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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Trachten beim Alten, und eine neue Geschichte kann mir darthun, daß das, was
vorging, noch vorgeht. Übrigens ist es nicht neu, von den Gefahren der Schön¬
heit für den, der sie besitzt, wie für andre zu erzählen, es ist nicht neu zu er¬
zählen, wie in manches Menschen Leben die Treue gegen das eigne Selbst mit
dem Verrate um ander" verknüpft zu sein scheint, und solche alte Geschichten
von erprobter Wirkung in ein neues Gewand zu stecken, ist nur ein künstlicher
Behelf, und ein andrer ist es, das letztere aus Loden zuzuschneiden; es geschieht
dies nicht in dein einfältigen Glauben, daß dadurch Bauern als Leser zu ge¬
winnen wären, noch in der spekulative" Absicht, einer mehr und mehr in die
Mode kommenden Richtung zu huldigen, sondern lediglich aus dem Grnnde, weil
der eingeschränkte Wirkungskreis des ländlichen Lebens die Charaktere weniger
in ihrer Natürlichkeit und Ursprünglichkeit beeinflußt, die Leidenschaften, riick-
haltslvs sich äußernd oder in nur linkischer Verstellung, verständlicher bleibe"
und der Ausweis, wie Charaktere unter dem Einfluß der Geschicke werden oder
verderben, klarer zu erbringen ist an einem Mechanismus, der gleichsam am Tage
liegt, als an einem, den ein doppeltes Gehäuse umschließt und Verschnvrkeluugen
und ein krauses Zifferblatt umgeben, wie denn auch in den ältesten, einfachsten,
wirksamsten Geschichten die Helden und Fürsten Herdenzüchter und Großgrund¬
besitzer waren und Sauhirten ihre Hausminister und Kanzler."

Wer nach diesem langatmigen Satze noch etwas Atem hat, wird zunächst
gegen die Behauptung Widerspruch erheben, daß die Dorfgeschichte eine mehr
und mehr "in die Mode" kommende Richtung sei; uns scheint vielmehr, daß sie
demnächst gründlich "aus der Mode" verdrängt werden wird, ohne darum an
ihrer innern Berechtigung und Bedeutung zu verlieren. Doch das ist unwesent¬
lich, der Kern des Nachworts liegt in der Erläuterung, daß der Grundgedanke
des Romans "Der Sternsteinhvf" der sei, daß die Treue gegen das eigne
Selbst oft Verrat gegen andre scheine. Wenn man den Accent nicht scharf ans
das letzte Wort legt, so steht der Satz Anzengrubers in geradem Gegensatze zu
Shakespeares herrlichem:


Sei dir selber treu,
Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage,
Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.

Die Landschaft, in welcher sich die Geschicke der Menschen abspielen, für die
der Dichter unsre Teilnahme zu gewinnen sucht, ist die ober- oder uiederöster-
reichische; allein, wie billig, tritt die Schilderung der Landescigentümlichkeit ganz
in den Hintergrund. Umso deutlicher steht der Stcrnsteinhof mit seinen Schiefer¬
dächern und blitzenden Fenstern, seinen weitläuftigen Wirtschaftsgebäuden und
den Wiesen lind Ackern, die weit und breit zu ihm gehören, vor den Augen des
Lesers. Um deu Hof und seinen Besitz handelt es sich. Dem reichen Bauern¬
hause gegenüber wächst in armer und verwahrloster Hütte ein schlankes Dirnchen,
die Zinshofer-Helen', empor. Sie steht barfuß und ein Schmalzbrot kauend


Trachten beim Alten, und eine neue Geschichte kann mir darthun, daß das, was
vorging, noch vorgeht. Übrigens ist es nicht neu, von den Gefahren der Schön¬
heit für den, der sie besitzt, wie für andre zu erzählen, es ist nicht neu zu er¬
zählen, wie in manches Menschen Leben die Treue gegen das eigne Selbst mit
dem Verrate um ander» verknüpft zu sein scheint, und solche alte Geschichten
von erprobter Wirkung in ein neues Gewand zu stecken, ist nur ein künstlicher
Behelf, und ein andrer ist es, das letztere aus Loden zuzuschneiden; es geschieht
dies nicht in dein einfältigen Glauben, daß dadurch Bauern als Leser zu ge¬
winnen wären, noch in der spekulative» Absicht, einer mehr und mehr in die
Mode kommenden Richtung zu huldigen, sondern lediglich aus dem Grnnde, weil
der eingeschränkte Wirkungskreis des ländlichen Lebens die Charaktere weniger
in ihrer Natürlichkeit und Ursprünglichkeit beeinflußt, die Leidenschaften, riick-
haltslvs sich äußernd oder in nur linkischer Verstellung, verständlicher bleibe»
und der Ausweis, wie Charaktere unter dem Einfluß der Geschicke werden oder
verderben, klarer zu erbringen ist an einem Mechanismus, der gleichsam am Tage
liegt, als an einem, den ein doppeltes Gehäuse umschließt und Verschnvrkeluugen
und ein krauses Zifferblatt umgeben, wie denn auch in den ältesten, einfachsten,
wirksamsten Geschichten die Helden und Fürsten Herdenzüchter und Großgrund¬
besitzer waren und Sauhirten ihre Hausminister und Kanzler."

