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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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hafte Freunde unter den Großmächten, und allein vermag sie nichts, Sie ist
geographisch und politisch eine Unmöglichkeit, Höchstens kann es einmal unter
Umständen, die günstiger sind als die gegenwärtigen, zu eiuer mäßigen Ver¬
größerung des Königreiches um ein paar Quadratmeilen Landes im Norden,
um .Kreta und einige Sporaden im Süden, niemals aber, soweit menschliche
Berechnung reicht, zu einem Staate kommen, der die gesamte Diaspora der
einzelnen hellenischen Gemeinden Europas und Kleinasiens oder auch nur die
am dichtesten aneinander gereihten Gruppen derselben in sich begriffe.

Sehen wir zu, was für Erfolge die großgricchische Idee in den letzten
Jahrzehnten gegenüber der Türkei und den Großmächten aufzuweisen hatte, als
die Träger dieser Idee an die Gewalt cippellirten. Schon vor dem Krimkriege
regten sich Vergrößerungsgelüste in Zeitungen und Schriften, die an sich nicht
unbegreiflich waren, da der Londoner Vertrag dem neuen Königreiche zu enge
Grenzen gezogen hatte, die aber sofort ins Maßlose gingen, indem dabei Kon-
stantinopel fortwährend als Mittelpunkt der hellenischen Nationalität bezeichnet
wurde. Während des Krimkrieges verpflanzten sich diese Gelüste vom Papier
in Volksversammlungen und selbst in den Rat des Königs. Russische Agenten
regten zum Kampfe mit den Türken auf. In den nördlichen Nachbarbezirken
wurden Aufstände versucht, in Athen kam es zu stürmischen Auftritten. Halb
gezwungen schickte sich der König an, den Forderungen der Parteiführer, die
Gelegenheit zur Wiederaufrichtung des Reiches von Byzanz zu benutzen, nach¬
zugeben und dnrch einen Krieg mit der Pforte in dieser Richtung sein Glück zu
versuche". Es wurde nach Kräften gerüstet. Aber die Sache nahm schleunig
ein Ende. Jene Aufstände wurden rasch niedergeschlagen, und die hellenische
Armee blieb zu Hause. Die Westmächte litten die Heldenthaten nicht, die sie
sich ohne Zweifel zu verrichten vorgenommen hatte. Ein englisch-französisches
Geschwader traf im Piräus ein, einige Tage nachher, am 26. Mai 1854, wurden
einige französische Regimenter ausgeschifft, und in wenigen Stunden war die
Ruhe wiederhergestellt, sodaß von weiterer Gefahr für das türkische Thessalien
und Epirus uicht mehr die Rede sein konnte. Nun folgten sechs ruhige Jahre,
die der Wohlfahrt des Landes zu Gute kamen, aber die großgricchischen Vellei-
täten nicht vergessen ließen. Man hatte etwas von der Unterstützung der West¬
mächte dnrch Absendung eines italienischen Hilfskorps während des Krimkrieges
lernen zu müssen geglaubt, aber den Satz vergessen: Wenn zwei dasselbe
thun, so ist es nicht dasselbe, und so erbot sich die Regierung in Athen, als
Frankreich 1860 in seiner Rolle als Vormund und Beschützer der Katholiken
im Orient die Expedition für die Maroniten im Libanon unternahm, ein Kon¬
tingent zu diesem Kreuzzuge zu stellen, während zu gleicher Zeit der Oberst
Karatasso Freiwillige zur Befreiung Mazedoniens vom Türkenjoche aufrief.
Das Anerbieten wurde abgelehnt, und der Aufruf des tapfern Obersten ver¬
hallte ohne Folgen. Im Oktober 1862 wurde König Otto Vertrieben, großen-


hafte Freunde unter den Großmächten, und allein vermag sie nichts, Sie ist
geographisch und politisch eine Unmöglichkeit, Höchstens kann es einmal unter
Umständen, die günstiger sind als die gegenwärtigen, zu eiuer mäßigen Ver¬
größerung des Königreiches um ein paar Quadratmeilen Landes im Norden,
um .Kreta und einige Sporaden im Süden, niemals aber, soweit menschliche
Berechnung reicht, zu einem Staate kommen, der die gesamte Diaspora der
einzelnen hellenischen Gemeinden Europas und Kleinasiens oder auch nur die
am dichtesten aneinander gereihten Gruppen derselben in sich begriffe.

