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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Olymp liegt, und geht dann weiter, am albanesischen Sprachgebiet entlang, bis
sie sich nordwärts in serbischen Strichen verliert. Allerdings bewohnen die
Bulgaren diese Gegenden nicht allein, sondern zusammen mit Zinzaren oder
Machen, Türken, Griechen und Juden, aber die Bulgaren überwiegen hier der¬
maßen, daß ihre Sprache in der Regel auch von den Zinzaren erlernt wird.
Die letztern bilden nach jenen das stärkste Element der Bevölkerung; ihr Hauptsitz
ist die große Ebne auf der linken Seite des untern Strumaslusses (des Strhmon
der Alten), wo sie über hundert Dörfer einnehmen. Griechen giebt es in starker
Anzahl fast nur an den Punkten Mazedoniens, wo im Altertum hellenische
Kolonien waren, wie Amphion, Eion, Neapolis, Potidäa, Abdera und haupt¬
sächlich an der Straße von Salonik nach dem Berge Athos. Die noch jetzt
rein griechische Halbinsel Chalkidike heißt heutigentages wie im frühen Mittel¬
alter Mndenochvria, Bergwerksdörfer. In der Ebene von serez begegnet man
neben Hunderten von Zinzaren- und Bulgnreudörfen kaum zwanzig griechischen.
Türkische Dörfer trifft man auf den Ebnen von serez und Drama (Philippi)
bei Tuzlukjöi, Xanthi, Jenidsche und Kjörmürdschina. Neben denselben aber
wohnen zahlreiche muhammedanische Bulgaren, und auf dem Rhodopegcbirge
haust der vollständig sich zum Islam bckeuuende slawische Pomakenstamm. Die
Bulgaren Mazedoniens sind wie ihre Stammgenossen in Ostrumelien meist
Feldarbeiter und Gärtner, und wenn sie sich in den Städten dem Handwerke
zuwendeten, verloren sie gewöhnlich bald ihre Nationalität, d. h. sie lernten
Griechisch sprechen und schlössen sich der griechischen Zunft in den betreffenden
Orten an. Daneben machte früher die griechische Kirche dnrch ihren Gottes¬
dienst und ihre- Schulen unter den Bulgaren Mazedoniens, die ohne alle
nationalen Vilduugsmittel waren, für das Hellenentum erfolgreich Propaganda.
Das ist aber seit etwa zwei Jahrzehnten und namentlich seit der Emanzipation
der bulgarischen Kirche von der Herrschaft des griechischen Patriarchats im
Fmmr von Konsiantinopel wesentlich anders geworden. Die Bulgaren besitzen
jetzt Bischöfe und Popen ihrer Nationalität und vielfach auch Schulmeister, die
nicht direkt oder indirekt für die großgricchische Idee wirken. Die letztere findet
hier jetzt weit weniger Anknüpfungspunkte als früher.

Die Befreiung der Bulgaren von der Herrschaft der griechischen Geist¬
lichkeit, die im Patriarchen von Konsiantinopel ihre Spitze hat, war nicht die
erste, aber die folgenreichste Maßregel zur Eindämmung der grvßgriechischcn
Idee auf der Valkanhalbinsel. Sie wurde Ursache, daß sich der Propaganda
des Hellenentums, für welche der stärkste Slawenstamm der europäischen Türkei
bisher nur Material gewesen war, allmählich eine Nationalität gegenüberstellte,
welche die griechische Sprache und Kultur abwies, weil sie eignen geistigen
Besitz gewonnen hatte oder zu gewinnen im Begriffe war. Dieser Damm war
von der russischen Diplomatie aufgeführt worden. Demselben folgte 1878 in
der Schöpfung Bulgariens nud Ostrumelicns ein zweiter und in der spätern


Olymp liegt, und geht dann weiter, am albanesischen Sprachgebiet entlang, bis
sie sich nordwärts in serbischen Strichen verliert. Allerdings bewohnen die
Bulgaren diese Gegenden nicht allein, sondern zusammen mit Zinzaren oder
Machen, Türken, Griechen und Juden, aber die Bulgaren überwiegen hier der¬
maßen, daß ihre Sprache in der Regel auch von den Zinzaren erlernt wird.
Die letztern bilden nach jenen das stärkste Element der Bevölkerung; ihr Hauptsitz
ist die große Ebne auf der linken Seite des untern Strumaslusses (des Strhmon
der Alten), wo sie über hundert Dörfer einnehmen. Griechen giebt es in starker
Anzahl fast nur an den Punkten Mazedoniens, wo im Altertum hellenische
Kolonien waren, wie Amphion, Eion, Neapolis, Potidäa, Abdera und haupt¬
sächlich an der Straße von Salonik nach dem Berge Athos. Die noch jetzt
rein griechische Halbinsel Chalkidike heißt heutigentages wie im frühen Mittel¬
alter Mndenochvria, Bergwerksdörfer. In der Ebene von serez begegnet man
neben Hunderten von Zinzaren- und Bulgnreudörfen kaum zwanzig griechischen.
Türkische Dörfer trifft man auf den Ebnen von serez und Drama (Philippi)
bei Tuzlukjöi, Xanthi, Jenidsche und Kjörmürdschina. Neben denselben aber
wohnen zahlreiche muhammedanische Bulgaren, und auf dem Rhodopegcbirge
haust der vollständig sich zum Islam bckeuuende slawische Pomakenstamm. Die
Bulgaren Mazedoniens sind wie ihre Stammgenossen in Ostrumelien meist
Feldarbeiter und Gärtner, und wenn sie sich in den Städten dem Handwerke
zuwendeten, verloren sie gewöhnlich bald ihre Nationalität, d. h. sie lernten
Griechisch sprechen und schlössen sich der griechischen Zunft in den betreffenden
Orten an. Daneben machte früher die griechische Kirche dnrch ihren Gottes¬
dienst und ihre- Schulen unter den Bulgaren Mazedoniens, die ohne alle
nationalen Vilduugsmittel waren, für das Hellenentum erfolgreich Propaganda.
Das ist aber seit etwa zwei Jahrzehnten und namentlich seit der Emanzipation
der bulgarischen Kirche von der Herrschaft des griechischen Patriarchats im
Fmmr von Konsiantinopel wesentlich anders geworden. Die Bulgaren besitzen
jetzt Bischöfe und Popen ihrer Nationalität und vielfach auch Schulmeister, die
nicht direkt oder indirekt für die großgricchische Idee wirken. Die letztere findet
hier jetzt weit weniger Anknüpfungspunkte als früher.