Wer nach diesem langatmigen Satze noch etwas Atem hat, wird zunächst
gegen die Behauptung Widerspruch erheben, daß die Dorfgeschichte eine mehr
und mehr „in die Mode" kommende Richtung sei; uns scheint vielmehr, daß sie
demnächst gründlich „aus der Mode" verdrängt werden wird, ohne darum an
ihrer innern Berechtigung und Bedeutung zu verlieren. Doch das ist unwesent¬
lich, der Kern des Nachworts liegt in der Erläuterung, daß der Grundgedanke
des Romans „Der Sternsteinhvf" der sei, daß die Treue gegen das eigne
Selbst oft Verrat gegen andre scheine. Wenn man den Accent nicht scharf ans
das letzte Wort legt, so steht der Satz Anzengrubers in geradem Gegensatze zu
Shakespeares herrlichem:


Sei dir selber treu,
Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage,
Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.

Die Landschaft, in welcher sich die Geschicke der Menschen abspielen, für die
der Dichter unsre Teilnahme zu gewinnen sucht, ist die ober- oder uiederöster-
reichische; allein, wie billig, tritt die Schilderung der Landescigentümlichkeit ganz
in den Hintergrund. Umso deutlicher steht der Stcrnsteinhof mit seinen Schiefer¬
dächern und blitzenden Fenstern, seinen weitläuftigen Wirtschaftsgebäuden und
den Wiesen lind Ackern, die weit und breit zu ihm gehören, vor den Augen des
Lesers. Um deu Hof und seinen Besitz handelt es sich. Dem reichen Bauern¬
hause gegenüber wächst in armer und verwahrloster Hütte ein schlankes Dirnchen,
die Zinshofer-Helen', empor. Sie steht barfuß und ein Schmalzbrot kauend


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[0410] Trachten beim Alten, und eine neue Geschichte kann mir darthun, daß das, was vorging, noch vorgeht. Übrigens ist es nicht neu, von den Gefahren der Schön¬ heit für den, der sie besitzt, wie für andre zu erzählen, es ist nicht neu zu er¬ zählen, wie in manches Menschen Leben die Treue gegen das eigne Selbst mit dem Verrate um ander» verknüpft zu sein scheint, und solche alte Geschichten von erprobter Wirkung in ein neues Gewand zu stecken, ist nur ein künstlicher Behelf, und ein andrer ist es, das letztere aus Loden zuzuschneiden; es geschieht dies nicht in dein einfältigen Glauben, daß dadurch Bauern als Leser zu ge¬ winnen wären, noch in der spekulative» Absicht, einer mehr und mehr in die Mode kommenden Richtung zu huldigen, sondern lediglich aus dem Grnnde, weil der eingeschränkte Wirkungskreis des ländlichen Lebens die Charaktere weniger in ihrer Natürlichkeit und Ursprünglichkeit beeinflußt, die Leidenschaften, riick- haltslvs sich äußernd oder in nur linkischer Verstellung, verständlicher bleibe» und der Ausweis, wie Charaktere unter dem Einfluß der Geschicke werden oder verderben, klarer zu erbringen ist an einem Mechanismus, der gleichsam am Tage liegt, als an einem, den ein doppeltes Gehäuse umschließt und Verschnvrkeluugen und ein krauses Zifferblatt umgeben, wie denn auch in den ältesten, einfachsten, wirksamsten Geschichten die Helden und Fürsten Herdenzüchter und Großgrund¬ besitzer waren und Sauhirten ihre Hausminister und Kanzler." Wer nach diesem langatmigen Satze noch etwas Atem hat, wird zunächst gegen die Behauptung Widerspruch erheben, daß die Dorfgeschichte eine mehr und mehr „in die Mode" kommende Richtung sei; uns scheint vielmehr, daß sie demnächst gründlich „aus der Mode" verdrängt werden wird, ohne darum an ihrer innern Berechtigung und Bedeutung zu verlieren. Doch das ist unwesent¬ lich, der Kern des Nachworts liegt in der Erläuterung, daß der Grundgedanke des Romans „Der Sternsteinhvf" der sei, daß die Treue gegen das eigne Selbst oft Verrat gegen andre scheine. Wenn man den Accent nicht scharf ans das letzte Wort legt, so steht der Satz Anzengrubers in geradem Gegensatze zu Shakespeares herrlichem: Sei dir selber treu, Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage, Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen. Die Landschaft, in welcher sich die Geschicke der Menschen abspielen, für die der Dichter unsre Teilnahme zu gewinnen sucht, ist die ober- oder uiederöster- reichische; allein, wie billig, tritt die Schilderung der Landescigentümlichkeit ganz in den Hintergrund. Umso deutlicher steht der Stcrnsteinhof mit seinen Schiefer¬ dächern und blitzenden Fenstern, seinen weitläuftigen Wirtschaftsgebäuden und den Wiesen lind Ackern, die weit und breit zu ihm gehören, vor den Augen des Lesers. Um deu Hof und seinen Besitz handelt es sich. Dem reichen Bauern¬ hause gegenüber wächst in armer und verwahrloster Hütte ein schlankes Dirnchen, die Zinshofer-Helen', empor. Sie steht barfuß und ein Schmalzbrot kauend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/410>, abgerufen am 05.02.2025.