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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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lieben Wohlwollens erfreuen sich die Griechen gewiß auch bei andern deutschen
Professoren sowie bei englischen und französischen Gelehrten, Aber im großen
und ganzen ist der Philhellenismus längst aus der Mode gekommen wie die
Begeisterung für das Polentum und seine staatliche Auferstehung, und wenn
man in Athen jetzt zu drohen und zu trotzen fortfährt, so wird es sicher kaum
einem von hundert Zuschauern heroisch vorkommen, wahrscheinlich aber allen
übrigen sehr thöricht, wo nicht lächerlich.

Die Griechen sind sonst kluge Leute, und so sollten sie begriffen haben,
daß ihr Staat mit seinen kaum zwei Millionen Einwohnern gegen die Mächte,
die entschlossen sind, sie am Losschlagen zu hindern, nichts vermag; auch darf
man vermuten, daß sie schon die türkische Grenze überschritten hätten, wenn sie
überhaupt loszuschlagen entschlossen wären. Die Regierung handelte unter dem
Banne der großgriechischcn Idee, sie hat Geister gerufen, die sie nun uicht gut
los werdeu kann, sodaß ihr die Mächte davonhclfen müssen. Jene Idee, die
Hoffnung und das Bestreben, alle auf der Balkanhalbinsel und an den Küsten
Kleinasiens lebenden Glieder , des hellenischen Volksstammes wie bisher sprachlich
und durch Religion und Sitte, allmählich anch staatlich zu vereinigen, hat eine
gewisse Berechtigung, ihrer Verwirklichung stehen aber vielleicht für immer,
namentlich aber gegenwärtig mehr Hindernisse im Wege, als sie Kräfte zur
Verfügung hat. Die griechische Rasse ist seit geraumer Zeit durch ein gemein¬
sames Kulturleben, das auch Nachbarn fremden Stammes in seinen Kreis ge¬
zogen hat, verbunden, sie wohnt aber zu zerstreut, um leicht eiuen hellenischen
Staat von erheblich größerer Ausdehnung als das jetzige Hellas zu bilden,
selbst wenn die Umstände sonst einmal günstiger dafür würden als heutzutage.
Scheu wir von den Inseln, den kleinasiatischen und den am europäische" Rande
des Schwarzen Meeres gelegenen Küstenstrichen sowie von Konstantinopel mit
seinen 500 000 Griechen ub und beschränken wir uns auf Mazedonien, das
Herr Virchow den von Athen aus regierten Griechen zugesteckt, so begegnen
wir hier bei weitem mehr andern als griechischen Stämmen. Von Salonik
aus erstreckt sich nordwärts über Kailasas, Doriaua und Pedritsch nach dem
Fuße des Peringebirges, wo Mclenik liegt, eine langgedehnte Kette bulgarischer
Niederlassungen. Zahlreiche Bulgaren wohnen ferner östlich von dieser Linie
aus der vor den Rhodopebergen liegenden Ebne bis nach Demirhissar (bulgarisch
Walvwischte) und serez, ferner nach Tuzlukjöi und im Osten des Flusses
Karassu ans den von der Rhodope gegen das Ägcische Meer vorgeschobnen
Gestadelandschaften mit den großen Orten Kjörmnrdschina und Malri bis nach
Fern, wo das Gebirge sich nach der See hin verlauft. Westlich von Salonik
zieht sich die bulgarische Sprachgrenze, etwa dem Laufe des Bistritzaflusses
folgend, der die natürliche Scheidung zwischen Thessalien und Mazedonien bildet,
bis zur mazedonischen Stadt Kozan, wo sie jenen Fluß überschreitet, um auf
dessen Südufer die Stadt Serwio einzuschließen, die in den Vorbergen des


lieben Wohlwollens erfreuen sich die Griechen gewiß auch bei andern deutschen
Professoren sowie bei englischen und französischen Gelehrten, Aber im großen
und ganzen ist der Philhellenismus längst aus der Mode gekommen wie die
Begeisterung für das Polentum und seine staatliche Auferstehung, und wenn
man in Athen jetzt zu drohen und zu trotzen fortfährt, so wird es sicher kaum
einem von hundert Zuschauern heroisch vorkommen, wahrscheinlich aber allen
übrigen sehr thöricht, wo nicht lächerlich.