Die Befreiung der Bulgaren von der Herrschaft der griechischen Geist¬
lichkeit, die im Patriarchen von Konsiantinopel ihre Spitze hat, war nicht die
erste, aber die folgenreichste Maßregel zur Eindämmung der grvßgriechischcn
Idee auf der Valkanhalbinsel. Sie wurde Ursache, daß sich der Propaganda
des Hellenentums, für welche der stärkste Slawenstamm der europäischen Türkei
bisher nur Material gewesen war, allmählich eine Nationalität gegenüberstellte,
welche die griechische Sprache und Kultur abwies, weil sie eignen geistigen
Besitz gewonnen hatte oder zu gewinnen im Begriffe war. Dieser Damm war
von der russischen Diplomatie aufgeführt worden. Demselben folgte 1878 in
der Schöpfung Bulgariens nud Ostrumelicns ein zweiter und in der spätern


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[0427] Olymp liegt, und geht dann weiter, am albanesischen Sprachgebiet entlang, bis sie sich nordwärts in serbischen Strichen verliert. Allerdings bewohnen die Bulgaren diese Gegenden nicht allein, sondern zusammen mit Zinzaren oder Machen, Türken, Griechen und Juden, aber die Bulgaren überwiegen hier der¬ maßen, daß ihre Sprache in der Regel auch von den Zinzaren erlernt wird. Die letztern bilden nach jenen das stärkste Element der Bevölkerung; ihr Hauptsitz ist die große Ebne auf der linken Seite des untern Strumaslusses (des Strhmon der Alten), wo sie über hundert Dörfer einnehmen. Griechen giebt es in starker Anzahl fast nur an den Punkten Mazedoniens, wo im Altertum hellenische Kolonien waren, wie Amphion, Eion, Neapolis, Potidäa, Abdera und haupt¬ sächlich an der Straße von Salonik nach dem Berge Athos. Die noch jetzt rein griechische Halbinsel Chalkidike heißt heutigentages wie im frühen Mittel¬ alter Mndenochvria, Bergwerksdörfer. In der Ebene von serez begegnet man neben Hunderten von Zinzaren- und Bulgnreudörfen kaum zwanzig griechischen. Türkische Dörfer trifft man auf den Ebnen von serez und Drama (Philippi) bei Tuzlukjöi, Xanthi, Jenidsche und Kjörmürdschina. Neben denselben aber wohnen zahlreiche muhammedanische Bulgaren, und auf dem Rhodopegcbirge haust der vollständig sich zum Islam bckeuuende slawische Pomakenstamm. Die Bulgaren Mazedoniens sind wie ihre Stammgenossen in Ostrumelien meist Feldarbeiter und Gärtner, und wenn sie sich in den Städten dem Handwerke zuwendeten, verloren sie gewöhnlich bald ihre Nationalität, d. h. sie lernten Griechisch sprechen und schlössen sich der griechischen Zunft in den betreffenden Orten an. Daneben machte früher die griechische Kirche dnrch ihren Gottes¬ dienst und ihre- Schulen unter den Bulgaren Mazedoniens, die ohne alle nationalen Vilduugsmittel waren, für das Hellenentum erfolgreich Propaganda. Das ist aber seit etwa zwei Jahrzehnten und namentlich seit der Emanzipation der bulgarischen Kirche von der Herrschaft des griechischen Patriarchats im Fmmr von Konsiantinopel wesentlich anders geworden. Die Bulgaren besitzen jetzt Bischöfe und Popen ihrer Nationalität und vielfach auch Schulmeister, die nicht direkt oder indirekt für die großgricchische Idee wirken. Die letztere findet hier jetzt weit weniger Anknüpfungspunkte als früher. Die Befreiung der Bulgaren von der Herrschaft der griechischen Geist¬ lichkeit, die im Patriarchen von Konsiantinopel ihre Spitze hat, war nicht die erste, aber die folgenreichste Maßregel zur Eindämmung der grvßgriechischcn Idee auf der Valkanhalbinsel. Sie wurde Ursache, daß sich der Propaganda des Hellenentums, für welche der stärkste Slawenstamm der europäischen Türkei bisher nur Material gewesen war, allmählich eine Nationalität gegenüberstellte, welche die griechische Sprache und Kultur abwies, weil sie eignen geistigen Besitz gewonnen hatte oder zu gewinnen im Begriffe war. Dieser Damm war von der russischen Diplomatie aufgeführt worden. Demselben folgte 1878 in der Schöpfung Bulgariens nud Ostrumelicns ein zweiter und in der spätern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/427>, abgerufen am 05.02.2025.