen -- wenigstens
einem großen Teile derselben. Sie wollen so frei sein, deutsch zu sein. Dafür
werden sie nicht nur von den Slaven verketzert. Während die deutsche Partei
rückhaltlos dem Auftreten des deutschen Kanzlers gegen den gemeinsamen Feind
Beifall spendete, drehten und wandten sich die Auchdentschen in mitleiderregender
Weise. Innerlich freuten sie sich wohl von Herzen, insgeheim gaben sie sich
der Hoffnung hin, daß die Kriegserklärung gegen das preußische Polentum das
Ministerium Tcmffe hinwegfegen werde. Doch laut billigen durften sie unmöglich
eine Politik, welche von den großen Fortschrittspolitikern in Berlin verurteilt
wird, und überdies befinden sich unter den Polen bekanntlich so viele Juden,
denen das Geschäft zu stören die größte Inhumanität ist! So besprachen
sie denn


Mit unterdrückter Freude, so zu sagen
Mit einem heitern, einem nassen Aug',
Mit Lcichcnjubel und mit Hochzeitklage,
In gleichen Schalen wagend Leid und Lust

die staatsmännische Grausamkeit, welche dazu gut sein sollte, zu beweisen, daß
das deutsche Bündnis eine Änderung unsrer innern Politik zur Notwendigkeit
mache. Wenn es dazu nicht gut ist, wozu ist es dann überhaupt da? fragen
vor allem diejenigen, welche eigentlich die Ereignisse von 1866 und 1871 noch
immer nicht anerkannt haben.

Manchmal könnte man vergessen, daß solche gefährliche Menschen noch
unter uns weilen, allein sie melden sich von Zeit zu Zeit. So wollte der
Zufall, daß kurz vor der Polendebatte an ein und demselben Tage zwei Kund¬
gebungen erschienen, welche den tiefen Zwiespalt unter den Deutschösterreichern
viel deutlicher offenbarten, als der Zwist zwischen dem deutschen und dem deutsch-
österreichischen Klub des Abgeordnetenhauses wegen der Bismarckschen Reden.
In Graz hatte ein jüngerer Abgeordneter eine Rede gehalten, welche nationale
Gesinnung als erste und letzte Forderung aufstellt und welche nicht bloß
freundschaftliche und kündbare Verbindung Österreichs mit dem deutschen Reiche
als Lebensbedingung für den erstem Staat bezeichnet. Und gleichzeitig mit dem


Grenzboten 1. 183". 54

das „Volk," dessen Rechte sie mit allen Mitteln illusorisch machen, dem sie
Nationalität, Sprache, Religion rauben wollen, sich seiner „Herren" entledigen
würde. Und wenn heute der Pole bei den Deutschen so verhaßt ist, wie er
einst beliebt war, so trügt er und niemand sonst die Schuld.

Bei dein Deutschösterreichcr ist die Neigung zur Sentimentalität in der
Politik ganz besonders stark entwickelt. Er hat für die polnischen Freiheits¬
helden geschwärmt bis ans Mieroslawski, Tyssvwski, ja selbst bis auf Langiewicz
und seine Adjutantin Pustowojtvff hinab, und es immer noch entschuldigt, wenn
im Exil die berühmte Ritterlichkeit der verschiednen Diktatoren, Generale u. s. w.
so aussah, wie sie Heine geschildert hat. Aber endlich, spät, doch hoffentlich
noch nicht zu spät, sind den Deutsche» die Auge» aufgegangen — wenigstens
einem großen Teile derselben. Sie wollen so frei sein, deutsch zu sein. Dafür
werden sie nicht nur von den Slaven verketzert. Während die deutsche Partei
rückhaltlos dem Auftreten des deutschen Kanzlers gegen den gemeinsamen Feind
Beifall spendete, drehten und wandten sich die Auchdentschen in mitleiderregender
Weise. Innerlich freuten sie sich wohl von Herzen, insgeheim gaben sie sich
der Hoffnung hin, daß die Kriegserklärung gegen das preußische Polentum das
Ministerium Tcmffe hinwegfegen werde. Doch laut billigen durften sie unmöglich
eine Politik, welche von den großen Fortschrittspolitikern in Berlin verurteilt
wird, und überdies befinden sich unter den Polen bekanntlich so viele Juden,
denen das Geschäft zu stören die größte Inhumanität ist! So besprachen
sie denn


Mit unterdrückter Freude, so zu sagen
Mit einem heitern, einem nassen Aug',
Mit Lcichcnjubel und mit Hochzeitklage,
In gleichen Schalen wagend Leid und Lust

die staatsmännische Grausamkeit, welche dazu gut sein sollte, zu beweisen, daß
das deutsche Bündnis eine Änderung unsrer innern Politik zur Notwendigkeit
mache. Wenn es dazu nicht gut ist, wozu ist es dann überhaupt da? fragen
vor allem diejenigen, welche eigentlich die Ereignisse von 1866 und 1871 noch
immer nicht anerkannt haben.