Die Griechen sind sonst kluge Leute, und so sollten sie begriffen haben,
daß ihr Staat mit seinen kaum zwei Millionen Einwohnern gegen die Mächte,
die entschlossen sind, sie am Losschlagen zu hindern, nichts vermag; auch darf
man vermuten, daß sie schon die türkische Grenze überschritten hätten, wenn sie
überhaupt loszuschlagen entschlossen wären. Die Regierung handelte unter dem
Banne der großgriechischcn Idee, sie hat Geister gerufen, die sie nun uicht gut
los werdeu kann, sodaß ihr die Mächte davonhclfen müssen. Jene Idee, die
Hoffnung und das Bestreben, alle auf der Balkanhalbinsel und an den Küsten
Kleinasiens lebenden Glieder , des hellenischen Volksstammes wie bisher sprachlich
und durch Religion und Sitte, allmählich anch staatlich zu vereinigen, hat eine
gewisse Berechtigung, ihrer Verwirklichung stehen aber vielleicht für immer,
namentlich aber gegenwärtig mehr Hindernisse im Wege, als sie Kräfte zur
Verfügung hat. Die griechische Rasse ist seit geraumer Zeit durch ein gemein¬
sames Kulturleben, das auch Nachbarn fremden Stammes in seinen Kreis ge¬
zogen hat, verbunden, sie wohnt aber zu zerstreut, um leicht eiuen hellenischen
Staat von erheblich größerer Ausdehnung als das jetzige Hellas zu bilden,
selbst wenn die Umstände sonst einmal günstiger dafür würden als heutzutage.
Scheu wir von den Inseln, den kleinasiatischen und den am europäische» Rande
des Schwarzen Meeres gelegenen Küstenstrichen sowie von Konstantinopel mit
seinen 500 000 Griechen ub und beschränken wir uns auf Mazedonien, das
Herr Virchow den von Athen aus regierten Griechen zugesteckt, so begegnen
wir hier bei weitem mehr andern als griechischen Stämmen. Von Salonik
aus erstreckt sich nordwärts über Kailasas, Doriaua und Pedritsch nach dem
Fuße des Peringebirges, wo Mclenik liegt, eine langgedehnte Kette bulgarischer
Niederlassungen. Zahlreiche Bulgaren wohnen ferner östlich von dieser Linie
aus der vor den Rhodopebergen liegenden Ebne bis nach Demirhissar (bulgarisch
Walvwischte) und serez, ferner nach Tuzlukjöi und im Osten des Flusses
Karassu ans den von der Rhodope gegen das Ägcische Meer vorgeschobnen
Gestadelandschaften mit den großen Orten Kjörmnrdschina und Malri bis nach
Fern, wo das Gebirge sich nach der See hin verlauft. Westlich von Salonik
zieht sich die bulgarische Sprachgrenze, etwa dem Laufe des Bistritzaflusses
folgend, der die natürliche Scheidung zwischen Thessalien und Mazedonien bildet,
bis zur mazedonischen Stadt Kozan, wo sie jenen Fluß überschreitet, um auf
dessen Südufer die Stadt Serwio einzuschließen, die in den Vorbergen des


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[0426] lieben Wohlwollens erfreuen sich die Griechen gewiß auch bei andern deutschen Professoren sowie bei englischen und französischen Gelehrten, Aber im großen und ganzen ist der Philhellenismus längst aus der Mode gekommen wie die Begeisterung für das Polentum und seine staatliche Auferstehung, und wenn man in Athen jetzt zu drohen und zu trotzen fortfährt, so wird es sicher kaum einem von hundert Zuschauern heroisch vorkommen, wahrscheinlich aber allen übrigen sehr thöricht, wo nicht lächerlich. Die Griechen sind sonst kluge Leute, und so sollten sie begriffen haben, daß ihr Staat mit seinen kaum zwei Millionen Einwohnern gegen die Mächte, die entschlossen sind, sie am Losschlagen zu hindern, nichts vermag; auch darf man vermuten, daß sie schon die türkische Grenze überschritten hätten, wenn sie überhaupt loszuschlagen entschlossen wären. Die Regierung handelte unter dem Banne der großgriechischcn Idee, sie hat Geister gerufen, die sie nun uicht gut los werdeu kann, sodaß ihr die Mächte davonhclfen müssen. Jene Idee, die Hoffnung und das Bestreben, alle auf der Balkanhalbinsel und an den Küsten Kleinasiens lebenden Glieder , des hellenischen Volksstammes wie bisher sprachlich und durch Religion und Sitte, allmählich anch staatlich zu vereinigen, hat eine gewisse Berechtigung, ihrer Verwirklichung stehen aber vielleicht für immer, namentlich aber gegenwärtig mehr Hindernisse im Wege, als sie Kräfte zur Verfügung hat. Die griechische Rasse ist seit geraumer Zeit durch ein gemein¬ sames Kulturleben, das auch Nachbarn fremden Stammes in seinen Kreis ge¬ zogen hat, verbunden, sie wohnt aber zu zerstreut, um leicht eiuen hellenischen Staat von erheblich größerer Ausdehnung als das jetzige Hellas zu bilden, selbst wenn die Umstände sonst einmal günstiger dafür würden als heutzutage. Scheu wir von den Inseln, den kleinasiatischen und den am europäische» Rande des Schwarzen Meeres gelegenen Küstenstrichen sowie von Konstantinopel mit seinen 500 000 Griechen ub und beschränken wir uns auf Mazedonien, das Herr Virchow den von Athen aus regierten Griechen zugesteckt, so begegnen wir hier bei weitem mehr andern als griechischen Stämmen. Von Salonik aus erstreckt sich nordwärts über Kailasas, Doriaua und Pedritsch nach dem Fuße des Peringebirges, wo Mclenik liegt, eine langgedehnte Kette bulgarischer Niederlassungen. Zahlreiche Bulgaren wohnen ferner östlich von dieser Linie aus der vor den Rhodopebergen liegenden Ebne bis nach Demirhissar (bulgarisch Walvwischte) und serez, ferner nach Tuzlukjöi und im Osten des Flusses Karassu ans den von der Rhodope gegen das Ägcische Meer vorgeschobnen Gestadelandschaften mit den großen Orten Kjörmnrdschina und Malri bis nach Fern, wo das Gebirge sich nach der See hin verlauft. Westlich von Salonik zieht sich die bulgarische Sprachgrenze, etwa dem Laufe des Bistritzaflusses folgend, der die natürliche Scheidung zwischen Thessalien und Mazedonien bildet, bis zur mazedonischen Stadt Kozan, wo sie jenen Fluß überschreitet, um auf dessen Südufer die Stadt Serwio einzuschließen, die in den Vorbergen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/426>, abgerufen am 05.02.2025.