Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.zustande ein, so ergiebt sich das Bedürfnis, diese Zustände durch Bestimmungen Welche dringenden Gründe für Aufhebung des Svzialistengesetzes vorliegen, zustande ein, so ergiebt sich das Bedürfnis, diese Zustände durch Bestimmungen Welche dringenden Gründe für Aufhebung des Svzialistengesetzes vorliegen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197820"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1172" prev="#ID_1171"> zustande ein, so ergiebt sich das Bedürfnis, diese Zustände durch Bestimmungen<lb/> zu regeln, welche diesen ungewöhnlichen Zuständen angemessen sind. So wird<lb/> also z. B., wenn in einem Gemeinwesen eine Anzahl von Personen zu der An¬<lb/> sicht gelangt, es sei ihren Interessen am zweckdienlichsten, ihren Nebenmenschen<lb/> den Hals abzuschneiden, die gemeinsame Überzeugung der letztern nach den bis¬<lb/> herigen Erfahrungen über die menschliche Natur alsbald dahin gehen, sich dies<lb/> nicht gefallen zu lassen, und sie werden demgemäß, solange sie noch die Macht<lb/> dazu haben, wenn sie nicht schon ein Gesetz gegen das Halsabschneiden besitzen,<lb/> alsbald ein solches sür diesen Ansncihmefall schaffen, um mittels dieses Aus¬<lb/> nahmegesetzes die andern an der Ausführung ihres Vorhabens zu verhindern.<lb/> Dauern diese Zustände fort, so dauert auch das Bedürfnis nach dem Fort¬<lb/> bestande dieser besondern Maßregeln fort, und solange die abnormen Zustände<lb/> nicht aufhören, hört eben auch das Bedürfnis nach den zu ihrer Unterdrückung<lb/> notwendigen Maßregeln nicht auf. Das Svzialistengesetz ist gemeines Recht<lb/> gegen alle diejenigen Personen, welche sich der fraglichen Umstnrzbestrebungen<lb/> schuldig machen, wie der Z 211 des Strafgesetzbuches gemeines Recht gegen alle<lb/> Mörder ist. Was der Fortschritt mit der Rückkehr zum gemeinen Recht im<lb/> vorliegenden Falle begehrt, ist die Unterstellung der sozialistischen Umstnrz-<lb/> bestrebungcn unter die übrigen reichsstrafgesctzlichen Bestimmungen, und daß<lb/> diese gegen die genannten Bestrebungen sich unzulänglich erwiesen haben, geht<lb/> aus der ersten Einbringung und Annahme des Sozialistengesetzes hervor. Daß<lb/> diese Bestimmungen auch jetzt noch nicht für genügend anzusehen sind, das legen<lb/> die Motive zu dem eingebrachten Verläugerungsantrage dar.</p><lb/> <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> Welche dringenden Gründe für Aufhebung des Svzialistengesetzes vorliegen,<lb/> beweisen die neuesten Vorgänge in zwei Ländern, welche sich der ungestörten<lb/> Entfaltung anarchistischer Agitation erfreue»: die Ermordung des Minendirektors<lb/> Wntrin in Deeazeville und die Plünderung der westlichen Stadtteile von London.<lb/> In beide» Fällen steht außer allem Zweifel, daß die Verbrechen einen sozialisiisch-<lb/> auarchistischeu Charakter tragen. In einer Anarchistenversammlnng vom 7. Februar<lb/> im ?Ir<Mr«z <w vllÄiv^u ä'LÄu zu Paris unter dem Vorsitze des Deputirten<lb/> Basly sprach sich Louise Michel unter lebhaftem Beifall der Teilnehmer mit<lb/> großer Anerkennung über die „Gerichtsvollzieher" der „Hinrichtung" des Mineu¬<lb/> direktors Watrin aus, und auf Antrag des Redakteurs Guesde wurde einstimmig<lb/> beschlossen, daß die Watrinsche Angelegenheit eine That der Gerechtigkeit sei,<lb/> welche alle rechtschaffenen Leute billigten. Den Plünderungen in London ging<lb/> unmittelbar voran ein Meeting der beschäftigungslosen Arbeiter auf Trafalgar<lb/> Sauare, welches von den sozialistischen Agitatoren Hyndman und Burns geleitet<lb/> und von einer großen Zahl von Sozialisten mit einer roten Fahne besucht wurde.<lb/> In den von den Agitatoren gehaltenen Reden wurde empfohlen, Parlamentsmit¬<lb/> glieder aufzuknüpfen und eine soziale Revolution hervorzurufen. Burns forderte<lb/> die Arbeiter auf, der sozialen Verbindung zu folgen, welche ihnen das Zeichen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0396]
