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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Japanische Künste.

bei einer Schüssel voll Reis den ganzen Tag, und Tag für Tag, ohne Feier¬
tagsruhe, bedächtig, aber unablässig beim Werke sein, und würden auch selten
das Maß von Geduld aufbringen, um ein Holzkästchen sechs-, zehn-, achtzehnmcil
mit Lack zu überziehen, zu poliren, zu bemalen u, s, w. Ob die Javaner, wenn
sie in der bisherigen Weise fortfahren, sich zu curopäisiren, nicht auch einen
Umschwung in den Produktionsverhältnissen heraufbeschwören, ob die Sendlinge,
welche jetzt unsre Schulen besuchen, nicht auch andre Ansprüche an das Leben
heimbringen und verbreiten werden, muß die Zukunft lehren.

Daß der Einfluß ein gegenseitiger ist, läßt sich schon jetzt wenigstens in
Beziehung auf den Stil konstatiren. Da hat ein Maler in Hiogo, Mitzugoro,
im Auftrage eines deutschen Buchhändlers Tuschzeichnungen geliefert, welche als
Vorlagen für Holz- und Faiencemnlerei u. dergl, dienen sollen und ohne Zweifel
von kuustbeflissenen Damen fleißig werden benutzt werden. Und da begegnen wir
schon ganz unjapanischen Zügen. Die dortigen Karikaturenbücher enthalten auch
Tierzeichnungen, die zu ihrer Märchenwelt und ihren Pantomimen in Beziehung
zu stehen scheinen, doch haben wir nirgends die Küserpvesie gefunden, die vor
einigen Jahrzehnten in Deutschland grassirte, oder gar den leibhaften Reineke
Fuchs als Beichtiger mit dem Rosenkranz, wie bei Mitzugoro, der freilich dem
Reineke ein Huflattichblatt als Kutte umgehängt hat. Dieser Künstler, der
übrigens ein geringeres Talent verrät als die Zeichner der bekannten japanischen
Bücher, hat sich immer uoch mit mehr Geschick dem dentschen Geschmacke an¬
bequemt, als in der Regel unsre Zeichner "japcmisiren." Gleichzeitig mit den
Zeichnungen Mitzugorvs kam uns der Prospekt eines Werkes zu: "Studien und
Kompositionen" von einem in Paris lebenden Schweizer, Jean Stauffacher, der
den löblichen Zweck verfolgt, zur ornamentalen Ausnutzung der heimischen Flora
anzuregen. Daß ihn selbst die Japaner angeregt haben, lehrt der erste Blick
auf die Proben, und ich wäre der letzte, ihm das zum Vorwurf zu machen.
Aber richtig macht er jenen nach, was entweder nicht nachahmenswert oder doch
nebensächlich ist. Er würfelt Abschnitzel von allerlei Verzierungen durch einander
in der Manier, die man einst "Quodlibet" nannte, und die sür Städte¬
ansichten u. dergl. von amerikanischen illustrirten Zeitschriften und nach diesen
auch von deutscheu angenommen worden ist; er läßt konseanent Blütenzweige
oder Ranken über die Umrahmungen hinausgreifen (wie Wohl in Barockkirchen
ein geschnitzter Engel die Beine über den Rand des Bildes Hunger läßt), weil
die Japaner sich dergleichen Freiheiten dann und wann erlauben; dabei mvdellirt
er aber die Pflanzen ganz naturalistisch und zwar in der peinlichsten Aus¬
führung. Er hat also das, was wir wirklich von der japanischen Kunst annehmen
können und sollten, garnicht gesehen. Und das möchte ich schließlich in drei
Punkten präzisiren: erstens ihre Art, die Naturformen auf das allergründlichste
zu studiren, um das Charakteristische an denselben zu erfassen, zweitens die
Wiedergabe des Charakteristischen mit der äußersten Treue ohne die Absicht,


Japanische Künste.

bei einer Schüssel voll Reis den ganzen Tag, und Tag für Tag, ohne Feier¬
tagsruhe, bedächtig, aber unablässig beim Werke sein, und würden auch selten
das Maß von Geduld aufbringen, um ein Holzkästchen sechs-, zehn-, achtzehnmcil
mit Lack zu überziehen, zu poliren, zu bemalen u, s, w. Ob die Javaner, wenn
sie in der bisherigen Weise fortfahren, sich zu curopäisiren, nicht auch einen
Umschwung in den Produktionsverhältnissen heraufbeschwören, ob die Sendlinge,
welche jetzt unsre Schulen besuchen, nicht auch andre Ansprüche an das Leben
heimbringen und verbreiten werden, muß die Zukunft lehren.