Manchmal könnte man vergessen, daß solche gefährliche Menschen noch
unter uns weilen, allein sie melden sich von Zeit zu Zeit. So wollte der
Zufall, daß kurz vor der Polendebatte an ein und demselben Tage zwei Kund¬
gebungen erschienen, welche den tiefen Zwiespalt unter den Deutschösterreichern
viel deutlicher offenbarten, als der Zwist zwischen dem deutschen und dem deutsch-
österreichischen Klub des Abgeordnetenhauses wegen der Bismarckschen Reden.
In Graz hatte ein jüngerer Abgeordneter eine Rede gehalten, welche nationale
Gesinnung als erste und letzte Forderung aufstellt und welche nicht bloß
freundschaftliche und kündbare Verbindung Österreichs mit dem deutschen Reiche
als Lebensbedingung für den erstem Staat bezeichnet. Und gleichzeitig mit dem


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[0433] das „Volk," dessen Rechte sie mit allen Mitteln illusorisch machen, dem sie Nationalität, Sprache, Religion rauben wollen, sich seiner „Herren" entledigen würde. Und wenn heute der Pole bei den Deutschen so verhaßt ist, wie er einst beliebt war, so trügt er und niemand sonst die Schuld. Bei dein Deutschösterreichcr ist die Neigung zur Sentimentalität in der Politik ganz besonders stark entwickelt. Er hat für die polnischen Freiheits¬ helden geschwärmt bis ans Mieroslawski, Tyssvwski, ja selbst bis auf Langiewicz und seine Adjutantin Pustowojtvff hinab, und es immer noch entschuldigt, wenn im Exil die berühmte Ritterlichkeit der verschiednen Diktatoren, Generale u. s. w. so aussah, wie sie Heine geschildert hat. Aber endlich, spät, doch hoffentlich noch nicht zu spät, sind den Deutsche» die Auge» aufgegangen — wenigstens einem großen Teile derselben. Sie wollen so frei sein, deutsch zu sein. Dafür werden sie nicht nur von den Slaven verketzert. Während die deutsche Partei rückhaltlos dem Auftreten des deutschen Kanzlers gegen den gemeinsamen Feind Beifall spendete, drehten und wandten sich die Auchdentschen in mitleiderregender Weise. Innerlich freuten sie sich wohl von Herzen, insgeheim gaben sie sich der Hoffnung hin, daß die Kriegserklärung gegen das preußische Polentum das Ministerium Tcmffe hinwegfegen werde. Doch laut billigen durften sie unmöglich eine Politik, welche von den großen Fortschrittspolitikern in Berlin verurteilt wird, und überdies befinden sich unter den Polen bekanntlich so viele Juden, denen das Geschäft zu stören die größte Inhumanität ist! So besprachen sie denn Mit unterdrückter Freude, so zu sagen Mit einem heitern, einem nassen Aug', Mit Lcichcnjubel und mit Hochzeitklage, In gleichen Schalen wagend Leid und Lust die staatsmännische Grausamkeit, welche dazu gut sein sollte, zu beweisen, daß das deutsche Bündnis eine Änderung unsrer innern Politik zur Notwendigkeit mache. Wenn es dazu nicht gut ist, wozu ist es dann überhaupt da? fragen vor allem diejenigen, welche eigentlich die Ereignisse von 1866 und 1871 noch immer nicht anerkannt haben. Manchmal könnte man vergessen, daß solche gefährliche Menschen noch unter uns weilen, allein sie melden sich von Zeit zu Zeit. So wollte der Zufall, daß kurz vor der Polendebatte an ein und demselben Tage zwei Kund¬ gebungen erschienen, welche den tiefen Zwiespalt unter den Deutschösterreichern viel deutlicher offenbarten, als der Zwist zwischen dem deutschen und dem deutsch- österreichischen Klub des Abgeordnetenhauses wegen der Bismarckschen Reden. In Graz hatte ein jüngerer Abgeordneter eine Rede gehalten, welche nationale Gesinnung als erste und letzte Forderung aufstellt und welche nicht bloß freundschaftliche und kündbare Verbindung Österreichs mit dem deutschen Reiche als Lebensbedingung für den erstem Staat bezeichnet. Und gleichzeitig mit dem Grenzboten 1. 183«. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/433>, abgerufen am 05.02.2025.