zustande ein, so ergiebt sich das Bedürfnis, diese Zustände durch Bestimmungen
zu regeln, welche diesen ungewöhnlichen Zuständen angemessen sind. So wird
also z. B., wenn in einem Gemeinwesen eine Anzahl von Personen zu der An¬
sicht gelangt, es sei ihren Interessen am zweckdienlichsten, ihren Nebenmenschen
den Hals abzuschneiden, die gemeinsame Überzeugung der letztern nach den bis¬
herigen Erfahrungen über die menschliche Natur alsbald dahin gehen, sich dies
nicht gefallen zu lassen, und sie werden demgemäß, solange sie noch die Macht
dazu haben, wenn sie nicht schon ein Gesetz gegen das Halsabschneiden besitzen,
alsbald ein solches sür diesen Ansncihmefall schaffen, um mittels dieses Aus¬
nahmegesetzes die andern an der Ausführung ihres Vorhabens zu verhindern.
Dauern diese Zustände fort, so dauert auch das Bedürfnis nach dem Fort¬
bestande dieser besondern Maßregeln fort, und solange die abnormen Zustände
nicht aufhören, hört eben auch das Bedürfnis nach den zu ihrer Unterdrückung
notwendigen Maßregeln nicht auf. Das Svzialistengesetz ist gemeines Recht
gegen alle diejenigen Personen, welche sich der fraglichen Umstnrzbestrebungen
schuldig machen, wie der Z 211 des Strafgesetzbuches gemeines Recht gegen alle
Mörder ist. Was der Fortschritt mit der Rückkehr zum gemeinen Recht im
vorliegenden Falle begehrt, ist die Unterstellung der sozialistischen Umstnrz-
bestrebungcn unter die übrigen reichsstrafgesctzlichen Bestimmungen, und daß
diese gegen die genannten Bestrebungen sich unzulänglich erwiesen haben, geht
aus der ersten Einbringung und Annahme des Sozialistengesetzes hervor. Daß
diese Bestimmungen auch jetzt noch nicht für genügend anzusehen sind, das legen
die Motive zu dem eingebrachten Verläugerungsantrage dar.
Welche dringenden Gründe für Aufhebung des Svzialistengesetzes vorliegen,
beweisen die neuesten Vorgänge in zwei Ländern, welche sich der ungestörten
Entfaltung anarchistischer Agitation erfreue»: die Ermordung des Minendirektors
Wntrin in Deeazeville und die Plünderung der westlichen Stadtteile von London.
In beide» Fällen steht außer allem Zweifel, daß die Verbrechen einen sozialisiisch-
auarchistischeu Charakter tragen. In einer Anarchistenversammlnng vom 7. Februar
im ?Ir<Mr«z <w vllÄiv^u ä'LÄu zu Paris unter dem Vorsitze des Deputirten
Basly sprach sich Louise Michel unter lebhaftem Beifall der Teilnehmer mit
großer Anerkennung über die „Gerichtsvollzieher" der „Hinrichtung" des Mineu¬
direktors Watrin aus, und auf Antrag des Redakteurs Guesde wurde einstimmig
beschlossen, daß die Watrinsche Angelegenheit eine That der Gerechtigkeit sei,
welche alle rechtschaffenen Leute billigten. Den Plünderungen in London ging
unmittelbar voran ein Meeting der beschäftigungslosen Arbeiter auf Trafalgar
Sauare, welches von den sozialistischen Agitatoren Hyndman und Burns geleitet
und von einer großen Zahl von Sozialisten mit einer roten Fahne besucht wurde.
In den von den Agitatoren gehaltenen Reden wurde empfohlen, Parlamentsmit¬
glieder aufzuknüpfen und eine soziale Revolution hervorzurufen. Burns forderte
die Arbeiter auf, der sozialen Verbindung zu folgen, welche ihnen das Zeichen
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