Daß der Einfluß ein gegenseitiger ist, läßt sich schon jetzt wenigstens in
Beziehung auf den Stil konstatiren. Da hat ein Maler in Hiogo, Mitzugoro,
im Auftrage eines deutschen Buchhändlers Tuschzeichnungen geliefert, welche als
Vorlagen für Holz- und Faiencemnlerei u. dergl, dienen sollen und ohne Zweifel
von kuustbeflissenen Damen fleißig werden benutzt werden. Und da begegnen wir
schon ganz unjapanischen Zügen. Die dortigen Karikaturenbücher enthalten auch
Tierzeichnungen, die zu ihrer Märchenwelt und ihren Pantomimen in Beziehung
zu stehen scheinen, doch haben wir nirgends die Küserpvesie gefunden, die vor
einigen Jahrzehnten in Deutschland grassirte, oder gar den leibhaften Reineke
Fuchs als Beichtiger mit dem Rosenkranz, wie bei Mitzugoro, der freilich dem
Reineke ein Huflattichblatt als Kutte umgehängt hat. Dieser Künstler, der
übrigens ein geringeres Talent verrät als die Zeichner der bekannten japanischen
Bücher, hat sich immer uoch mit mehr Geschick dem dentschen Geschmacke an¬
bequemt, als in der Regel unsre Zeichner „japcmisiren." Gleichzeitig mit den
Zeichnungen Mitzugorvs kam uns der Prospekt eines Werkes zu: „Studien und
Kompositionen" von einem in Paris lebenden Schweizer, Jean Stauffacher, der
den löblichen Zweck verfolgt, zur ornamentalen Ausnutzung der heimischen Flora
anzuregen. Daß ihn selbst die Japaner angeregt haben, lehrt der erste Blick
auf die Proben, und ich wäre der letzte, ihm das zum Vorwurf zu machen.
Aber richtig macht er jenen nach, was entweder nicht nachahmenswert oder doch
nebensächlich ist. Er würfelt Abschnitzel von allerlei Verzierungen durch einander
in der Manier, die man einst „Quodlibet" nannte, und die sür Städte¬
ansichten u. dergl. von amerikanischen illustrirten Zeitschriften und nach diesen
auch von deutscheu angenommen worden ist; er läßt konseanent Blütenzweige
oder Ranken über die Umrahmungen hinausgreifen (wie Wohl in Barockkirchen
ein geschnitzter Engel die Beine über den Rand des Bildes Hunger läßt), weil
die Japaner sich dergleichen Freiheiten dann und wann erlauben; dabei mvdellirt
er aber die Pflanzen ganz naturalistisch und zwar in der peinlichsten Aus¬
führung. Er hat also das, was wir wirklich von der japanischen Kunst annehmen
können und sollten, garnicht gesehen. Und das möchte ich schließlich in drei
Punkten präzisiren: erstens ihre Art, die Naturformen auf das allergründlichste
zu studiren, um das Charakteristische an denselben zu erfassen, zweitens die
Wiedergabe des Charakteristischen mit der äußersten Treue ohne die Absicht,


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[0424] Japanische Künste. bei einer Schüssel voll Reis den ganzen Tag, und Tag für Tag, ohne Feier¬ tagsruhe, bedächtig, aber unablässig beim Werke sein, und würden auch selten das Maß von Geduld aufbringen, um ein Holzkästchen sechs-, zehn-, achtzehnmcil mit Lack zu überziehen, zu poliren, zu bemalen u, s, w. Ob die Javaner, wenn sie in der bisherigen Weise fortfahren, sich zu curopäisiren, nicht auch einen Umschwung in den Produktionsverhältnissen heraufbeschwören, ob die Sendlinge, welche jetzt unsre Schulen besuchen, nicht auch andre Ansprüche an das Leben heimbringen und verbreiten werden, muß die Zukunft lehren. Daß der Einfluß ein gegenseitiger ist, läßt sich schon jetzt wenigstens in Beziehung auf den Stil konstatiren. Da hat ein Maler in Hiogo, Mitzugoro, im Auftrage eines deutschen Buchhändlers Tuschzeichnungen geliefert, welche als Vorlagen für Holz- und Faiencemnlerei u. dergl, dienen sollen und ohne Zweifel von kuustbeflissenen Damen fleißig werden benutzt werden. Und da begegnen wir schon ganz unjapanischen Zügen. Die dortigen Karikaturenbücher enthalten auch Tierzeichnungen, die zu ihrer Märchenwelt und ihren Pantomimen in Beziehung zu stehen scheinen, doch haben wir nirgends die Küserpvesie gefunden, die vor einigen Jahrzehnten in Deutschland grassirte, oder gar den leibhaften Reineke Fuchs als Beichtiger mit dem Rosenkranz, wie bei Mitzugoro, der freilich dem Reineke ein Huflattichblatt als Kutte umgehängt hat. Dieser Künstler, der übrigens ein geringeres Talent verrät als die Zeichner der bekannten japanischen Bücher, hat sich immer uoch mit mehr Geschick dem dentschen Geschmacke an¬ bequemt, als in der Regel unsre Zeichner „japcmisiren." Gleichzeitig mit den Zeichnungen Mitzugorvs kam uns der Prospekt eines Werkes zu: „Studien und Kompositionen" von einem in Paris lebenden Schweizer, Jean Stauffacher, der den löblichen Zweck verfolgt, zur ornamentalen Ausnutzung der heimischen Flora anzuregen. Daß ihn selbst die Japaner angeregt haben, lehrt der erste Blick auf die Proben, und ich wäre der letzte, ihm das zum Vorwurf zu machen. Aber richtig macht er jenen nach, was entweder nicht nachahmenswert oder doch nebensächlich ist. Er würfelt Abschnitzel von allerlei Verzierungen durch einander in der Manier, die man einst „Quodlibet" nannte, und die sür Städte¬ ansichten u. dergl. von amerikanischen illustrirten Zeitschriften und nach diesen auch von deutscheu angenommen worden ist; er läßt konseanent Blütenzweige oder Ranken über die Umrahmungen hinausgreifen (wie Wohl in Barockkirchen ein geschnitzter Engel die Beine über den Rand des Bildes Hunger läßt), weil die Japaner sich dergleichen Freiheiten dann und wann erlauben; dabei mvdellirt er aber die Pflanzen ganz naturalistisch und zwar in der peinlichsten Aus¬ führung. Er hat also das, was wir wirklich von der japanischen Kunst annehmen können und sollten, garnicht gesehen. Und das möchte ich schließlich in drei Punkten präzisiren: erstens ihre Art, die Naturformen auf das allergründlichste zu studiren, um das Charakteristische an denselben zu erfassen, zweitens die Wiedergabe des Charakteristischen mit der äußersten Treue ohne die Absicht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/424>, abgerufen am 05.02.2025.