Sehen wir zu, was für Erfolge die großgricchische Idee in den letzten
Jahrzehnten gegenüber der Türkei und den Großmächten aufzuweisen hatte, als
die Träger dieser Idee an die Gewalt cippellirten. Schon vor dem Krimkriege
regten sich Vergrößerungsgelüste in Zeitungen und Schriften, die an sich nicht
unbegreiflich waren, da der Londoner Vertrag dem neuen Königreiche zu enge
Grenzen gezogen hatte, die aber sofort ins Maßlose gingen, indem dabei Kon-
stantinopel fortwährend als Mittelpunkt der hellenischen Nationalität bezeichnet
wurde. Während des Krimkrieges verpflanzten sich diese Gelüste vom Papier
in Volksversammlungen und selbst in den Rat des Königs. Russische Agenten
regten zum Kampfe mit den Türken auf. In den nördlichen Nachbarbezirken
wurden Aufstände versucht, in Athen kam es zu stürmischen Auftritten. Halb
gezwungen schickte sich der König an, den Forderungen der Parteiführer, die
Gelegenheit zur Wiederaufrichtung des Reiches von Byzanz zu benutzen, nach¬
zugeben und dnrch einen Krieg mit der Pforte in dieser Richtung sein Glück zu
versuche«. Es wurde nach Kräften gerüstet. Aber die Sache nahm schleunig
ein Ende. Jene Aufstände wurden rasch niedergeschlagen, und die hellenische
Armee blieb zu Hause. Die Westmächte litten die Heldenthaten nicht, die sie
sich ohne Zweifel zu verrichten vorgenommen hatte. Ein englisch-französisches
Geschwader traf im Piräus ein, einige Tage nachher, am 26. Mai 1854, wurden
einige französische Regimenter ausgeschifft, und in wenigen Stunden war die
Ruhe wiederhergestellt, sodaß von weiterer Gefahr für das türkische Thessalien
und Epirus uicht mehr die Rede sein konnte. Nun folgten sechs ruhige Jahre,
die der Wohlfahrt des Landes zu Gute kamen, aber die großgricchischen Vellei-
täten nicht vergessen ließen. Man hatte etwas von der Unterstützung der West¬
mächte dnrch Absendung eines italienischen Hilfskorps während des Krimkrieges
lernen zu müssen geglaubt, aber den Satz vergessen: Wenn zwei dasselbe
thun, so ist es nicht dasselbe, und so erbot sich die Regierung in Athen, als
Frankreich 1860 in seiner Rolle als Vormund und Beschützer der Katholiken
im Orient die Expedition für die Maroniten im Libanon unternahm, ein Kon¬
tingent zu diesem Kreuzzuge zu stellen, während zu gleicher Zeit der Oberst
Karatasso Freiwillige zur Befreiung Mazedoniens vom Türkenjoche aufrief.
Das Anerbieten wurde abgelehnt, und der Aufruf des tapfern Obersten ver¬
hallte ohne Folgen. Im Oktober 1862 wurde König Otto Vertrieben, großen-


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[0429] hafte Freunde unter den Großmächten, und allein vermag sie nichts, Sie ist geographisch und politisch eine Unmöglichkeit, Höchstens kann es einmal unter Umständen, die günstiger sind als die gegenwärtigen, zu eiuer mäßigen Ver¬ größerung des Königreiches um ein paar Quadratmeilen Landes im Norden, um .Kreta und einige Sporaden im Süden, niemals aber, soweit menschliche Berechnung reicht, zu einem Staate kommen, der die gesamte Diaspora der einzelnen hellenischen Gemeinden Europas und Kleinasiens oder auch nur die am dichtesten aneinander gereihten Gruppen derselben in sich begriffe. Sehen wir zu, was für Erfolge die großgricchische Idee in den letzten Jahrzehnten gegenüber der Türkei und den Großmächten aufzuweisen hatte, als die Träger dieser Idee an die Gewalt cippellirten. Schon vor dem Krimkriege regten sich Vergrößerungsgelüste in Zeitungen und Schriften, die an sich nicht unbegreiflich waren, da der Londoner Vertrag dem neuen Königreiche zu enge Grenzen gezogen hatte, die aber sofort ins Maßlose gingen, indem dabei Kon- stantinopel fortwährend als Mittelpunkt der hellenischen Nationalität bezeichnet wurde. Während des Krimkrieges verpflanzten sich diese Gelüste vom Papier in Volksversammlungen und selbst in den Rat des Königs. Russische Agenten regten zum Kampfe mit den Türken auf. In den nördlichen Nachbarbezirken wurden Aufstände versucht, in Athen kam es zu stürmischen Auftritten. Halb gezwungen schickte sich der König an, den Forderungen der Parteiführer, die Gelegenheit zur Wiederaufrichtung des Reiches von Byzanz zu benutzen, nach¬ zugeben und dnrch einen Krieg mit der Pforte in dieser Richtung sein Glück zu versuche«. Es wurde nach Kräften gerüstet. Aber die Sache nahm schleunig ein Ende. Jene Aufstände wurden rasch niedergeschlagen, und die hellenische Armee blieb zu Hause. Die Westmächte litten die Heldenthaten nicht, die sie sich ohne Zweifel zu verrichten vorgenommen hatte. Ein englisch-französisches Geschwader traf im Piräus ein, einige Tage nachher, am 26. Mai 1854, wurden einige französische Regimenter ausgeschifft, und in wenigen Stunden war die Ruhe wiederhergestellt, sodaß von weiterer Gefahr für das türkische Thessalien und Epirus uicht mehr die Rede sein konnte. Nun folgten sechs ruhige Jahre, die der Wohlfahrt des Landes zu Gute kamen, aber die großgricchischen Vellei- täten nicht vergessen ließen. Man hatte etwas von der Unterstützung der West¬ mächte dnrch Absendung eines italienischen Hilfskorps während des Krimkrieges lernen zu müssen geglaubt, aber den Satz vergessen: Wenn zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe, und so erbot sich die Regierung in Athen, als Frankreich 1860 in seiner Rolle als Vormund und Beschützer der Katholiken im Orient die Expedition für die Maroniten im Libanon unternahm, ein Kon¬ tingent zu diesem Kreuzzuge zu stellen, während zu gleicher Zeit der Oberst Karatasso Freiwillige zur Befreiung Mazedoniens vom Türkenjoche aufrief. Das Anerbieten wurde abgelehnt, und der Aufruf des tapfern Obersten ver¬ hallte ohne Folgen. Im Oktober 1862 wurde König Otto Vertrieben, großen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/429>, abgerufen am 05.02.2025.